21C3: Hebel, die man drücken kann

Auf dem Chaos Communication Congress widmet sich die Hackercommunity verstärkt dem politischen Engagement

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Blogs, Wikis und Intellectual Property waren 2004 die großen Themen im Netz. Auch auf dem Chaos Communication Congress in Berlin waren diese Themen ständig präsent. Die Referenten der Hackinggemeinde nutzten das Forum um für Interessen zu werben, auf neue Modelle aufmerksam zu machen und Fernziele zu formulieren. Einige der Referenten fanden ungewohnt selbstkritische Töne: Bislang haben weder Blogging noch Wikis die breite Masse für Informations- und Kommunikationstechnologie-Themen interessieren können.

Neben eher einschlägigen Themen wie Bluetoothhacking, Anti-Honeypot-Technologie und dem eher sportiv betriebenen physischen Lockpicking beschäftigte sich der Chaos Computer Club dieses Jahr auch mit mehr politischen Themen: Welchen Einfluss IuK-Technologien auf die Gesellschaft haben und wie eine kritische Begleitung aktueller Entwicklungen erfolgen kann, nahm breiten Raum im Programm des 21C3 ein. So standen unter anderem Vorträge und Workshops zu der Fairsharing-Kampagne, Spam-Politik, Protest im 21. Jahrhundert und der Einfluss von Blogs auf dem Veranstaltungsplan.

Der japanische Blogging-Guru und IT-Unternehmer Joichi Ito widmete sich der Entwicklung der "Emergent Democracy": 2004 habe einerseits am Beispiel von Howard Dean gezeigt, wie mächtig Blogging werden könne. Andererseits aber auch, dass Bloggen allein keine Wunderwaffe in den westlichen Demokratien sei. Sein Anspruch an demokratische Republiken sei maximale Transparenz auf Seiten des Staates und maximale Wahrung der Privatsphäre des Bürgers, anders als es die Praxis beispielsweise in seiner Heimat Japan, aber auch in vielen anderen westlichen Demokratien derzeit darstelle.

"The internet undermines power" sei nur ein Teil der Wahrheit über den Einfluss der IuK-Technologien auf die Gesellschaft in großen Staaten. Stattdessen müsste die Onlinegemeinde sich bewusst machen, dass sie zwar ein zunehmend größerer, aber dennoch nur ein Teil der Bevölkerung sei. Warum die Dean-Kampagne gescheitert sei, brachte Ito auf einen Nenner: "We were not able to cross the border from blogs to the mass media." Und weil die Massenmedien als Teil des etablierten Systems sich auch nur begrenzt auf die Onlinephänomene einließen, müssen man mehr "virales Marketing" betreiben: "We need to build bridges."

Digital Rights Management und Spam

Ähnlich sahen es auch die Vertreter der "Fair Sharing"-Kampagne: Mit einer Werbekampagne wollen die Initiatoren vom Netzwerk Neue Medien, der Grünen Jugend und Attac den DRM-Ideen und der Kriminalisierung von P2P-Tauschbörsennutzern entgegentreten. Ihre Idee: Mit einer prozentualen und nach Geschwindigkeit gestaffelten Abgabe auf Internetzugänge sollen die Vergütungsansprüche von Musikern und Filmemachern abgegolten werden. Die Fairsharer gehen davon aus, dass 0,5 Prozent der Zugangskosten mehrere hundert Millionen Euro Vergütung ermöglichen würde.

Dass man die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) an der Ausschüttung nicht beteiligen will, verwunderte nur wenige der Zuhörer. Die GEMA gilt in weiten Kreisen der Community als zu abhängig von Distributoren und Produzenten. Bilder und Texte sollen bei diesem Modell nicht berücksichtigt werden. Ein Kampagnenworkshop diente zum Sammeln neuer Ideen für die Umsetzung der Kampagne, die im kommenden Jahr richtig anlaufen und mehr als nur ein Gegengewicht zur "Raubkopierer sind Verbrecher"-Kampagne der Musikindustrie bilden soll.

Dass Spambekämpfung nicht nur ein technisches sondern auch ein politisches und juristisches Problem sei, erläuterte Dirk Schmidt in einem Vortrag zu Spam-Politik. Vor allem die unterschiedlichen Ansätze in den USA und der Europäischen Union seien ein Problem: Während in der EU rechtlich grundsätzlich auf Opt-In-Verfahren gesetzt wird, gilt in den Vereinigten Staaten das Prinzip des Opt-Out: Nur wer auf einer Negativliste steht, gilt als spamunwillig.

Schmidt bemängelte, dass es kaum seriöse Zahlen über den durch Spam verursachten wirtschaftlichen Schaden finden ließen. Kritik gab es auch daran, dass sich auf größerer institutioneller Ebene wie UN und OECD bislang wenige des Problems annähmen, doch hier sei auf absehbare Zeit Besserung in Sicht - Spam ist ein globales und kein regional zu lösendes Problem des Netzes. Allerdings sind viele Politiker nur mit einem eingeschränkten Bewusstsein neuer Probleme bei der Spambekämpfung ausgestattet.

Weniger hoffnungsvoll aber voller Elan sprach der Publisher von 2600 The Hacker Quarterly Eric 'Emmanuel Goldstein' Corley über die persönlichen Freiheiten in den USA. Die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit in New York City konnte Corley anhand von selbstgedrehtem Videomaterial anschaulich präsentieren: Eine friedliche Demonstrationskapelle wurde von der Polizei verhaftet - und Corley gleich mit, da er sich nicht wie die 'akkredetierte Presse' beim Polizeieinsatz vom Ort des Geschehens entfernte. Seine Einschätzung: "It was basically about getting fingerprints, I think" - aber auch dass die Inhaftierung viele der Demonstrationsteilnehmer dauerhaft abschrecken würden sei zu befürchten.

Seine Forderung daher: Jeder sollte gleich behandelt werden - wenn die USA von Europäern Fingerabdrücke für die Einreise verlangen würden, sollten die Europäer das gleiche tun. Und wenn er als unbescholtener Bürger von der Polizei um Fingerabdrücke gebeten würde, dann sollte das gleiche auch mit Condoleezza Rice geschehen. Staatlicher Autorität aktiv auf die Finger zu schauen forderte Corley: Mit Digitalkamera und Aufzeichnungsgerät sammelte er im Gefängnis aktiv Eindrücke und veröffentlichte sie auf Indymedia. Seine Filmaufnahmen von der Demonstration sorgten in einem Gerichtsprozess für eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Demonstrantin.

Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying kombinieren

Stolz über das mit viel Medienpräsenz in wenigen Jahren erreichte konnten sich die Wikipedianer präsentieren: Trotz anfänglicher Zweifel und mit einem Mix aus demokratischen und eher autoritären Elementen hat es die Wikipedia zu insgesamt mehr als einer Million Artikeln und einem hohen Bekanntheitsgrad gebracht. Ein Grund mehr für das Wikipedia-Rückgrat MediaWiki, im Rahmen des 21C3 ein Entwickler- und Communitytreffen zu veranstalten.

Von den Erfolgen der Wikipedia könnten andere Projekte lernen: "Lobbying für Nerds" hieß eine Veranstaltung am dritten Tag. Andy Müller-Maguhn vom CCC, Markus Beckedahl vom Netzwerk Neue Medien, Andreas Dietl von EDRI und Andreas Bogk sprachen über die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Einflussnahme. Dietl lieferte einen Erfahrungsbericht aus Brüssel, wie Lobbying bei den EU-Institutionen funktioniert und welche Tücken sich beim Lobbying zeigen. Gerade die physische Präsenz der Geeks beim Thema Softwarepatente habe Wirkung gezeigt - bei der Biometrie hingegen habe die versuchte Lobbyarbeit nichts gefruchtet. Beckedahl berichtete von den Schwierigkeiten und Erfolgen beim Lobbying im Bundestag und konnte von der erfolgreichen Bundestux-Kampagne berichten.

Dass der Mix aus Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit den Anliegen der Nerds mehr Aufmerksamkeit verschaffen würde, darüber war man sich auf dem Podium ebenso einig, wie dass beides ein hartes Stück Arbeit sei - insbesondere im Rahmen der vorhandenen Finanzmittel. Dennoch sei es sinnvoll und wünschenswert, wenn sich mehr User aktiv an beidem beteiligen würden, um "die Hebel zu drücken, die man drücken kann", so Andy Müller-Maguhn. Ob bis zu 22C3 mehr Hebel drückbar werden, kann die Chaos Community im Jahr 2005 dann herausfinden - der dann vielleicht vier Tage lang sein wird.