Abes Japan

Seite 3: Abes Wirtschaftspolitik: Stumpfe Pfeile

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Shinzō Abes Wirtschaftspolitik profitierte am Ende mehr von der sich zyklisch erholenden Weltwirtschaft als von der lockeren Geldpolitik und den massiven Investitionen in die Infrastruktur. Die "Drei Pfeile" der "Abenomics", die quantitative Lockerung, ein gigantisches Konjunkturprogramm und die Steigerung der Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen, schossen bis vor Kurzem zumeist ins Leere.

Der von Abe eingesetzte Notenbankchef Haruhiko Kuroda versuchte die Geldbasis, Bargeld und Einlagen der Geschäftsbanken, bei der Notenbank zu verdoppeln. Die Bank of Japan, kurz BOJ, kaufte nicht nur Staatsanleihen, sondern auch börsennotierte Indexfonds und Immobilienfonds auf. Das Ziel war es, endlich aus der seit dem Platzen der gigantischen Immobilienblase der frühen 1990-er Jahre festgefahrenen Deflationsspirale herauszukommen. Der Erfolg ist überschaubar. Die BOJ finanziert mit diesem Programm die Staatsverschuldung, die mit 234% des BIP bereits die höchste unter allen OECD-Staaten ist.

Beim Konjunkturprogramm, also Abes zweitem Pfeil, lieh sich der japanische Staat weiteres Geld von der Notenbank, um es an die Beschäftigten der öffentlichen und privaten Unternehmen, die von den Konjunkturprogrammen profitieren, weiterzureichen. Dadurch sollte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gesteigert werden. Die Regierung verkauft die Abenomics als ihren großen Erfolg, doch die japanische Wirtschaft ist im Schnitt um nur 0,7 Prozent gewachsen und die Inflation bleibt nach wie vor flach. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die Wirtschaft sogar um 0.2 Prozent geschrumpft. Angesichts der demographischen Entwicklung, der stagnierenden Löhne und des fallenden Lebensstandards überrascht es nicht, dass sich die Japaner weiterhin weigern, ihre Konsumausgaben zu steigern. Angesichts der wachsenden Auslandskonkurrenz verlieren Japans Unternehmen zunehmend ihre bisherige Schlüsselstellung.

Die Skandale im Zusammenhang mit Qualitäts- und Datenfälschungen japanischer Firmen wirken zusätzlich negativ auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Erst die Belebung der Weltkonjunktur, ein unerwarteter Tourismusboom sowie Anpassungen des Erbschaftssteuersatzes haben der japanischen Ökonomie zu einem schwachen Aufschwung verholfen. Dies sind aber keine nachhaltigen Faktoren. Viel eher ist zu befürchten, dass es nach dem olympischen Investitionsboom zu einem neuerlichen Einbruch kommen könnte.

Abe, der Ideologe

Statt seine Zeit für überfällige Strukturreformen zu nutzen, widmete sich Shinzō Abe lieber seinem eigentlichen Ziel - der ideologischen Mission. Zum einen wurden in Mai 2017 die umstrittenen Verschwörungsgesetze verabschiedet. Diese sollen helfen, geplante schwere Taten, wie etwa mögliche Terroranschläge rund um die Olympischen Spiele in Tokio, zu vereiteln. Dieser Gesetzeskomplex, der 277 diverse kriminelle Handlungen umfasst, wird es laut Kritikern der Regierung erlauben, Freiheitsrechte und Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden, Proteste zu unterdrücken und der Verfolgung von Gewerkschaftsaktivisten, politischen Parteien und Bürgergruppen Tür und Tor öffnen.

Joseph Cannataci, ein hoher UN-Vertreter und Sonderberichterstatter für Datenschutz, warnte in einem Brief an Abe vor großen Risiken für die Freiheitsrechte der japanischen Bürger, wofür er eine heftige Abfuhr bekam. Bereits davor hatte Abe, trotz massiver Kritik, ein drakonisches Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen, gemäß welchem Beamte, Journalisten und Whistleblower bis zu zehn Jahren Gefängnis riskieren, durchs Parlament gepeitscht.

Was die Regierung zum Geheimnis erklärt, soll 60 Jahre lang unter Verschluss gehalten werden. Als aufgebrachte Bürger dagegen protestierten, bezeichnete dies Abe als "einen Akt des Terrorismus". So mag es nicht verwundern, wenn in Japan George Orwells "1984" wieder ein Bestseller ist und in Theatern aufgeführt wird.

Abe macht aus seiner Weltanschauung keinen Hehl. Dank der Kontrolle der Medien werkelt die LDP nicht nur an der Gegenwart, sondern auch an der Vergangenheit. Nach dem heftig kritisierten Besuch des Tokioter Yasukuni-Schreins in 2013, in welchem der verurteilten Kriegsverbrecher gedacht wird, entsendet der Premierminister regelmäßig Opfergaben und Abordnungen seiner Parlamentarier. Sein in Schulbüchern und in den Medien vermitteltes revisionistisches Geschichtsbild ist in erster Linie an die junge Generation gerichtet.

Bereits 1993 hatte die japanische Regierung die Schuld für die Internierung der sogenannten "Trostfrauen" in japanischen Armeebordellen, v.a. Koreanerinnen, offiziell eingestanden. Abes Regierungssprecher brachte das Thema jedoch wieder auf und so heißt es nun, man wolle die Aussagen der Frauen überprüfen. Abe selbst sagte einst, er glaube nicht daran, dass Frauen zur Arbeit in Armeebordellen gezwungen worden wären. Durch solche Aussagen fühlen sich nationalistische Kreise bestärkt - rassistische Gruppen kommen immer offener aus der Deckung: Schwarze Vans, die über Lautsprecher nationalistische Parolen posaunen, sind in Großstädten immer häufiger anzutreffen, Buchhandlungen bieten unverhohlen antikoreanische und antichinesische Literatur an.

Laut dem japanischen Justizministerium gab es 2013 und 2014 im Schnitt jeden Tag eine antikoreanische oder antichinesische Demonstration. Auf Internetforen florieren Hass und Xenophobie wie nie zuvor. 2016 sah sich das Parlament gezwungen, ein Gesetz gegen Hassrhetorik zu verabschieden. Die Anzahl der Demonstrationen fiel daraufhin auf die Hälfte.

Abe, der Pragmatiker

Doch bei aller Kritik, Shinzō Abe ist ein Pragmatiker und Realpolitiker. Er gab dem Druck der Wirtschaftsverbände und der demographischen Entwicklung nach und ließ inzwischen über eine Million Gastarbeiter aus Vietnam, China oder Nepal ins Land zu.

Diese Menschen werden mit Studentenvisum oder als "technische Praktikanten" nach Japan geholt, mit diesem Trick weicht die Regierung der Diskussion über Einwanderung aus. So wurde damit im traditionell fremdenskeptischen Inselstaat eine stille Revolution eigeleitet, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Die LDP-Regierung liberalisierte die Einreisebestimmungen für chinesische Staatsbürger. Was folgte, war ein präzedenzloser Tourismusboom.

Auch wenn es Abe in erster Linie um die Ankurbelung des privaten Konsums geht, spricht er viel über Sozial- und Arbeitsmarktreformen, über Stärkung der Frauenrechte und über den Ausbau der Kinderbetreuung. Er will mit Gesetzen mit der "workoholischen" Arbeitskultur seiner Landsleute brechen. Abe setzte sich auch für die Unterzeichnung der kontroversen Transpazifischen Partnerschaft, kurz TPP, ein, die eine weitgehende Liberalisierung im Außenhandel mit den USA und mit Ländern der Pazifikregion bedeutete.

Shinzō Abe and Donald Trump in Washington (2017). Bild: 内閣官房内閣広報室 / CC-BY-SA-4.0

Donald Trump legte TPP zwar vorerst aufs Eis, so folgten dennoch weitere Abkommen, etwa das Japan-EU Economic Partnership Agreement mit der Europäischen Union. Damit könnte Japan, wohl erstmals in der jüngsten Geschichte, seinen Markt in einem bedeutenden Ausmaß für ausländische Produkte zugänglich machen. Im außenpolitischen Bereich hat Abe trotz der oft feindlichen Rhetorik erkannt, dass Japan China mehr benötigt als vice versa.

Die Töne in Richtung des großen Nachbarn, aber auch in Richtung Südkorea, sind versöhnlicher geworden. Sollte jedoch Shinzō Abe über die zahlreichen Skandale stolpern, so wird der umstrittene Politiker dessen ungeachtet seinem Land, wie nur wenige vor ihm, einen prägenden Stempel aufgedrückt haben.