Aus für Tauss

Der Medienexperte der SPD-Bundestagsfraktion steht unter Verdacht des Besitzes von Kinderpornographie, während gerade über Internetsperren für kinderpornographische Websites diskutiert wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Knapp 24 Stunden nach Beginn der polizeilichen Durchsuchung seiner Büros und Wohnung in Karlsruhe und Berlin legt der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss seine Ämter in der Fraktion nieder – und tritt als SPD-Generalsekretär in Baden-Württemberg zurück (Stellungnahme von Jörg Tauss). Damit will er verhindern, dass Partei und Fraktion durch die Ermittlungen zu stark belastet werden – im Wahlkampfjahr ist das sicherlich ein naheliegender Schritt.

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen mutmaßlichen Besitzes von Kinderpornographie kamen für Tauss so überraschend, dass er spontan eine Retourkutsche vermutete. Immerhin stellte auch die ermittelnde Karlsruher Staatsanwaltschaft mehrfach fest, dass sich Tauss noch als „völlig unschuldig“ erweisen kann.

Brisant ist der Fall wegen der zeitlichen Nähe zur Diskussion um die Sperrung von kinderpornographischen Websites. Tauss wollte gestern im Fraktionsausschuss gerade die Position der SPD-Fraktion zum Thema Internetsperren festmachen, als es an der Tür klopfte: der Justiziar des Bundestags stand vor Tür – mit der Nachricht, dass der Immunitätsausschuss eben die Durchsuchung seiner Büros und Wohnungen genehmigt hatte.

Bekanntermaßen legte sich Tauss als Datenschutzexperte der SPD-Fraktion mehrfach mit dem Bundesinnenministerium an. Die letzten Auseinandersetzungen um das BKA-Gesetz gingen seinem Rücktritt als Datenschutzexperte der Fraktion voraus. Zuletzt setzte er sich gegen die von Familienministerin Ursula von der Leyen geforderten Internetsperren gegen Kinderpornographie ein. Er sprach sich hingegen dafür aus, bei der Verfolgung der Täter direkt an den Content-Providern anzusetzen. Dass die Polizei mit dieser Strategie durchaus erfolgreich ist, zeigt sich nun bizarrerweise an seinem eigenen Fall: Die Verbindungsdaten eines wegen der Verbreitung von Kinderpornographie Angeklagten hatten zu seinem Handy geführt – die Kontakte gingen per SMS und MMS hin und her. Gefunden wurde nun gestern Abend in seiner Berliner Privatwohnung eine CD mit einschlägigem Material.

Als Abgeordneter beschäftigte sich Tauss mit vielen Themen – angefangen bei der Forschungspolitik im Allgemeinen über IT-Sicherheit im speziellen bis hin zu Medienthemen. Wohl wie kein anderer Abgeordneter kannte Tauss die Problematik rund um die Speicherung und Auswertung von Verbindungsdaten. Er wusste, dass der Empfang eines kinderpornographischen Videos per MMS potenziell strafbar ist. Er wusste auch genau, dass der Besitz kinderpornographischer Materialien strafbar ist.

Über seine Beweggründe, die ihm wohl von dem Angeklagten zugeschickte CD in seiner Wohnung und nicht in seinem Büro aufzubewahren und den Besitz nicht sofort bei der Polizei anzuzeigen, kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich fühlte er, der seit 15 Jahren Abgeordneter des Deutschen Bundestags ist, sich zu sicher, da er die Möglichkeit einer Strafverfolgung für zu gering einschätzte. Und sicherlich ist er mit dem ihm zugesandten Material zu sorglos umgegangen. Darin erinnert er an den SAT1-Moderator Ulrich Meyer, der 1999 bei seiner Recherche durch kinderpornographische Websites gesurft war und der ebenfalls eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahme seiner Rechner erdulden musste. Allerdings hatte Meyer, anders als Tauss, bereits während seiner Recherchen das Landeskriminalamt Berlin darüber informiert.

Neben der Frage, wie er sich nun glaubwürdig entlasten kann, bleibt die Frage, wie die Polizei mit weiteren Daten umgehen wird, die nun „per Zufallsfund“ entdeckt werden. Abgeordnete erhalten schließlich aus vielen Quellen brisantes Material unterschiedlichsten Zuschnitts. Darunter könnte sich angesichts der aktuellen Debatte um die Internetsperren etwa auch eine Liste der zu sperrenden Websites aus Ländern wie Schweden befinden. Oder kritische Informationen, welche die IT-Sicherheit von Behörden und Unternehmen betreffen. Abgeordnete geben auch mitunter vertrauliche Informationen an Journalisten weiter. Wie sieht es hier mit den Zeugnisverweigerungsrechten der Abgeordneten aus? Immerhin waren gestern bei der Durchsuchung der Bundestagsräumlichkeiten nicht nur der Bundestags-Justiziar, sondern auch der IT-Sicherheitsbeauftragte des Bundestags anwesend, um sicher zustellen, dass nicht zu viel Material mitgenommen wurde. Ob ihnen das gelungen ist, wird sich erst in den nächsten Wochen und Monaten herausstellen, wenn die Materialien ausgewertet sind.

Tauss Rücktritt ist jedoch nicht nur auf die für ihn nun schwierige Beweislage, sondern auch auf den großen Druck der Medien zurückzuführen. Spiegel online berichtete als erstes Medium über die Hausdurchsuchung – nur Minuten nach deren Beginn. Woher hatten die Journalisten etwas über den Vorgang erfahren? Die Staatsanwaltschaft war es wohl nicht, da diese die Durchsuchung lediglich bestätigte. Woher aber konnten die Journalisten die teils minutiösen Angaben über die verdächtigen Kommunikationsvorgänge zwischen Tauss und dem Angeklagten in Bremerhaven her haben? In Windeseile verbreitete sich daraufhin die Nachricht über die News-Websites – nach drei Stunden zählte Google News über 300 Berichte. Der Kölner Stadtanzeiger schrieb als erster, dass in SPD-Fraktionskreisen mit einem Rücktritt binnen weniger Tage gerechnet werde. Eine Presseagentur folgte dem Bericht zwei Stunden später mit dem Titel „SPD-Fraktion hält Tauss für schuldig“. Am Abend schließlich hatten bereits englische, italienische und spanische News-Websites die Nachricht aufgenommen.

Obwohl heute mehrfach Berichte wie etwa der der Süddeutschen Zeitung auf die mögliche Unschuld von Tauss hinwiesen und den Fall in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Abgeordneter darstellte, war es Tauss wohl klar, dass er so nicht weiter arbeiten konnte. Es bleibt nun zu hoffen, dass sich im neuen Bundestag Abgeordnete finden lassen, die seine wichtigen Themen wieder aufnehmen und mit ähnlich hoher Expertise weiter betreiben und dabei jedoch aufmerksamer und umsichtiger agieren.