Abstufung nach Rettungsantrag, Merkel bleibt hart

Die Lage Spaniens entspannt sich nicht und vor dem EU-Gipfel entbrennt neuer Streit über die Vergemeinschaftung von Schulden

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Zwar hat Spanien nun am Montag erwartungsgemäß seinen Rettungsantrag gestellt, doch eine Erleichterung hat sich für das Land nicht ergeben. In einem Rundumschlag hat Ratingagentur Moody's fast alle Banken des Landes auf Ramsch-Niveau herabgestuft und die Zinsen haben sich für kurzfristige Anleihen am Dienstag sogar fast verdreifacht. Vor dem EU-Gipfel diese Woche sorgt angesichts der Zuspitzung der Lage für Spanien und Italien ein Papier für Aufregung. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker wollen die Eurozone zu einer "echten Wirtschafts- und Währungsunion" umbauen.

Erhofft worden war, dass sich mit dem Rettungsantrag der spanischen Regierung die Lage im Euroraum vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag etwas entspannt. Nach dem massiven Druck, der auch auf dem Vierergipfel am vergangenen Freitag auf den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ausgeübt wurde, stellte das Land schließlich am Montag den Rettungsantrag. In einen Brief wandte sich Wirtschaftsminister Luis de Guindos an den Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker und beantragte "finanzielle Unterstützung" aus einem Euro-Rettungsfonds zur "Rekapitalisierung der Finanzinstitute". Er tut darin so, als habe Spanien am 9. Juni seine Partner um Hilfe gebeten. Er bewertet als "positiv", dass die Restrukturierung des Bankensystems "unterstützt" werde. Dabei wurde das Land zum Rettungsantrag gedrängt, denn Madrid hatte stets behauptet, keine externe Hilfe zu brauchen (Spanien stellt Nothilfe-Antrag).

Eine Summe wird weiterhin nicht genannt, dabei hatte die Regierung in Madrid die Verzögerung stets damit begründet, auf das Ergebnis der Bankenprüfungen zu warten, um eine konkrete Summe nennen zu können. Am Freitag hatten zwei Prüfungsgesellschaften den Kapitalbedarf der Banken im schlimmsten Fall mit maximal 62,6 Milliarden Euro beziffert. Doch diese Berechnungen basieren auf Informationen, welche von den Banken selbst stammen. Sie "wurden nicht überprüft", geben die Prüfer zu: "Für die sachliche Richtigkeit dieser Informationen gibt es keine Garantien." Spanien will nun einen Betrag beantragen, um den "Kapitalbedarf" der Banken und eine "zusätzliche Sicherheitsmarge" mit "maximal 100 Milliarden Euro" abdecken zu können. Details werden bis zum 9. Juli ausgehandelt.

"Man muss die Dinge beim Namen nennen"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Freitag der Forderung von Ministerpräsident Mariano Rajoy definitiv eine Absage erteilt, spanische Banken direkt zu refinanzieren. Das lässt weder der Antrag zum temporären Rettungsfonds (EFSF) noch der Vertrag zum dauerhaften Rettungsfonds (ESM) zu. Rajoy versuchte das durchzusetzen, um eine Kontrolle über seinen Haushalt zu vermeiden. Er scheiterte, weshalb nun Spanien den Antrag stellte. Das Geld fließt in den Bankenrettungsfonds (FROB). Er handelt "stellvertretend für die Regierung Spaniens", wird aus dem Brief klar. Merkel hatte bekräftigt, der spanische Staat hafte dafür, dass die Probleme der Banken beseitigt werden. "Haftung und Kontrolle gehören zusammen", sagte sie.

EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia stellte seinerseits am Montag noch einmal klar, dass sich die Aufsicht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) nicht nur auf das Bankensystem beschränken wird. "Mit größerer Aufmerksamkeit" werde überwacht, ob Spanien seine "eingegangen Verpflichtungen" in Bezug auf das Haushaltsdefizit einhalte, sagte er: Da könne die Regierung "sagen was sie wolle".

In Madrid wird weiter so getan, als würde sich mit dem Antrag, anders als für Griechenland, Irland oder Portugal, für Spanien nichts ändern. Doch Almunia stellte auch konkrete Forderungen. Die bisher von der Kommission empfohlene Mehrwertsteuer und ein beschleunigter Einstieg in die Rente mit 67 ist nun "obligatorisch", wobei das mit dem Abbau des Haushaltsdefizits nichts zu tun hat. Er warf der konservativen Regierung das Bestreben vor, vor der Realität zu fliehen: "Man muss die Dinge beim Namen nennen." Dabei prüft Madrid längst, viele Waren, für die der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 4% oder 8% angesetzt wird, auf den normalen Satz von 18% anzuheben. Doch das wird, wie sich schon in Portugal gezeigt hat, in Brüssel niemanden überzeugen. Dort ist nebenbei auch noch der allgemeine Satz auf 23% angehoben worden.

Spanien muss noch mehr einsparen

Denn klar ist, dass Zinsen und die Rückzahlung des Kredits den Haushalt noch weiter belasten. Spanien will deshalb einen möglichst niedrigen Zins aushandeln und spricht von 3% bis 4%. Die Laufzeit soll über 15 Jahren liegen und Rückzahlungen frühestens in fünf Jahren beginnen. Unklar ist auch, aus welchem Fonds das Geld fließen wird. Deutschland setzt sich für den ESM ein. Im Fall einer Staatspleite hätten die Forderungen dann nämlich Vorrang vor denen von privaten Gläubigern, was beim EFSF nicht der Fall wäre. Dass die Details zum Kredit am 9. Juli verkündet werden, wenn der ESM starten soll, weist auf eine angestrebte Zuständigkeit des ESM hin.

Spanien müsste nun im Jahr weitere drei bis vier Milliarden Euro einsparen, um die Zinsen der Bankenrettung zu bezahlen, damit das Defizit nicht beeinflusst wird. Damit bekommt die Troika die Kontrolle über Staatsfinanzen, denn bisher konnte das Land seine Defizitziele nicht einhalten. Das Haushaltsdefizit lag Ende 2011 bei knapp 9% Prozent statt bei 6%. Mit zusätzlichen Zinsen wird es noch schwerer, wieder unter die Stabilitätsmarke von 3% zu kommen. Obwohl Spanien ein Jahr länger Zeit bekommt und die Marke erst Ende 2014 wieder einhalten soll, glaubt niemand ernsthaft, dass dies auch gelingt.

2012 kann das angestrebte Ziel nicht mehr erfüllt werden, obwohl die EU-Kommission Spanien ohnehin schon eine Anpassung nach oben genehmigt hat. Wegen der fatalen Lage wurde dem Land im März erlaubt, sein Defizit 2012 statt auf 4,4% nur auf 5,3% abzubauen. Doch daraus wird nichts, denn der Zentralstaat hat in nur fünf Monaten schon fast das Haushaltsdefizit erzeugt, das er sich für 3,5% für das gesamte Jahr vorgenommen hat. Dass die Regionen ihre Vorgaben einhalten können, glaubt kaum jemand ernsthaft.

Immer neue Milliardenlöcher tun sich auf

So klafft ein Loch von 3,8 Milliarden Euro bei neun privaten Autobahnbetreibern, die praktisch pleite sind und ebenfalls nach staatlicher Rettung schreien. Von den Einnahmen in Höhe von 50 Millionen Euro können sie nicht einmal die Zinsen ihrer Kredite bezahlen. So beklagt der Betreiber der Radialautobahnen R3 und R5 um Madrid, die Kosten von geplanten 640 Millionen seien auf 1,5 Milliarden Euro explodiert, doch nur 35% der erwarteten Fahrzeuge benutzen diese Straßen. Die Regierung hat nun angekündigt, den Privatfirmen zunächst mit 290 Millionen beizuspringen.

Unklar ist zudem auch, ob wie geplant Milliarden zusätzlich an Steuern eingenommen werden. Die will die konservative Regierung über eine Amnestie für Steuersünder in die Kassen spülen. Schwarzgeld soll mit einem Steuersatz von höchstens 10% legalisiert werden. Das ist der Satz für einen Mindestlohn. Damit werde gegen das Gebot der Steuergerechtigkeit und Steuerprogression verstoßen, sagen die oppositionellen Sozialisten, denn Steuersünder werden sogar noch belohnt. Sie haben am Montag Verfassungsbeschwerde gegen das Dekret eingelegt, über das zudem das Parlament in dieser Frage ausgehebelt wurde.

Spanische Banken als Ramsch eingestuft

Dazu kommen steigende Kosten zur Refinanzierung. Nachdem die Ratingagentur Moody's nun den Daumen über 28 spanischen Finanzinstituten gesenkt hat, sind die Zinsen für Spanien wieder deutlich gestiegen. Sechs Geldhäuser wurden in der Nacht auf Dienstag sogar um vier Stufen herabgestuft, was sehr ungewöhnlich ist, und auf Ramsch- Status gesetzt. Bei zehn Instituten wurde die Kreditwürdigkeit um drei Stufen gesenkt. Als spekulative Anleihe bewertet Moody's schon 21 spanische Geldhäuser. Nur noch sieben Institute befinden sich knapp über der Schwelle einer spekulativen Anleihe.

Zumeist sind es Großbanken, die noch über der Ramsch-Grenze eingestuft werden. Der Branchenprimus Santander erhält mit "Baa2" noch die beste Bonitätsnote, eine weitere Herabstufung wird aber schon geprüft. Eine Stufe darunter, direkt an der Ramsch-Grenze, finden sich auch die großen BBVA, Banesto und die Caixabank. Auf diesem Niveau (Baa3) finden sich aber auch die kleineren Banca March, und die Sparkasse der baskischen Kooperativenvereinigung Caja Laboral, die Caja Rural Navarra und die staatliche Finanzierungsgesellschaft "ICO".

Alle übrigen spanischen Geldhäuser gelten als Ramsch, darunter auch die große Banco Popular, die sogar um vier Stufen heruntergestuft worden ist. Bankia, die viertgrößte Bank, liegt mit "Ba2" sogar noch eine Stufe darunter. Da Bankia gerade verstaatlicht wurde und insgesamt 23,5 Milliarden Euro als Kapitalspritze benötigt, ist die Abstufung um nur zwei Stufen und die Einstufung sogar erstaunlich gut. Anhand der Einstufungen kann abgeschätzt werden, wie Moody's das spanische Bankensystem einschätzt. Bankia hatte die Agentur bisher noch knapp über der Ramsch-Grenze eingestuft. Die schlechteste Note hat mit "B3" die schon im vergangenen Jahr verstaatlichte "Banco de Valencia" erhalten, die als hochspekulative Anlage gilt.

Interessant ist die Begründung Moody's. Die Agentur erwartet, dass die Finanzinstitute wegen der Belastungen im Immobiliensektor mit steigenden Verlusten zu rechnen hätten. Tatsächlich hatten die Prüfer am Freitag davor gewarnt, dass im Bankensystem Verluste von bis zu 270 Milliarden Euro drohen. Dass Spanien deshalb einen Rettungsantrag zur Refinanzierung abstürzender Banken gestellt hat, dient der Ratingagentur aber wiederum als Begründung für die generelle Abstufung der Banken. Der Staat, der kürzlich erst abgestuft wurde (Spanien wohl endgültig auf dem Weg unter den Rettungsschirm), sei immer weniger in der Lage, die spanischen Banken noch zu unterstützen. Es ist ein Teufelskreis, denn mit der Verschlechterung der Kreditwürdigkeit Spaniens wachsen die Gefahren für die Banken des Landes. Sie halten vor allem spanische Staatsanleihen und hier kündigt sich die Abstufung des Landes auf Ramsch-Status an.

Schon nach der letzten Abstufung sind die an den internationalen Kapitalmärkten auf neue Rekordwerte gestiegen, weshalb allgemein erwartet wird, dass Spanien nicht nur Rettungsmilliarden für die Bankenrettung braucht, sondern es wie Griechenland, Irland und Portugal ganz unter den Rettungsschirm gehen muss. Als am Dienstag das Land kurzfristige Anleihen mit Laufzeiten von drei und sechs Monaten versteigert hat, zeigte sich, dass der Trend zu extremen Zinsen anhält. Musste Spanien am 22. Mai für Dreimonatsläufer noch 0,86% Zinsen bieten, haben sie sich nun auf 2,36% nun fast verdreifacht. Für Papiere mit einer sechsmonatigen Laufzeit haben sich die Zinsen auf knapp 3,3% fast verdoppelt.

Hektische Rettungsaktivitäten

Mit Spanien rückt nun der Absturz des viertgrößten Eurolands immer klarer auf die Tagesordnung und deshalb wird derzeit besonders hektisch getagt. Am Dienstag haben sich diverse Vierergruppen zu Wort gemeldet. Nach den Treffen der Finanzminister am und dem Vierergipfel am Freitag kamen am Dienstag in Paris die Finanzminister der vier großen Euroländer Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien in Paris zusammen, um den EU-Gipfel vorzubereiten.

Schon bevor das Treffen in der französischen Hauptstadt begann, sorgte ein Vorschlag einer weiteren Vierergruppe für Aufregung. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker haben einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, wie Europa umgebaut und der Krise begegnet werden soll.

Aus dem gemeinsamen Papier, das am Montag fertiggestellt worden ist, zitiert die Financial Times Deutschland (FTD). (http://) Demnach werde ein kompletter Umbau vorgeschlagen. Ähnliche Vorstellung legt Van Rompuy auch in einer Presseerklärung dar. Über diese Vorstellungen soll auf dem EU-Gipfel beraten werden. Über gemeinsame Entscheidungen und ein "Pooling", ein Zusammenführen von Entscheidungen, soll eine "nicht nachhaltige Finanzpolitik in jedem einzelnen Mitgliedsstaat" verhindert und korrigiert werden können. Neben Höchstgrenzen bei der jährlichen Neuverschuldung könnten auch Gesamtschulden für die Mitgliedsstaaten festgelegt werden. Die Mitgliedsstaaten würden also auch einen Teil der Haushaltssouveränität an Brüssel abgeben.

Das Ziel wird schon im Titel benannt. Zu einer "echten Wirtschafts- und Währungsunion" soll die Eurozone umgebaut werden. Geplant ist als erster Schritt eine Bankenunion. Dazu gehören eine gemeinsame Einlagensicherung und die Absicherung der EU-Banken. Zentrales Element in den Planungen kommt dem Rettungsfonds ESM zu, der offensichtlich auch Banken direkt finanzieren soll, was bisher unmöglich ist. Dazu soll aber eine Bankenaufsicht geschaffen werden, die der EZB auch tiefe Zugriffsrechte gewähren soll. Folgen sollen darauf eine Haushaltsunion und damit auch das "Pooling" von Risiken. Damit sind unter anderem auch Gemeinschaftsanleihen gemeint, wenngleich das Zauberwort Eurobonds nicht fällt.

Für die Bundeskanzlerin haben angesichts der Vorschläge, die für Außenstaatsminister Michael Georg Link wie ein "Wunschzettel" klingen, alle Warnlampen zu leuchten begonnen. Mit Blick auf den Gipfel treibt Merkel die Sorge um, "dass dort schon wieder viel zu viel über alle möglichen Ideen für eine gemeinsame Haftung gesprochen wird, aber viel zu wenig über verbesserten Kontrollen und Strukturwandel". Wie schon auf dem Vierergipfel am Freitag in Rom machte sie deutlich, dass Deutschland eine gemeinsame Haftung für die Schulden der Mitgliedsländer ablehnt, ob sie in Form von Euro-Anleihen oder als europäische Einlagensicherung geplant werden.

Das sei nicht nur in Deutschland verfassungswidrig, sagte Merkel. "Ich halte sie auch für ökonomisch falsch und kontraproduktiv." Sie kündigte eine weitere harte Haltung Deutschlands in diesen Fragen an. Über eine Bankenunion ließe sich aber reden. Doch machte Merkel auch hier deutlich, wo sie die Grenze sieht: "Eine europäische Einlagensicherung können wir sofort machen, wenn sie nicht zu gemeinschaftlicher Haftung, sondern zu verbesserten Kontrollmöglichkeiten und Standards führt." Eine gemeinschaftliche Haftung, so soll sie der FDP-Fraktion gesagt haben, werde es nicht geben, "solange ich lebe".