639.000 Unterschriften in Niedersachsen vom Tisch gewischt

Politikverdruss nimmt gefährliche Ausmaße an

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Die Forderung nach einem Volksbegehren gegen das Niedersächsische Kindergartengesetz unterstrichen in Niedersachsen 639.219 Menschen mit ihrer Unterschrift. Doch nach einer Empfehlung der Staatskanzlei und des Kultusministeriums soll diese Unterschriftensammlung als nicht formgerecht abgelehnt werden. Angesichts der Skandale in der Niedersächsischen Regierung, innerhalb der CDU und der SPD, erscheint diese Verfahrensweise als politisch besonders unsensibel. Sollte das Anliegen von so vielen Menschen nicht für sich allein schon ernst genommen werden?

Wenn einer besonders glaubwürdig erscheinen möchte, stellt er sich den Medien und versucht glaubhaft eine Ehrenwort-Erklärung abzugeben. Doch was nützt ein Ehrenwort, wenn zum einen der Mensch kein Ehrenmann ist und bewusst lügt oder zum anderen - trotz Ehrenwort - gegen die Gesetzeslage verstößt. Oder Politiker genießen bewusst progressiv die Flugdienste von Unternehmen oder der Flugbereitschaft des Deutschen Bundestages. Mal kennt man einen Herrn nicht und muss Tage später gestehen, dass man sogar von diesem 100.000 Mark kassiert hat. Glaubt man diesem Vorgang in der Öffentlichkeit nicht, dann schiebt man noch eine eidesstattliche Versicherung hinterher. Bei allen Kohls, Raus, Schäubles, Baumeisters oder Schreibers, den Vogel schießt zurzeit der Ministerpräsident des Landes Hessen ab. Er stellt sich besseren Wissens vor die Presse und verbreitet bewusst die Unwahrheit. Beharrlich wird der Sessel verteidigt und auch ein 97-prozentiges Votum der Partei erscheint mangels eines Gegenkandidaten eher zweifelhaft. Alle diese Damen und Herren müssten von der politischen Bildfläche verschwinden und persönlich für den Schaden haften.

Nun fragt sich der geneigte Leser, was um alles in der Welt hat das alles mit der Unterschriftensammlung gegen das Kindergartengesetz zu tun? Hier fordern fast 700.000 Menschen per Unterschrift überhaupt nichts Ehrunwürdiges, denn sie wollen nur, dass alle Niedersachsen per Volksentscheid zum aktuellen Kindergartengesetz abstimmen dürfen. Notwendig waren eigentlich nur 592.934 Unterschriften. Das Begehren soll allerdings als verfassungswidrig erklärt werden, weil im Wesentlichen auf das alte Gesetz Bezug genommen wurde und keine ausführliche Begründung vorhanden war. Hier nun den beteiligten Organisatoren und letztlich den Unterschreibenden einen unzureichenden Text auf den Unterschriftsbögen zu unterstellen, erscheint angesichts des schon vorherrschenden politischen Verdrusses wie ein Schlag ins Gesicht.

Nun kann man darüber spekulieren, ob dem Land die Erstattung der anfallenden Kosten der Betreiber des Volksbegehrens zu hoch sind oder durch Änderung des Gesetzes die Einnahmeverluste den Landesetat über Gebühr beanspruchen würden. Zumindest werden sich die Politiker auch in diesem Fall einer SPD-Regierung ernsthaft fragen lassen müssen, wie ernst und wichtig sie das Begehren von so vielen Menschen nehmen wollen. Der Text war auch den Behörden von Anfang an bekannt und hätte doch der Fairness halber schon zu Beginn der Unterschriftsaktion moniert werden können. Das Anliegen erst nach Abgabe und Auszählung der anerkennungswürdigen Unterschriften mit solchen Argumenten zu zerschlagen, wird sich auch negativ auf den vorhandenen Politikverdruss auswirken. Selbst wenn man wieder einmal der Meinung ist, dass hier zwingende Gesetzesvorschriften vorliegen, die keinen Handlungsspielraum zulassen, muss sich der Landtag mit der Novellierung des Kindertagesstätten-Gesetz auseinander setzen.

Viele Politiker sollten sich überlegen, für wen sie Politik machen - für sich und ihr Machtstreben oder für die Menschen, die sie wählen. So besteht die Gefahr, in nicht zu weiter Zukunft österreichische Verhältnisse zu bekommen.