8. Mai 1945: "Konsens, dass es auch ein Tag der Befreiung war"
Seite 3: Kein pauschales Gedenken an "Opfer totalitärer Regime"
- 8. Mai 1945: "Konsens, dass es auch ein Tag der Befreiung war"
- Krieg als Erinnerungsort
- Kein pauschales Gedenken an "Opfer totalitärer Regime"
- Auf einer Seite lesen
Sie beschreiben in Ihrem Buch die Konkurrenz des Gedenkens, wie Adenauer etwa die Vertriebenen an die Stelle der, wie Sie unter Bezug auf den SPD-Politiker Rolf Wernstedt schreiben, "primären Nazi-Opfer" traten; ebenso die deutschen Kriegsgefangenen. Später wurde der 17. Juni in Westdeutschland zum Feiertag, nie aber der 8. Mai. Erleben wir erneut eine solche Palimpsestierung des Gedenkens?
Ernst Piper: Die von Ihnen angesprochenen Vorgänge sind Phänomene des Kalten Kriegs, gerade auch die Erhebung des 17. Juni zum Feiertag. Konsequenterweise gibt es diesen Feiertag seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Der 8. Mai ist der Tag der deutschen Kriegsniederlage.
Daraus kann man kaum einen deutschen Feiertag machen. Aber es gibt seit Jahrzehnten große Gedenkveranstaltungen. Und spätestens seit Richard von Weizsäckers Rede 1985 ist es weithin Konsens, dass es eben auch ein Tag der Befreiung war.
Das Europäische Parlament hat schon vor 13 Jahren den 23. August, den Tag, an dem 1939 der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet worden war, zum "europaweiten Gedenktag an die Opfer aller totalitären Regime" erklärt. Wohin geht diese Entwicklung, wer treibt sie an – und warum?
Ernst Piper: Dieser Beschluss geht auf eine Initiative einiger rechtsstehender osteuropäischer Politiker wie Viktor Orbán zurück. Dieser Gedenktag ist bis heute weithin unbekannt. In Deutschland und, soweit ich sehen kann, auch in den allermeisten anderen europäischen Ländern wird er von der überwältigenden Mehrheit der Wissenschaft, aber auch der gesellschaftlichen Kräfte abgelehnt.
"Die Russen" – als Synonym für die Soldaten der multiethischen Roten Armee – waren in Deutschland stets als diejenigen akzeptiert, die zum Ende des Hitler-Regimes entscheiden beigetragen haben. Das wirkte sich stets auch auf die Haltung gegenüber Moskau aus. Was hat sich seit dem 24. Februar geändert?
Ernst Piper: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Noch heute fällt es vielen Deutschen schwer, zwischen Russland und der Sowjetunion zu unterscheiden. Die Sowjetunion bestand aus 15 verschiedenen Sowjetrepubliken. Und die Ukrainer waren diejenigen von allen Völkern, die in Relation zu ihrer Größe im Zweiten Weltkrieg am meisten Opfer zu beklagen hatten. Auch Auschwitz wurde von einem ukrainischen Bataillon befreit. Ich fürchte, den allermeisten Menschen hierzulande ist das alles nach wie vor viel zu wenig bewusst. Da hat sich noch nicht viel geändert seit dem 24. Februar.
Wie werden Sie am Sonntag oder Montag des Geschehnisses vor 77 Jahren gedenken?
Ernst Piper: Ich fahre am Sonntag in den Urlaub und werde deshalb dieses Jahr nur durch die Vermittlung der Medien am Geschehen teilnehmen. Aber da versäume ich nicht wirklich etwas, weil der Berliner Senat sich angesichts des Kriegs in der Ukraine für ein stilles Gedenken entschieden hat und alle offiziellen Veranstaltungen ausfallen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.