Bundesverfassungsgericht: BKA-Gesetz ist teilweise verfassungswidrig

Karlsruhe sieht die Vorschrift aber nicht als nichtig an

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Seit sieben Jahren warten diejenigen, die Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz einlegten, auf die Entscheidung des obersten Gerichtes in Deutschland. Eine der Beschwerden war abgelehnt worden, was auch noch einmal die Frage aufwarf, inwiefern sich die Anzahl derjenigen, die eine Verfassungsbeschwerde unterstützen, auf die Chancen dieser Beschwerde auswirken.

Schon die letzten elementaren Entscheidungen des BVerfG zum Themenbereich Privatsphäre, Datenschutz, Bürgerrechte, ließen darauf schließen, dass auch in diesem Fall das Gericht eher eine Einschränkung der im Gesetz verankerten Befugnisse und Maßnahmen fordern und das Gesetz nicht komplett für nichtig erklären würde. Diesen Erwartungen wurde das BVerfG gerecht. Es hat das Gesetz für teilweise verfassungswidrig, jedoch nicht für nichtig erklärt und dabei den Apologeten des Gesetzes ein paar deutliche Worte ins Stammbuch geschrieben.

(Ent)täuschungen

Wenn das oberste Gericht angerufen wird, sind die Erwartungen derjenigen, die entweder selbst Beschwerde einlegten oder damit sympathisieren, stets hoch. Da vielfach einfach angenommen (bzw. aus der eigenen Perspektive heraus argumentiert) wird, dass das Gesetz verfassungswidrig oder gleich in der Gesamtheit daher nichtig ist, hofft man, dass Gericht würde sich dieser Einschätzung anschließen.

Die Reaktionen, wenn dies nicht der Fall ist, sind vorhersehbar. Wahlweise wird angenommen, dass BVerfG sei korrupt, sowieso schon "handzahm", dumm oder aber schlichtweg einer Doktrin verschrieben. Einfach gesagt: Es sei ja sowieso nichts anderes zu erwarten gewesen. Diese Reaktionen sind auch Folge einer weiter stetig zunehmenden Politik(er)überdrüssigkeit, die durch die mangelnde Selbstkritikfähigkeit vieler Politiker sowie deren Bereitschaft, sich über gerichtliche Anordnungen hinwegzusetzen (oder einem inkriminierten Gesetz gleich den nächsten Versuch folgen zu lassen), noch befeuert wird.

Unabhängig von diesen Aspekten kann jedoch festgestellt werden, dass das BVerfG, das alljährlich mit etlichen Verfassungsbeschwerden bedacht wird und daher auch oft lange Zeit benötigt, um über eine davon zu entscheiden, in der Vergangenheit beim Themenkomplex Datenschutz/Bürgerrechte Urteile von hoher Wichtigkeit gefällt hat - so z.B. im Bereich der Onlinedurchsuchung. Dort hat das Gericht nicht nur die gesamte Rechtsgrundlage (das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz) für nichtig erklärt, sondern eine der von Technik durchdrungenen Gesellschaft angemessene neue Schutzklausel aufgestellt.

Dieses "neue Grundgesetz" zur "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität" informationstechnischer Systeme, das laut BVerfG das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergänzt, ist der Eckpfeiler für die Überprüfung neuer Regelungen zum Abhören, zur Onlinedurchsuchung usw. und spielte daher auch bei der heutigen Entscheidung eine tragende Rolle.

Verfassungswidrig, aber nicht auch nichtig

Das BVerfG hat heute geurteilt, dass die zur Beschwerde gebrachte Rechtsgrundlage zwar in weiten Teilen verfassungswidrig ist, aber nicht nichtig. Deshalb kann sie bis zum Ablauf des Juni 2018 weiter angewandt werden, wenn man alle vom Gericht beanstandeten Punkte bei der Anwendung beachtet. Und diese sind mannigfaltig.

In einer langen Mängelliste spart das Gericht nicht mit Kritik am Gesetzgeber: "Verfassungsrechtlich geboten ist […] an der es fehlt", "Zwingend auszuschließen ist...", "fehlt es im Übrigen an einer hinreichenden Gewährleistung der auch hier geltenden Anforderungen an eine effektive Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte" - dies sind nur einige Beispiele dafür, wie deutlich das BVerfG hier den Gesetzgeber in die Schranken weist und ein deutliches "So nicht" verlautbart, auch wenn sich dies nicht in dieser Form im Urteil wiederfindet.

Ein Ausgleich zwischen Privatsphäre und Strafverfolgungsinteressen

Schon in der Erläuterung zu den wesentlichen Erwägungen des Senats zeigt sich, wie stark der Gesetzgeber hier kritisiert wird. So befasst sich das BVerfG zunächst mit der Rolle des Bundeskriminalamtes, konstatiert auch eine Pflicht des Staates, die Bevölkerung vor Terrorismus zu schützen und auch präventive Maßnahmen zu ergreifen. Doch es betont auch die Pflicht des Staates, die Bevölkerung zugleich auch vor zu schweren Eingriffen in Grundrechte zu schützen, indem beispielsweise die Privatsphäre nicht hinreichend beachtet wird.

"Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm ‑ unter Achtung von Würde und Eigenwert des Einzelnen ‑ zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung stehen insoweit mit anderen hochwertigen Verfassungsgütern im gleichen Rang" heißt es im Urteil - und diese Einschätzung erteilt auch dem postulierten "Superrecht auf Sicherheit" eine Absage, weil es eine Gleichheit der Verfassungsgüter, nicht aber eine höhere Priorität für die Sicherheit, festschreibt.

Außerdem führt das Gericht die Wichtigkeit des Schutzes von Geheimnisträgern, der Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zahlreichen weiteren Aspekten auf, die bei Grundrechtseingriffen zu beachten sind:

Für Befugnisse, die typischerweise dazu führen können, in den strikt geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung einzudringen, bedarf es besonderer Schutzregelungen. Auch bedarf es eines hinreichenden Schutzes von Berufsgeheimnisträgern. Überdies unterliegen die Befugnisse verfassungsrechtlichen Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle. Hierzu gehören Benachrichtigungspflichten an die Betroffenen nach Durchführung der Maßnahmen, richterliche Kontrollbefugnisse, eine regelmäßige aufsichtliche Kontrolle sowie Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit.

Ferner wird auf die Löschpflicht hingewiesen, die die Eingriffe flankieren müssen, um dann mit einer sehr deutlichen Ansage an den Gesetzgeber zu schließen:

Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften in verschiedener Hinsicht nicht.

Das BVerfG geht bereits in seiner Pressemitteilung auf die einzelnen Aspekte ein und hat diesbezüglich deutliche Einschränkungen festgelegt. Das Urteil wurde mit zwei abweichenden Meinungen, die ebenfalls in der Pressemitteilung dokumentiert sind, gefällt.

Fortsetzung folgt