Abes Japan
Warum kann sich der rechtskonservative Politiker trotz Wirtschaftsproblemen, Skandalen, Korruption, Aufrüstung und Gleichschaltung der Medien so lange an der Macht halten?
Als am 16. Dezember 2012 Shinzō Abe nach einem Erdrutschsieg seiner Liberal-Demokratischen Partei, kurz LDP, zum zweiten Mal in seinem Leben das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, glaubte in Japan niemand, dass diese Amtszeit von langer Dauer sein würde. Japanische Regierungen haben viele daran erinnert, dass solche Posten traditionell eine kurze Lebenserwartung haben. So ist es bemerkenswert, dass der rechtskonservative Politiker heute, fünfeinhalb Jahre später, auf einem guten Weg ist, als einer der längst dienenden Staatschefs des Inselstaates in die Geschichte einzugehen.
Dabei waren es nicht so sehr sein politisches Geschick oder Weitsicht und auch nicht die ebenso gepriesene wie verschmähte Abenomics, die dem Politiker, zuletzt bei den vorgezogenen Wahlen in November 2017, zum erneuten Wahlsieg verhalfen. Vielmehr spielten ihm innere und äußere Ereignisse in die Hand und der politische Gewinn, den er daraus zog.
Abe trat 2012 mit dem Slogan "Nippon o Torimodosu" ("Holen wir uns Japan zurück") an. Er versprach wirtschaftliche Erholung seines Landes von der zwei Jahrzehnte anhaltenden Lethargie sowie die Stärkung des japanischen Nationalbewusstseins. Die Eckpunkte seines Programmes: Geldschwemme historischen Ausmaßes, verbunden mit massiven staatlichen Investitionen; das Festhalten an Nuklearenergie trotz der Kernschmelze in Fukushima und eine harte Linie bei Streitthemen mit China und Südkorea.
Trotz eines glücklosen einjährigen Intermezzos als Ministerpräsident in 2007, verkörperte er bei seinem zweiten Anlauf das Image des starken Mannes, des Aufräumers, auf den nach dem politischen Dauerstreit, aber vor allem nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011, viele in Japan gewartet hatten.
Das System LDP
Zu viel Macht korrumpiert bekanntlich, vor allem wenn eine Partei, wie die LDP seit 60 Jahren fast ununterbrochen die Geschicke des Landes lenkt. Auf das Konto der LDP geht ein System von wechselseitigen Abhängigkeiten der Bürokraten, der Industrie- und Baulobby und der Politik.
Die Bauindustrie erhält großzügige öffentliche Aufträge, die zu einem großen Teil für die weltweit höchste Staatsverschuldung Japans verantwortlich zeichnen. Im Gegenzug dafür erhalten viele hochrangige Bürokraten und Politiker nach ihrer Pensionierung gut dotierte Jobs im Management großer privater Unternehmen. Überdurchschnittlich viele Japaner, etwa fünfmal so viele wie in Deutschland, arbeiten in der Baubranche.
Um diese nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre am Leben zu erhalten, wurden zahlreiche ökonomisch fragwürdige Infrastrukturprojekte wie Tunnels und Autobahnen in kaum bewohnte Gebiete, überdimensionierte Veranstaltungshallen in kleinen Gemeinden, Flussregulierungen, Staudämme, oder Betonschutzmauern entlang tausender Küstenkilometer in Angriff genommen. Diese Politik setzte Shinzō Abe fort und nach dem Tsunami vom März 2011 regnete es von den Tokioter Bürokraten für die Bauwirtschaft sprichwörtlich Geld.
Auch die Vergabe der Olympischen Spiele 2020 an Tokio wurde als Abes großer Triumpf gefeiert. Japaner sind ein sportbegeistertes Volk, Sport gilt seit jeher als identitätsstiftend. Fernsehnachrichten widmen diesem mehr Zeit als der Politik, jedes Schulkind wird mit extensiven außerschulischen Sportaktivitäten zwangsbeglückt. Offene Kritik oder gar Widerstand gegen die geplanten Großinvestitionen an den Austragungsstätten gab es keine. Denn die Spiele gelten freilich als eine Riesenchance für die Bauwirtschaft. Für die Errichtung neuer Sportanlagen und der dazugehörigen Infrastruktur in Tokio wurden sogar Baufirmen und Arbeiter von den Baustellen an der vom Tsunami betroffenen Ostküste Nordjapans abgezogen, was zu Verzögerungen beim Wiederaufbau führte.
Das ganze Land fiebert mit den Olympia-Vorbereitungen mit, nicht so Sport-Ökonom Andrew Zimbalist vom Smith-College, der die Erwartungen dämpft. Zimbalist zitierte eine Studie der Oxford Universität, wonach so gut wie alle Olympischen Sommerspiele seit 1980 im Schnitt das geplante Budget 3,5 Mal überschritten hätten. Da werde Tokio wohl keine Ausnahme sein, so der Experte. Offiziell sind dafür 12.6 Milliarden USD veranschlagt, die Tokioter Präfektur nennt hingegen in einem ihrer Berichte einen Betrag von 27 Milliarden USD.