Abrüstung jetzt – auch sprachlich!

Seite 2: Wladimir Putin, die "Lügen" und der "Wahn"

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und viele andere westliche Politiker:innen nennen Putin einen "Lügner". Ein Kommentator des in Berlin erscheinenden Tagesspiegel sieht mit "Lügen-Putin" den "Kremlchef im Wahn".

Und der frühere Moskauer ARD-Korrespondent Udo Lielischkies fragt in wiederum bemerkenswerter Wortwahl: "Wie kommt Putin vom Baum runter?", was per Redewendung entweder auf eine verängstigte Katze oder aber auf einen Affen verweisen mag, der – warum und wie auch immer – zuvor "auf die Palme gebracht" wurde.

Immerhin macht Lielischkies deutlich, dass es sich als notwendig erweisen könnte, mit einem solchen Wesen doch zu verhandeln: "Es muss eine Möglichkeit gefunden werden, wie er (Putin, d. A.) gesichtswahrend vom Baum kommt."

Zusammenfassend wird hier eine Tendenz der herrschenden Diskurse dieser Tage hierzulande deutlich, auf die auch Sabine Schiffer hinweist: Das Framing, also die Rahmensetzung einer extremen Personalisierung und negativen Emotionalisierung hinsichtlich einer in ihrer Entwicklung doch sehr komplexen geopolitischen Krise.

Ganz im – schlechten - Sinne eines Deutschen Idealismus wird die Wirklichkeit als Ausgeburt eines (entweder schon immer oder nun endgültig so gewordenen) irren Geistes dargestellt, statt als Resultante historisch und materialistisch bestimmbarer Interessen oder Strukturen – ohne dass ich damit die Rolle von Personen in der Geschichte geringschätze.

Die entsprechende Psychologisierung geht in Psychiatrisierung über, das Ergebnis sowohl in der Medienrealität als auch in der sonstigen Wirklichkeit scheint klar: Ein Dualismus, in dem es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder, du bist für die hiesige Regierungspolitik, oder aber … du bist Putin-Freund.

Dass es jenseits dieser schlichten Gut-Böse-Frontstellung gute Gründe für weitere Perspektiven und Positionen gibt, wirkt dann alles andere als selbstverständlich.

Das scheint übrigens, bei allen inhaltlichen Unterschieden, eine strukturelle Diskurs-Parallele zu den Corona-Debatten, was bemerkenswert ist in einer politisch demokratisch verfassten Gesellschaft mit grundgesetzlich weitgehend freien Medien.

Auch hier hat sich beziehungsweise wurde die gesellschaftliche Kommunikation deutlich verengt auf eine binäre Gegenüberstellung: Regierungsanhänger versus Corona-Leugner. Damit haben wir in einer enormen gesellschaftlichen Krise mit weitreichenden Weichenstellungen erneut eine für westliche Verhältnisse doch klare Einseitigkeit – wenn wir auch spätestens seit dem Klassiker "Manufacturing Consent" von Noam Chomsky und Edward S. Herman aus dem Jahr 1988 wissen können, wie sich in liberal-kapitalistischen Gesellschaften Konsens her- und einstellt.