"80 Prozent der Bewohner des Donbass wollen nicht zurück in die Ukraine"
Ex-SBU-Generalmajor Vovk fordert in einem Interview Realismus, der im G7-Abschlusscommuniqué auch nicht vorhanden ist, Freedom House warnt vor erstarkendem Rechtsextremismus in der Ukraine
Bundeskanzlerin Merkel war ganz vorne mit dabei, den Vorschlag von Donald Trump, Russland wieder zum G7-Gipfel einzuladen, zurückzuweisen. Nur der neue italienische Regierungschef Conte hatte Trumps Vorschlag zunächst begrüßt, sich aber dann wieder in die Ablehnungsfront eingereiht. Merkel sagte dazu, man sei sich einig gewesen, "dass eine Rückkehr Russlands zum G7-Format nicht erfolgen kann, solange nicht wirklich substanzielle Fortschritte im Hinblick auf die Probleme mit der Ukraine erreicht wurden".
Im Abschlusscommuniqué, aus dem Trump nachträglich wieder ausgestiegen war, heißt es zu dem Thema in altbekannter Manier, Russland müsse sein "destabilisierendes Verhalten, demokratische Systeme zu untergraben, und seine Unterstützung des syrischen Regimes beenden". Wiederholt wird, obgleich die Bundesregierung gerade einräumen musste, dafür keinerlei Beweise erhalten zu haben, dass Russland für den Anschlag auf die Skripals verantwortlich gemacht wird. Identisch werden die Begründungshülsen weiter verwendet, um die unbegründete Behauptung in den Köpfen der Menschen zu zementieren. Man stimme mit der britischen Regierung übereinstimme, dass "es sehr wahrscheinlich ist, dass die Russische Föderation für den Angriff verantwortlich ist und dass es keine plausible alternative Erklärung dafür gibt".
Zur Ukraine werden ebenfalls die zum Ritual gewordenen Forderungen erhoben. Nach einer Verurteilung der "illegalen Annexion der Krim" wird die kritiklose Unterstützung der Ukraine betont und das bisherige Scheitern der Umsetzung des Minsker Vereinbarungen alleine Russland in die Schuhe geschoben, weswegen die Fortführung der Sanktionen auch gerechtfertigt sei. Russland wird mit weiteren "restriktiven Maßnahmen zur Erhöhung der Kosten für Russland" gedroht, sollten dessen Aktionen es erforderlich machen.
Behörden gehen gegen gewalttätige Rechtsextremisten nicht vor
Mittlerweile warnt selbst die Freedom Foundation, der man keine prorussische Haltung unterstellen kann (Russland gilt als "nicht frei", die Ukraine als "teilweise frei"), vor dem wachsenden Rechtsextremismus in der Ukraine, der die Demokratie gefährden könne. In einem Bericht, der vor dem G7-Gipfel Ende Mai veröffentlicht wurde, heißt es, dass rechtsextreme Gruppierungen, die teilweise paramilitärisch organisiert und bewaffnet sind, bei den Wahlen zwar noch keine Chancen hätten, sie aber aggressiv versuchen würden, ihre Agenda in der Gesellschaft durchzusetzen. Sie seien eine "körperliche Bedrohung" für alle linken, feministischen, liberalen und LGBT-Aktivisten, für Menschenrechtler und für ethnische und kulturelle Minderheiten. In den letzten Monaten seien diese Gruppen immer aktiver geworden, die Behörden würden gegen sie auch bei Gewaltanwendung nicht vorgehen.
Der Bericht der Freedom Foundation sieht den Beginn der Ausbreitung des Rechtsextremismus nach der "Euromaidan-Revolution und der fortgesetzten russischen Aggression". Davor seien seit der ukrainischen Unabhängigkeit rechtsextreme Gruppen nur marginal gewesen: "Doch in den letzten Jahren haben extreme nationalistische Ansichten und Gruppen zusammen mit ihren Predigern und Propagandisten eine bedeutsame Legitimität in der Gesellschaft erhalten."
Rückgabe der Krim und Wiedereingliederung des Donbass in naher Zukunft unmöglich
Für die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine bedankte sich Präsident Poroschenko. Die Ukraine bleibe eine "Priorität der Freien Welt". Gegenüber Russland sagte er: "Die Konditionen sind klar: Erstens Anerkennung des internationalen Rechts, Beendigung der Aggression im Donbass und Zurückgabe der Krim an die Ukraine. Ansonsten wird der Preis für Moskau für seine Aggression gegen die Ukraine und seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten weiter steigen!"
Bei dem heutigen Treffen der Außenminister im "Normandie-Format" drängt die Ukraine auf die Freilassung der "politischen Gefangenen" in Russland und setzt dabei auf einen Austausch mit dem wohl auch deswegen wegen Landesverrats inhaftierten russisch-ukrainischen Journalisten Kirill Vyshinsky (Wischinski), dem Leiter von RIA Novosti Ukraine. Putin weist bislang das Ansinnen zurück, weil Vyshinsky wegen seiner beruflichen Tätigkeit inhaftiert, während Sentsov wegen der Vorbereitung eines Anschlags verurteilt worden sei.
Den Forderungen nach einer Rückgabe der Krim und der Wiedereingliederung des Donbass in die Ukraine setzte jedoch eine Einschätzung ausgerechnet aus dem Geheimdienst SBU einen Dämpfer auf. In einem Interview mit Obozrevatel.com, einem ukrainischen Sender, sagte gestern der ehemalige Leiter der Hauptuntersuchungsabteilung des SBU, Generalmajor Vasily Vovk (Wowk), es gebe "in naher Zukunft" keine Möglichkeit, "unsere Territorien zu befreien".
Als einen Grund dafür nannte er, dass die Menschen im Donbass größtenteils nicht in die Ukraine zurückwollen. Während in der Ukraine geglaubt wird, dass 60 Prozent der Menschen im Donbass wieder in die Ukraine zurückwollen, gebe es andere Daten, die näher an der Wirklichkeit seien: "80 Prozent der Bewohner des Donbass wollen nicht zurück in die Ukraine, egal wie sehr ich dies bedaure. Ich könnte sagen, dass sie alle Patrioten sind und dass sie unterdrückt werden, aber sie haben fast alle russische Pässe." Auf der Krim hasse man sogar die Ukraine, die Menschen würden lediglich ihre ukrainischen Pässe behalten, um in die Ukraine gelangen und von dort ins Ausland reisen zu können.
Es sei wichtig, nicht zu behaupten, 99 Prozent der Menschen wollten wieder in die Ukraine zurück: "Wir kennen die reale Situation, nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch in den um sie herum in der 'Grauzone' und darüber hinaus liegenden Gebieten schauen sie mehr nach Russland."
Vovk war wegen antisemitischer Äußerungen aufgefallen und bis Juni 2017 Leiter der MH17-SBU-Ermittlungen im Rahmen des Gemeinsamen Ermittlerteams (JIT). Am 19. Juni wurde er entlassen. Er vertrat auch nach der Entlassung die Ansicht, dass die Buk, mit der die MH17 abgeschossen wurde, aus Russland kam und von entsprechend ausgebildeten russischen Soldaten bedient worden war, sagte aber auch einmal, man untersuche auch, ob sie aus der Krim hätte kommen können. Der Abschuss sei jedenfalls von einem von Separatisten kontrollierten Ort erfolgt.
Der Generalmajor hat keine offensichtlichen prorussischen Tendenzen. 2015 hatte er, nachdem der Abgeordnete Oleg Kalashnikov, früher Partei der Regionen, und tags darauf die Journalistin Oles Buzina in Kiew ermordet worden waren, die "Ukrainophoben" aufgefordert, ihren Mund zu halten oder ihre Rhetorik herunterzufahren: "Niemand darf sich gegen die Ukraine oder das Ukrainisch-Sein stellen."
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