Absurder Religionskrieg in München
Michael Stürzenberger von der rechtspopulistischen und antiislamischen Freiheit tritt in München als Bürgermeisterkandidat an
In der jeder Religion abholden bayerischen Konsum-, Freizeit- und Leistungsgesellschaftsmetropole München die Gefahr einer religiösen Unterwanderung, einer islamischen gar zu beschwören, erfordert neben einigen Portionen Verfolgungswahn und Verschwörungstheorie viel emotionale Phantasie. Michael Stürzenberger von der Partei "Die Freiheit" besitzt sie - und hat damit, so steht es seit gestern fest, mit 1266 Unterschriften die Teilnahme an der Münchner Kommunalwahl als Bürgermeisterkandidat erreicht.
Sogar Gemeinderatskandidaten bieten nun als Wahlinhalt den Kampf gegen die verderbliche Wirkung des bekanntlich gerade in Münchner Biergärten, auf der Maximilianstraße und bei Schumann's weitverbreiteten Buches mit dem Titel "Koran" an. Immer mehr Münchner knien im Englischen Garten bereits zum Gebet gen Mekka nieder, anstatt wie bisher die Hinterteile sportlicher Jogger beiderlei Geschlechts zu vergöttern oder zu verfluchen. Das Wammerl im Schneiderbräu, selbst die Weißwurst stehen unter dem Verdacht, aus unislamischer Schlachtung zu stammen.
Das Entsetzen unter den Etablierten über Stürzenberger ist groß. Als "Hassprediger" bezeichnete Bürgermeister Ude den selbsternannten Retter vor der Herrschaft des Islam. Die Antiislam-Krieger von "Die Freiheit" und vom geifernden Webportal "PI", als dessen Münchner Ortsgruppenleiter Stürzenberger bisher auch fungierte, haben gar ein Transparent produziert, auf dem zu lesen steht: "Stoppt die Islamisierung Europas!"
Die Dringlichkeit dieser Warnung resultiert subjektiv aus dem Umstand, dass in München seit Jahren und bisher vergeblich ein "Münchner Zentrum für islamische Kultur in Europa" (ZIEM) errichtet werden soll. Die Stadt verzögert dies bisher mit immer neuen Ausreden. Ein Bürgerbegehren, so Stürzenbergers Mannen, könne das ZIEM nun endgültig verhindern. Bereits 2012 demonstrierten in München unter dem Schutz von 1000 Polizisten bunte Scharen für die mit der Errichtung des Zentrums verbundene religiöse Toleranz.
Indes hat das antiislamische Zentralorgan PI die Süddeutsche Zeitung als wichtigsten Verbündeten der islamischen Verschwörung der Islamfreunde gegen die Freiheit ausgemacht. Eine publizistische Scharia habe diese am armen Stürzenberger mittels Guillotine vollzogen, schimpfen die selbsternannten Retter des Abendlandes.
Nach einer auch von der Süddeutschen zitierten Studie des Instituts für Soziologie der Ludwig Maximilians Universität vom Oktober 2013 ist "Muslimenfeindlichkeit" unter den zu eliminierenden Feindlichkeiten angeblich unter rund 1139 Befragten in München die am stärksten verbreitete.
Der Titel der Studie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in München" könnte aber zum Widerspruch reizen, denn ein Feindbild "Mensch" existiert zumindest in keiner empirischen Umfrage, sondern stellt selbst eine wertende Interpretation dar. Auch eine Religion, die sich als "Feind" des Menschen zu erkennen gibt, existiert nicht. Vielmehr versteht sich zumindest jede monotheistische Religion als jeweils höchsten Ausdruck von Humanismus und Menschlichkeit. Zudem wurde die angebliche Muslimen- und damit "Menschenfeindlichkeit" mit Multiple Choice Suggestivaussagen ermittelt, so etwa dieser: "Die muslimische Kultur passt gut nach Deutschland." Sobald man dieser Aussage nicht voll zustimmt, wird man in der Befragung Stück für Stück automatisch Islamfeind.
Ehrlich gesagt: Ich bin nicht der Überzeugung, dass muslimische Kultur generell gut nach Deutschland, in ein weitgehend atheistisches und Religionen und religiösen Alltagsvorschriften feindlich gegenüberstehendes Land passt. Aber die Ausübung von Religion ist doch Privatsache, nicht Staatsangelegenheit. Christliche Kultur passt auch nicht gut nach Saudi-Arabien. Nach den Münchner Soziologen wäre ich bereits dann ein Anhänger der "Muslimenfeindlichkeit", wenn ich der dümmlichen Aussage nicht zustimme, denn sicher gibt es Formen muslimischer Kultur, die auch in Deutschland ohne Reibungen praktiziert werden können.
Es scheint, als sei das Wissen um die Gründe, warum Bürger im atheistischen München noch Religionen angehören, nicht nur unter den Anhängern von Stürzenberger, sondern auch an der Uni derart gering, dass man glaubt, das komplexe Phänomen von individueller Religion mit Etikettierungen wie "islamisch" oder "muslimisch" beschreiben zu können.
Bereits das Etikett "christlich" aber kann auf einzelne Menschen überhaupt nicht ohne eine ideologische Vorinterpretation angewandt werden: Wer etwa wie christlich ist, so eine der sinnvollsten Interpretationen, wird deshalb am Ende Gott entscheiden, nicht die Uni oder gar Stürzenberger.