1.Mai: Drohungen und Vereinnahmungsversuche
Polizeilicher Druck suchte zu verhindern, dass Organisatoren des Londoner May Day einen Webprovider finden. Unterdessen versuchen Altlinke die Bewegung der Globalisierungskritiker zu vereinnahmen.
Nur mit Schwierigkeiten gelang es den Organisatoren des "May Day Festival of Alternatives" einen Host für ihre Website www.ourmayday.org.uk zu finden. Laut Angaben einer Sprecherin der sich Etikettierungen widersetzenden Gruppe gegenüber Telepolis wurden vier potenzielle Provider von der Metropolitan Police derartig eingeschüchtert, dass sie es ablehnten, die Website zu hosten.
Die Polizei scheint diesbezüglich schwer am Ball zu sein. Keine zwei Stunden vergingen in einem Fall zwischen dem Sichtbarwerden der Domain bei einem Provider und einem Anruf von der "Met". Die Polizei verlangte, dass der Provider alle ihm bekannten Namen und Adressen aushändigt. Darüberhinaus wurde er gewarnt, dass die Polizei eine Razzia unternehmen und Webserver beschlagnahmen würde, falls die Site dort gehostet bleibe. Mit ähnlichen Argumenten konnten auch andere Provider vom Hosting der Website abgehalten werden, ohne dass dabei klar geworden wäre, auf welche Gesetzgebung die Polizei sich beruft.
Inzwischen hat ourmayday seine virtuelle Heimstatt gefunden. Es handle sich um einen großen Provider mit genug kommerziellem Rückgrat, um polizeilichem Druck in der beschriebenen Form zu widerstehen, sagte die OurMayDay-Sprecherin.
Das virtuelle Vorspiel zur Maidemo folgt einem in den letzten Jahren etabliertem Muster der vorbeugenden Dämonisierung der Demonstration als Versammlung wilder, gewaltbereiter Anarchisten, deren ausschließliches Ziel es sei, sinnlose Zerstörung und Chaos zu säen (siehe Notruf für den Kapitalismus). Presse-Briefings der Polizei werden meist ungeprüft von den Medienorganen übernommen. In das Muster der Vorverurteilung passt auch die Darstellung des Internets als Hort der Anarchie, in dem gesichtslose Randalebrüder sich in geheimen Chat-Rooms und Foren organisieren. Tatsächlich hatten die MayDay-Organisatoren in den Vorjahren wie auch in diesem eine allgemein zugängliche Website, die auch E-Mail-Adressen und sogar Kontakttelefonnummern anbietet. Organisatorische Meetings finden durchwegs öffentlich in Pubs statt. Diese sind in der Regel heftig von der Polizei überwacht, mit Video und Foto-Teams.
Kern des Problems aus der Sicht der Polizei ist, dass die MayDay-Organisatoren sich weigern, Ansprechpersonen zu nennen und Routen der Demonstrationen im Vorfeld abzusprechen. Die Organisatoren bezeichnen sich selbst als Kollektiv und "lose Ansammlung verschiedenster Gruppen". Auch gegenüber Telepolis mochte sich die Sprecherin des "Kollektivs" auf keine nähere Eingrenzung dieser Bezeichnung festlegen. "Es ist dasselbe wie immer," sagte sie. Man muss kein intimer Beobachter der Szene sein, um zu verstehen, was sie meint. "Wie immer" handelt es sich wohl um eine Mischung aus Leuten aus dem Umkreis von oder mit ähnlichen Absichten wie Reclaim The Streets, Indymedia UK, Pazifisten, Veganer, Raver, Traveller, Feministinnen, Tierschützer, die übliche Mischung halt, die häufig unter dem Begriff Globalisierungsgegner zusammengefasst wird und die in Zeiten, wenn Ex-68er voll von selbstgerechtem Menschenrechtsimperialismus in der Regierung sitzen, eine dringend benötigte Opposition darstellen.
Nicht nur die Polizei, auch die Presse hat ihre liebe Not mit den fehlenden Schubladen. In diesem Jahr war es bisher allerdings nicht die rechte Murdoch-Presse, die sich in der Anti-MayDay-Hetze hervortat, sondern sich selbst als liberal bezeichnende Blätter wie Observer und Independent. Als eine "einzige Ansammlung von Lügen" bezeichnete die Sprecherin des Kollektivs einen Artikel im Observer. In diesem wird behauptet, Anarchisten planten die Feiern zum 50-jährigen Jubiläum der Queen zu stören und würden bereits für den May Day aufrüsten. Die Gruppe "Wombles" wird genannt und ein "Safe House" in Nord-London. Als "Safe House" ist ein geheimer Unterschlupf zu verstehen. "Alles falsch", behauptet die Sprecherin, "sie erfinden Leute, sie erfinden dieses Safe House". "Die größte und potenziell gewalttätigste Mai-Demonstration seit einem Jahrzehnt" prophezeit auch die sich selbst als linksliberal einschätzende Zeitung The Independent.
Doch der gefährlichste Gegner der MayDay-Organisatoren kommt dieses Mal von links. Es handelt sich um eine neue Organisation namens "Globalise Resistance". Die Namensähnlichkeit zu "Global Resistance", ein in den letzten Jahren häufig vernommener Slogan, sollte jedoch niemanden in die Irre führen. Hinter der Gruppe verbirgt sich nämlich die altbekannte Socialist Workers Party. Diese zahlenmäßig und politisch ideologisch irrelevante, aber gut organisierte trotzkyistische Partei verfolgt seit Jahren die Strategie, alle Anzeichen von Unzufriedenheit und Protest für sich zu vereinnahmen. Der politische Newsletter SCHNEWS hat deren Machenschaften zur Instrumentalisierung der Globalisierungsgegnerschaft in einer seiner jüngsten Ausgaben analysiert.
Die "Bewegung" unterstreicht unterdessen auf ihrer Website ihren friedliebenden Character. Das "Mayday Festival of Alternatives wird aus 10 Tagen dauernden Aktivitäten bestehen, welche darauf abzielen, die Vielfalt unserer Bewegung aufzuzeigen und langfristige, nachhaltige Alternativen aufzubauen." Und dazu zählen, laut ihrer Website u.a. "Schrebergärten, Asyl, Biodiversität, Desktop Publishing, Kleider herstellen, Sozialzentren, Klimawandel, Baumklettern, Yoga und Shiatsu."