Abschiebungen nach Afghanistan: Der erste Flug nach Kabul
Innenminister de Maizière bewertet die Rückführungsaktion als "richtig und notwendig". Kritiker werfen der Regierung einen Verstoß gegen Grundrechte vor
Die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern soll den Vertrauensverlust in die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Merkel wettmachen. "Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung" wurde von ihr im September als Programm ausgegeben.
So kann man getrost davon ausgehen, dass das von der CDU geleitete Innenministerium sorgsam darauf geachtet hat, welche Personen in der Charter-Maschine saßen, die heute Morgen in Kabul gelandet ist. Der Rückführungsflug ist Auftakt zu einer ganzen Reihe von Rückführungsflügen nach Afghanistan. Für ihn gab es große Aufmerksamkeit, Proteste und Kritik. Bei den späteren Flügen wird diese Aufmerksamkeit wohl nicht mehr da sein.
Bei seiner Erklärung zum ersten Rückführungsflug zögerte Innenminister de Maizière nicht lange (ab Minute 1:41), um sein stärkstes Argument für die Legitimität der Rückführungen darzulegen:
Unter den 34 Personen war rund ein Drittel Straftäter. Verurteilt unter anderem wegen Diebstahl, Raub, Betäubungsmitteldelikten, ja sogar Vergewaltigung und Totschlag. Sie wurden teilweise aus der Strafhaft abgeschoben.
Innenminister de Mazière
Das lässt Gegner der Abschiebungen nicht gut aussehen. Das Zitat von de Maizière fand dann auch rasche Verbreitung in den Kurznachrichten von Radiosendern. Nun sind nicht alle Straftaten gleich zu bewerten, Verstöße gegen das BTM können auch harmlos sein. Allerdings bleibt hängen, was de Maizière bei seiner Steigerung am Ende erwähnte, Vergewaltigung und Totschlag.
Es wird wohl nur wenige geben, denen dazu nicht der Vergewaltigungs- und Mord-Fall in Freiburg einfällt, der mutmaßlich von einem Flüchtling aus Afghanistan begangen wurde und große Wellen verursacht. Dagegen haben es Aussagen über konkrete Härtefälle bei der Rückführung, wie sie etwa von einer "Abschiebebeobachterin" berichtet werden schwer. Dass Kranke mit abgeschoben werden, zeigt aber auch Lücken der behördlichen Arbeit an.
Bestätigt wird eine solche Lücke auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die Abschiebung eines Mannes, der ursprünglich mit im Flugzeug nach Kabul sitzen sollte, gestoppt hat, "weil ihm sonst die Möglichkeit weitgehend verwehrt wäre, seinen Asylfolgeantrag weiterzuverfolgen".
"Grundgesetz und Menschenrechte mit Füßen getreten"
Nach Darstellung des Innenministers ist die Rückführung gut vorbereitet. Man ging "behutsam" vor. Das Wort fällt öfter. Der Minister erklärt, dass die Rückgeführten am Flughafen in Kabul von Vertretern des für Flüchtlinge und Rückkehrer zuständigen afghanischen Ministeriums empfangen wurden, von Vertretern der afghanischen Zweigs der Internationalen Organisation für Migration und von Mitgliedern der deutschen Vertretung. Alles gut?
Die Rückführungen seien richtig und notwendig, damit das Asylsystem funktionstüchtig bleibt, sagt de Maizière. Seine Kritiker, wie die Linken-Politikerin Ulla Jelpke halten ihm vor, dass er im Fall der Rückführungen nach Afghanistan "das Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention (…) mit Füßen tritt".
Das Argument, das von Jelpke - wie auch von Menschenrechtsgruppen - vorgebracht wird, lautet, dass Afghanistan "Kriegsgebiet" ist. In Kriegsgebiete sei auch die Abschiebung von Straftätern "ausdrücklich verboten".
De Maiziere argumentiert dagegen mit dem bekannten Verweis darauf, dass es auch in Afghanistan sichere Gebiete gebe. Nicht überall ist Krieg, soll das heißen. Der Innenminister ergänzt noch, dass die Taliban nicht Zivilisten angreifen würden, sondern Vertreter des Regierung oder auswärtiger Staaten und Organisationen.
Die Wirklichkeit übertünchen
Ob dies in dem Ausmaß zutrifft, wie es de Maizière behauptet, steht nicht auf sicherem Grund. Es gibt Konflikte zwischen den Taliban und der schiitischen Minderheit der Hazara, die für letztere lebensbedrohlich sind.
Auch sind die Taliban dabei, ihre Herrschaft auszudehnen und bei ihren Anschlägen gibt es zivile Opfer. In Afghanistan gibt es viele riskante Orte. Dies zu unterschlagen, heißt der Sache der Rückführung einen Lack zu verpassen, der eine Wirklichkeit übertüncht, die man aus politischen Gründen lieber nicht genau zur Kenntnis nehmen oder zumindest nicht nach außen kommunizieren will.
Bei der Darstellung tatsächlicher Schwierigkeiten in Afghanistan hat die Bundesregierung in den letzten Jahren eine Tradition entwickelt, die zur Verharmlosung und Schönfärberei neigt. Das ist nicht zu übersehen.
Allerdings kann man den Kritikern der Abschiebungen auch entgegenhalten, dass sie manches herunter- oder hochspielen, je nach politischem Bedarf.
Herr de Maizière versucht die Abschiebung in ein von westlichen Interventionen und islamistischem Terror zerstörtes Land damit zu rechtfertigen, dass sich unter den Betroffenen auch ein paar Straftäter befunden haben.
Ulla Jelpke
Hier ist ebenfalls viel Rhetorik im Spiel. Ist tatsächlich das ganze Land "vom islamistischen Terror zerstört"? "Ein paar Straftäter" - auch das ist eine Bemerkung, die auf Verharmlosung zielt und dann schwer auf die Füße fallen kann, wenn sich zeigt, dass unter diesen "paar Straftätern" vollkommen unakzeptable Fälle sind. Mit ideellen Überspielungen ist niemandem geholfen.
Umso mehr als Jelpke einen wichtigen Punkt anspricht: Sie hält der CSU vor, dass deren Rhetorik Ressentiments schürt. Wer ab und zu an Wirtshaustischen im Voralpenland sitzt, hört Folgerungen und Interpretationen aus und von Sätzen aus den Reihen der CSU-Politiker, die ihr Recht geben.