Abes Japan
Seite 2: Abe unter Druck
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Gleichzeitig gerät Abe innenpolitisch zunehmend unter Druck, denn manche seiner Zielsetzungen nahmen eine unerwartete Wendung. Mit der Entspannungspolitik zwischen Nordkorea und den USA tritt langsam jener Außenfeind in den Hintergrund, dem Abe einen Gutteil seiner innenpolitischen Stärke verdankte. Zahlreiche Skandale verfolgen ihn seit Jahren, doch jede aus Pjöngjang abgeschossene Rakete vermochte es, diese Affären für eine Zeitlang in Vergessenheit geraten zu lassen.
So soll der Premierminister das Unterrichtsministerium bedrängt haben, seinem Freund ein wertvolles Grundstück für den Ausbau einer Privatuniversität zu schenken und diese mit millionenschweren staatlichen Subventionen zu stützen. Zeugen in dieser Affäre wurden in der regierungsfreundlichen Zeitung Yomiuri Shinbun mit Schlamm beworfen.
In einem anderen Skandal hat eine nationalistische Organisation ihre Kontakte zur Familie Abe genutzt, um für ihre private Schule, die in ihrem Curriculum Militarismus im Geiste der Zwischenkriegszeit führt und Hass gegen Koreaner und Chinesen schürt, Land zu einem Spottpreis zu erwerben. Das Finanzministerium räumte ein, Dokumente zum Kauf des Grundstücks gefälscht zu haben, unter anderem wurde der Name von Abes Ehefrau entfernt. Die Zustimmungswerte für die Regierung fielen daraufhin auf unter 40 Prozent.
Dass Abe so lange davonkommen konnte, verdankte er Umständen, die sich seiner Machtsphäre entzogen. Innenpolitisch spielte dem Premierminister der Umstand in die Hände, dass die Opposition Ende 2017 regelrecht implodierte. Zu Abes LDP gibt es derzeit keine Alternative. Kim Jong Un bescherte ihm mit wiederholten ballistischen Tests, in welchen interkontinentale Raketen das japanische Territorium überflogen und für Angst und Schrecken sorgten, immer wieder neue Argumente, sein Land militärisch zu stärken.
Die pazifistische Nachkriegsverfassung, die Japan den Besitz eigener Streitkräfte, die Teilnahme an Kriegen und den Export von Waffen untersagt, soll mit der Abschaffung des "Artikel 9" oder des "Friedensparagraphen" schrittweise ausgehebelt werden. Dies wird in der offiziellen Diktion als "aktiver Pazifismus" bezeichnet. Ein Plan, der selbst in der eigenen Partei für Kritik sorgt. Die Abrüstung der Worte zwischen Washington und Pjöngjang schreibt sich Abe nun selbst auf die Fahnen, doch in Wirklichkeit ist mit der Entspannung für die Wähler ein wichtiges Argument entfallen, ihn als Beschützer ihres Landes, als der er sich stilisierte, zu akzeptieren.
Das Thema wird dennoch am Köcheln gehalten, denn es gilt nach wie vor, einst nach Nordkorea entführte japanische Staatsbürger wieder in die Heimat zu holen. Für die 17 in den Siebziger und Achtzigerjahren Gekidnappten existiert ein eigenes Ministerium und die japanischen Medien widmen diesem Thema mehr Aufmerksamkeit als der Entspannungspolitik zwischen Nord -und Südkorea.
Good news only
Abe konnte sich die Skandale auch aus einem weiteren Grund leisten. Die Medien sind nicht erst seit seiner Amtszeit gleichgeschaltet, einige prominente kritische Journalisten wurden aber auf Drängen der LDP-Regierung entlassen: Kensuke Okoshi, der Anchorman der Abendnachrichten erlaubte sich eine kritische Bemerkung über die Zuneigung der Regierung für die Atomenergie, und Hiroko Kunya, die beliebte Moderatorin der Sendung "Close up" hatte einem Regierungssprecher einige kritische Fragen gestellt.
So setzte 2018 "Reporter ohne Grenzen" Japan auf Platz 67 ihrer Rangliste der internationalen Pressefreiheit. Damit liegt das Land, das zum Abes Amtsantritt noch auf der 22. Position lag, hinter Malawi und Niger. Der Zugang zu Institutionen und Politikern sowie die "gesellschaftliche Harmonie" sind den Mainstreammedien wichtiger als kritische Auseinandersetzung mit der Regierungsarbeit. Die "Presse-Clubs" (Kisha), die nur Journalisten großer Medienhäuser vorbehalten bleiben und unabhängige oder ausländische Reporter ausschließen, dienen lediglich dazu, Medien auf Linie zu bringen.
Nachrichtensendungen des Staatssenders NHK wie auch jene der privaten Sender, sowie Zeitungsberichte haben mit einer objektiven Berichterstattung wenig gemein und präsentieren zumeist nur offizielle Verlautbarungen. "Reporter ohne Grenzen" kritisiert, dass "die LDP den investigativen Journalismus illegal machen" wolle. So wurden nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima nur offizielle Standpunkte wiedergegeben, die Selbstzensur führte dazu, dass die wahren Verstrahlungswerte nicht publik wurden. Die Massenproteste gegen die Atomenergie mit Hunderttausenden auf den Straßen großer Städte wurden ignoriert. Ähnlich verhält es sich mit den Kosten und Fragen nach Korruption in Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in 2020.
Ellis Kraus, ein Politikwissenschaftler, der sich mit japanischen Medien auseinandersetzte, bezeichnete die NHK-Nachrichten als "die langweiligsten der Welt". Informiert man sich als Japaner ohne Fremdsprachenkenntnisse ausschließlich im Staatsfernsehen, wähnt man sich in ein Paralleluniversum versetzt.
Während sich die Machthaber Nord- und Südkoreas treffen und Israel dem Iran mit Krieg droht, werden in den NHK-Hauptnachrichten Tagebucheintragungen eines Adjutanten des damaligen Kronprinzen und jetzigen Kaisers zitiert oder Passanten zu Wetterkapriolen und Kirschblüte befragt. Die Flucht eines Diebes aus dem offenen Strafvollzug, nach dem rund 15.000 Polizisten fahndeten, wurde tagelang jeweils zehn Minuten lang minuziös rekonstruiert. Unbequeme Themen wie Korruption oder soziale Probleme werden übergangen, Berichte aus dem Ausland am Rand behandelt. Der Chef von NHK gab offen zu, dass Propaganda für die Regierung eine seiner Aufgaben sei.