"750.000 Pädophile sind weltweit pro Sekunde online"

Seite 2: Im Sog der eigenen Überzeugung

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Schon beim Deutschlandfunk-Beitrag stellt sich die Frage, wieso keine Qualitätskontrolle hinsichtlich kolportierter Zahlen mehr stattfindet, wieso nicht auf Quellen bestanden wird. Noch deutlicher wird die Ahnungslosigkeit im Journalismus, wenn Interviews mehr oder minder nur noch aus einer Art moderiertem Monolog bestehen. Der Journalist fungiert hier als Stichwortgeber, der selbst nicht nachhakt oder gar kritisiert, sondern dem Interviewten lediglich die Möglichkeit gibt, seine bisherigen Überzeugungen 1:1 in die Öffentlichkeit zu streuen.

So lässt beispielsweise die Süddeutsche Zeitung in einem Interview Michael Osterheider, dem Leiter der Anlaufstelle für Pädophilie in Regensburg, Zeit und Raum, seine bisher unbewiesene Anfixhypothese (die von ihm selbst Sogwirkung genannt wird), als Tatsache darzustellen, ohne auch nur eine einzige kritische Anmerkung zu machen.

Dabei drängen sich Fragen förmlich auf. Zum Beispiel die, wie sich Osterheiders Behauptung: "Wir wissen, dass durch den Konsum von Kinderpornos eine Sogwirkung entsteht", mit seiner kurz darauf gemachten folgenden Aussage verträgt:

Zunächst befriedigen die Videos und Fotos die sexuellen Bedürfnisse des Pädophilen. Doch irgendwann - in einigen Fällen nach Monaten oder Jahren - reicht manchen Männern das nicht mehr. Sie wollen ihre Phantasie dann in die Tat umsetzen und suchen verstärkt die Nähe zu Kindern und werden ihnen gegenüber teilweise sexuell übergriffig.

Pädophile Frauen

Weiter behauptet Osterheider in der SZ, es gebe keine pädophilen Frauen. Das steht im Widerspruch zu Aussagen des Projekts "Kein Täter werden", dem der Interviewte selbst vorsteht. In den FAQs des Projekts heißt es, dass Pädophilie bei Frauen nach derzeitigem Kenntnisstand sehr selten sei, aber zumindest bei einer Frau in Berlin diagnostiziert wurde.

Man mag einwenden, dass dies ja nur eine Frau ist. Trotzdem widerlegt dies die Behauptung, dass es (generell) keine pädophilen Frauen gebe. In diesem Zusammenhang ist außerdem bemerkenswert, dass die Süddeutsche Zeitung selbst zum Thema pädophile Frauen schrieb (und dabei Zahlen anführte, die natürlich ohne Quellenangabe blieben):

"Bei sexuellem Missbrauch von Kindern lag die 'Frauenquote' bei 3,9 Prozent, beim Besitz von Kinderpornos bei 6,8 Prozent. Die Dunkelziffer, da sind Experten sich einig, liegt weitaus höher."

Es wäre im Sinne der Öffentlichkeit wie auch der Medien, die derzeit über Pädophilie berichten, die Befragten nicht einfach nur ihre Standardsätze herunterrasseln zu lassen, sondern sich ausführlich mit der Thematik auseinanderzusetzen und so tatsächlich einmal Einblicke in das Themenfeld zu gewähren, anstatt lediglich dafür zu sorgen, dass unbelegte Ansichten als Fakten transportiert werden.

Die bisherige Ausbeute an Artikeln, die sich dem Thema wirklich sorgfältig annähern, ist mager. Das umfasst nicht nur den medizinischen Teil - auch rechtliche Aspekte werden oft nur teilweise richtig wiedergegeben, wenn z.B. Spiegel Online schreibt, dass bereits die Suche nach Kinderpornographie im Internet strafbar sei. Im mittlerweile abgeänderten Spiegel Online-Artikel fehlt bereits ein Teil der "wichtigsten Fragen und Antworten". Diese Änderung wird in der Fußnote nur kurz erläutert:

"In einer früheren Version des Artikels wurde eine angebliche Interpol-Schätzung zum weltweiten Umsatz mit Kinderpornographie angeführt. Für die genannte Zahl gibt es keine belastbare Quelle. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen."

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