Abbas kündigt vorgezogene Neuwahlen an
Blutiger interner palästinensischer Konflikt spitzt sich zu
Nur elf Monate nach den letzten Parlamentswahlen werden die Palästinenser in Westjordanland und Gazastreifen ihre politische Führung neu wählen. Dies kündigte Präsident Mahmud Abbas am Samstag in einer seit Wochen erwarteten „wichtigen Rede" an. Nicht nur das Parlament, das seit den Wahlen im Januar von der Hamas dominiert wird, soll neu gewählt werden. Auch Präsident Abbas (Fatah), im Amt seit Januar 2005, will sich erneut einer Abstimmung stellen. Ein Termin für Neuwahlen steht aber noch nicht fest.
Die Ankündigung folgt auf Wochen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas. In einem Überfall, der die gesamten palästinensischen Gebiete erschütterte, waren am Montag drei Kinder eines Fatah-Sicherheitsbeamten in Gaza im Kugelhagel gestorben. Die Hamas lehnt die Verantwortung allerdings ab. Palästinenser aus Gaza schreiben die Mordtat einer verfeindeten Familie zu. Zwei Hamas-Minister entkamen Anschlagsversuchen. Ein Richter der Hamas wurde getötet. Selbst Ministerpräsident Ismail Haniya (Hamas) musste sich am Freitag nach seiner Rückkehr von einer Reise durch mehrere islamische Staaten in den Gazastreifen vor Kugeln in Sicherheit bringen. Bei dem Anschlag wurde ein Leibwächter getötet, Haniyas Sohn verletzt.
Waren derartige Kämpfe bislang auf den Gazastreifen beschränkt, brachen sie am Freitag auch im Westjordanland aus. In Ramallah wurde ein Marsch der Hamas von der Präsidentengarde (Fatah) gestoppt und beschossen. Die Demonstranten schossen zurück. Mehrere Menschen wurden verletzt. Protestmärsche, auf denen auch Waffen mitgeführt werden, organisieren verschiedene Gruppen in Ramallah fast jeden Freitag. Allerdings sind diese noch nie behindert worden.
Außenminister Mahmud Zahar (Hamas) lehnt vorgezogene Parlamentswahlen ab. „Wir haben doch erst vor einem Jahr gewählt", so Zahar nach der Abbas-Rede. „Sollen wir solange wählen, bis der Fatah das Ergebnis gefällt?" Nicht nur Korruption und Misswirtschaft der Fatah verhalfen der Hamas vor einem Jahr zum Sieg. Uneinigkeit in der Fatah selbst verhinderte einen geschlossenen Auftritt der Partei, die auch das Jahr in der Opposition nicht zu Reorganisierung und Neuausrichtung nutzte. „Es sind immer noch die alten Gangster, die in der Fatah das Sagen haben", so ein palästinensischer Beobachter am Rande der Abbas-Rede in Ramallah. „Nachrücker haben keine Chance. Eigentlich können sie sich nur abspalten und eine Fatah-Reformpartei gründen, wenn sie ihren Einfluss geltend machen wollen."
Präsident Abbas forderte Neuwahlen als Voraussetzung zur Bildung einer Nationalen Einheitsregierung. Dementsprechende Gespräche zwischen Fatah und Hamas scheiterten allerdings vor vier Wochen. Laut Abbas ist jedoch nur eine Regierung, an der alle Partien beteiligt sind, in der Lage, die interne Sicherheitskrise und den Finanzboykott internationaler Geberländer zu beenden. Darüber hinaus hält Israel seit März den Palästinensern zustehende Zölle und Steuern zurück, etwa 60 Millionen US-Dollar monatlich. Aufgrund der Finanzkrise erhielten die 160.000 palästinensischen Beamten in den letzten Monaten nur einen Teil ihres Gehalts. Der Unmut ist groß, viele Sektoren werden bestreikt.
Palästinensische Beobachter gehen davon aus, dass die Fatah die Finanznot der Beamten jetzt zum Wahlsieg nutzen will. Auf Demonstrationen werden oft Parolen wie „Weg mit der Hamas, bringt uns die Diebe zurück" gerufen. Die Bevölkerung ist sich also durchaus im Klaren über die Zusammensetzung der Fatah-Führung. Korruptionsverwicklungen ihrer Mitglieder werden in der palästinensischen Presse offen diskutiert. Allerdings ist die seit 1989 unveränderte Fatah-Führung international anerkannt und damit in der Lage, die notwendigen Finanzhilfen wieder ins Land zu bringen, auch wenn sie sich davon einen Gutteil in die eigenen Taschen wirtschaftet.
„Wenn es sein muss, können wir noch lange von Brot und Olivenöl leben", sagt dagegen Ministerpräsident Haniya immer wieder, „aber wir werden nicht aufgeben." Die streikenden Beamten der Autonomiebehörde fordern jedoch nicht nur ihre ausstehenden Gehälter ein, sondern wollen auch eine Führung, die ihnen eine politische Perspektive bietet. Und dazu war die Hamas seit März nicht in der Lage.