Absolutistisches Saudi-Arabien: Viel schlechter als sein Ruf
Nur der Kronprinz bestimmt, wie die Gesellschaft auszusehen hat. Kritiker sind "Extremisten und Verräter". Für den Westen gehört das Land zu den "Guten"
Medien folgen politischen Vorgaben. Wer die momentane Nachrichtenlage in der westlichen Hemisphäre verfolgt, gewinnt angesichts der insistierenden Schilderung Irans als Sponsor des internationalen Terrors und große Bedrohung für den regionalen Frieden den Eindruck, dass es sich bei den Gegenspielern des "iranischen Regimes" nur um hauptsächlich "gute Nationen" handeln kann.
Diese werden in der Medienwahrnehmung regiert von zumindest gut Gesinnten, solchen, die vielleicht noch ein bisschen brauchen mit ihren demokratischen Fortschritten, die aber doch prinzipiell den Anschluss suchen an die freie westliche Welt und deren Werte. Wie zum Beispiel Saudi-Arabien, wo derzeit mehrere Frauen und Männer ohne Zugang zu Anwälten in Polizeigewahrsam sind, weil sie für Frauenrechte eintreten.
Das Land sei "viel besser als sein Ruf", stellte die Tagesschau im Mai letzten Jahres fest. Der Beitrag ist mittlerweile nicht mehr ohne weiteres online zu finden, die Hoffnung, die darin zum Ausdruck kam, ist noch präsent.
Alle Hoffnung auf den "Reformer"
Die Hoffnung lautet, dass in Saudi-Arabien jetzt einiges an Reformen in Bewegung kommt und das Land auf einem guten Weg ist, wofür sich der ARD-Experte Carsten Kühntopp als engagierter Autor zeigt: "Kronprinz Mohammed bin Salman will Reformen, die auch die Religion betreffen und vor allem die Situation der Frauen verbessern sollen. Im US-Fernsehen sagte er jetzt 'Extremisten' den Kampf an", äußerte Saudi-Arabien-ist-besser-als-sein-Ruf-Autor Kühntopp Ende März im Deutschlandfunk:
Viele Saudis reiben sich verwundert die Augen: Über Jahrzehnte wurden sie von gebrechlichen alten Männern regiert - jetzt krempelt ein 32-Jähriger ihr Land um. Von seinem Vater, dem König, hat Mohammed bin Salman, der Kronprinz, die Lizenz dazu bekommen. Er hat Reformen angestoßen, die die saudische Gesellschaft in den kommenden 10, 20 Jahren tiefgreifend verändern könnten.
Deutschlandfunk
Immerhin unterlässt der ARD-Korrespondent in Kairo die Festlegung, dass die tiefgreifenden Veränderungen positiv ausfallen. Auch ist er bei weitem nicht der Einzige, der sich von Mohammed Bin Salman Reformen erwartet, die Saudi-Arabien deutlich verändern. Wie die gesellschaftlichen Veränderungen konkret aussehen werden, weiß niemand genau. Als wichtiges Kriterium wird meist die Annäherung an die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern genannt.
Führungsstärke mit brutaler Repression
Der Kronprinz ist laut Umfragen von PR-Unternehmen (siehe Arab Youth Survey beliebt bei der arabischen Jugend. Auch sie erhofft sich einiges von ihm. Unter arabischen Jugendlichen im Alter von 18 bis 24 gab eine deutliche Mehrheit an, dass sie den saudi-arabischen Kronprinzen "unterstützt" und "Vertrauen in ihn setzt".
97 Prozent der befragten Jugendlichen in Saudi-Arabien halten den Kronprinzen für einen "starken Führer". Wie die aktuellen Festnahmen von Personen, die für ihre Reformbestrebungen in Saudi-Arabien bekannt sind, dokumentiert, ist diese Einschätzung durchaus realistisch. Mohammed bin Salman bemüht sich unmissverständlich um Führungsstärke. Den Gegnern wird mit drastischen Mitteln klargemacht, dass es besser ist zu allem Politischen zu schweigen.
Der Kronprinz, dessen "Reformgeist" überall gepriesen wird, ist auf dem Weg zur Ausgestaltung einer modernen absoluten Herrschaft, in der sämtliche Kritik an der Herrschaft nur von der Herrschaft selbst kommen darf. Er betreibt ein System brutaler Repression.
Am vergangenen Wochenende wurde berichtet, dass in Saudi-Arabien mehrere "Aktivistinnen und Aktivisten" verhaftet wurden, die sich als Gegnerinnen und Gegner des Frauen-Fahrverbotes einen Namen gemacht haben, weit über Saudi-Arabien hinaus. Genannt werden Loujain al-Hathloul, Aziza al-Yousef, Eman al-Nafjan, Madeha al-Ajroush, Aisha al-Mana, Ibrahim al-Mudaimigh und andere, deren reformerischen Tätigkeiten allesamt kurz und knapp hier porträtiert werden.
Festzuhalten ist, dass die nun festgenommenen Kritiker des Systems in Saudi-Arabien verschiedenen Generationen angehören, dass sich die Festnahmen an ähnliche Aktionen gegen Kritiker vor einigen Wochen anschließen und dass sie offenbar noch nicht beendet sind. Gestern wurde eine neue Festnahme gemeldet.
"Nur der Regierung ist die Freiheit gestattet, sich die saudische Gesellschaft neu vorzustellen"
Sie werden maßgeblich von einer Einheit verantwortet, die direkt dem Kronprinzen untersteht. Berichterstatter sind überrascht, da darunter bekannte Frauen sind, die sich gegen das Frauenfahrverbot ausgesprochen haben und es doch die große Reformmeldung aus Saudi-Arabien im vergangenen Jahr gab, wonach das Frauen-Fahrverbot im Sommer des laufenden Jahres aufgehoben werden würde. Warum also dieser polizeiliche Akt gegen bekannte Befürworterinnen der Reform?
Die offizielle Begründung des Innenministeriums lautet, dass den verhafteten Frauen und Männern sowie Anwälten "Kontakte zu verdächtigen ausländischen Vereinigungen" vorgeworfen werden, dass sie vorgehabt hätten, eine NGO zu gründen. Als publizistische Begleitmusik dieses Vorwurfes tauchten dann in Medienberichten wie auf sozialen Netzwerken, die in Saudi-Arabiens Öffentlichkeit sehr wichtig sind, entsprechende Stichwörter auf wie "Verräter" und ähnliches.
Das wiederum zeige, dass die Sache dem Führungszirkel um Mohammed bin Salman politisch sehr wichtig ist, schreibt die Organisation Pomed (Project on Middle East Democracy) in dem lesenswerten Bericht "Kein Land für mutige Frauen" zur Lage in Saudi-Arabien, wie sie sich anhand der Festnahmen präsentiert.
Keine Toleranz gegenüber unabhängigen Aktivismus
Die Festnahmen sind nicht auf kurze Zeit beschränkt, so der Bericht. Sie machen deutlich, dass es unter Mohammed bin Salman keine Toleranz gegenüber unabhängigen Aktivismus im Zusammenhang mit dem Status von Frauen und ihren Rechten geben wird. Die Verhafteten plädieren für einen freieren Status von Frauen, die in Saudi-Arabien noch immer von Rechten gegängelt werden, die eine männliche Vormundschaft in vielen Belangen fordern.
"Nur der Regierung und ausgewählten Vertretern ist die Freiheit gestattet, sich die saudische Gesellschaft neu zu imaginieren oder gar das Verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschten neu zu definieren", heißt es in der Situationsbeschreibung. Interessant ist auch die Beobachtung, dass die Verhaftung sehr laut vonstattenging, mit großer Medienaufmerksamkeit und den bereits genannten "Verräter"-Stichwörtern. Die Medienberichterstattung wird in Saudi-Arabien nicht dem Zufall überlassen.
Die Auffassung, wonach die saudi-arabischen Führer gegen die Aktivisten vorgehen, weil sie befürchten, dass es zu einer konservativen Gegenreaktion gegen Frauen am Steuer kommen könnte - was von Verteidigern der Regierung vorgebracht wird -, wird von der Grimmigkeit und dem öffentlichen Charakter der Denunzierungen in Abrede gestellt, die die jüngsten Verhaftungen begleiten. Es wäre möglich gewesen, sie still festzuhalten, bis der Medienfokus auf die Reform des Fahrverbots mit dem 24. Juni vorbeigeht. Dass man sie verhaftet, in dem man sie laut als "Extremisten" und "Verräter" bezeichnet, ist eine völlig andere Sache.
Pomed
Das Gesetz des neuen Saudi-Arabien unter der Ägide des Kronprinzen unterscheidet sich nicht sehr vom alten: Die Linien zieht der absolute Herrscher. Wer ohne Erlaubnis Kritik übt oder auch nur im Verdacht stehen könnte, dass sie oder er Kritik ohne Absprache mit den Verantwortlichen üben könnte, wird vom öffentlichen Gelände entfernt, kommt ins Gefängnis oder, wenn es glimpflich abläuft, in den Hausarrest oder ins Exil. Oder sie verschwinden spurlos.