9/11 für Bangladesch

Seite 2: Historischer Wendepunkt?

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Das hört sich auf den ersten Blick gut an, zumal sich – allerdings erst nach(!) dem Druck der Presseberichterstattung Ende April – 32 namhafte Konzerne wie H&M, C&A, Lidl, Otto, kik, Zara, Aldi, Esprit daran beteiligen möchten. Vor dem Fabrikeinsturz gab es kaum Resonanz aus der Wirtschaft für das lange ausgehandelte Auskommen, nur Tchibo und Calvin Klein waren als große Namen genannt worden. Für vier Millionen Beschäftigte in Bangladesch soll diese Absichtserklärung ein "historischer Wendepunkt" sein.

Ein historischer Wendepunkt? Ob es das wirklich ist, bleibt fraglich aus verschiedenen Gründen: Zum einen ist der Vertrag tatsächlich nur auf fünf Jahre angelegt und tritt nur(!) in Bangladesch in Kraft, weshalb Sommer auch von "Modellcharakter" spricht. Zweitens haben internationale Branchenriesen wie Wal-Mart, Gap oder Metro – alleine letzteres Unternehmen betreibt rund 1.200(!) Fabriken in Asien – keinerlei Interesse an einer freiwilligen Zusammenarbeit bekundet. Das dritte Problem dürfte die Transparenz sein. Sommer warb mit der Neuartigkeit des Commitments:

Sie gibt den Beschäftigten nicht nur Rechtssicherheit, sondern schafft transparente Mechanismen zur Überwachung und Umsetzung von vereinbarten Standards. Scheinbar eindrucksvolle Zertifizierungen und Selbstverpflichtungserklärungen an den Toren maroder Fabriken helfen den Menschen nicht weiter.

Dass darauf Verlass ist in Zukunft, darf bezweifelt werden. Schon bisher ließen sich deutsche Unternehmen ihre Standards vor Ort von den Auslandsdependancen des TÜV Bangladesch zertifizieren. Man hoffte, dass der anerkannte Ruf des TÜV das soziale Image verbessern sollte. Reporter des ARD-Magazins Monitor wiesen jüngst aber nach, dass die TÜV-Kontrollen nichts mit der Realität zu tun haben und in Wahrheit eher gekaufte Gütesiegel sind. Das neue Abkommen wirbt nun mit Prüfsiegeln der Washingtoner NGO CCC (Clean Clothes Campaign). Da diese allerdings im Dunstkreis der Wirtschaftslobby angesiedelt ist, ist die Transparenz wohl auch hier ein fragwürdiger Aspekt. Ein ähnlich kurioser Umstand wie Wirtschaftswissenschaftler, die guthonorierte Studien zur Armut "erarbeiten" - und damit vor allem ihre eigene bekämpfen.

Der vierte und wichtigste Kritikpunkt an dem Abkommen der sogenannten Wirtschafts-Initiative "Saubere Kleidung" muss aber sein, dass es unter dem medialen Eindruck der Katastrophe vom letzten Jahr "nur" um den Brandschutz und einen grundlegenden Arbeitsschutz geht, der eigentlich selbstverständlich sein sollte. Zwar könnte die Verbesserung des Brandschutzes in Zukunft hunderte Menschenleben retten – schlimm genug, dass es dazu Verhandlungen bedurfte – und damit ergibt es einen kleinen Unterschied, der für die Bangladeschis einer um Leben und Tod ist.