Abtreibung: Wie denkt die Mehrheit wirklich über eine Legalisierung?
Klare Mehrheit in aktueller Umfrage: Allgemeine Straffreiheit in den ersten zwölf Wochen. Allerdings variierten die Umfragewerte in letzter Zeit stark.
Schwangerschaftsabbrüche gelten in Deutschland gemäß Paragraph 218 im Strafgesetzbuch noch immer als rechtswidrig und bleiben nur unter Auflagen straffrei – das betonen Abtreibungsgegner gern auf ihren "Märschen für das Leben".
Große Mehrheit in aktueller Umfrage für legale Abtreibungen
Laut einer aktuellen Umfrage sind sie damit deutlich in der Minderheit: Laut RTL/ntv-Trendbarometer sind 72 Prozent der Bevölkerung dafür, eine Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne Einschränkungen zu legalisieren.
Selbst die unter den Katholikinnen und Katholiken fand sich dafür in der Umfrage eine Mehrheit von immerhin 60 Prozent im Widerspruch zu deren Amtskirche. Protestantische Befragte sprachen sich zu 69 Prozent dafür aus.
Im Osten Deutschlands lag die Zustimmung bei 81 Prozent, im Westen bei 71 Prozent. Nach Parteienpräferenz ist sie bei Anhängern der Grünen mit 82 Prozent am höchsten. Aber selbst unter Anhängern der AfD, wo sie am niedrigsten ist, spricht sich laut der Umfrage mit 55 Prozent noch die Mehrheit für eine solche Legalisierung aus.
Dass im Osten trotz relativ hoher AfD-Umfragewerte eine größere Mehrheit für legale Schwangerschaftsabbrüche ist, könnte mit der vergleichsweise liberalen Regelung zu DDR-Zeiten zu tun haben: Dort waren ab 1972 Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen ohne Auflagen legal.
Expertenkommission für legale Schwangerschaftsabbrüche
Auch eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hält die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft nach dem Strafgesetzbuch für "nicht haltbar".
"In der Frühphase der Schwangerschaft (...) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben", heißt es in der Zusammenfassung eines Berichts der Kommission, die am Montag in Berlin vorgelegt wurde.
"Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen", so Kommissionsmitglied Liane Wörner.
Stigmatisierte Frauen, Beratungspflicht und Terminprobleme
In der Praxis bedeutet die aktuelle Rechtslage nicht nur Stigmatisierung, sondern je nachdem, wann die Schwangerschaft festgestellt wurde, auch Schwierigkeiten, die Auflagen termingerecht einzuhalten, da betroffene Frauen vor dem Eingriff ein Pflichtgespräch in einer anerkannten Beratungsstelle durchlaufen und eine Bescheinigung darüber vorlegen müssen. In manchen Fällen treten aber während der Frühphase einer Schwangerschaft noch zyklische Blutungen auf.
Umstrittener Paragraph 218: Keine schnelle Einigung in Sicht
Was die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag vor Medienschaffenden in Berlin sagte, klang aber nicht nach einer schnellen Einigung über eine Legalisierung: Bei diesem sehr sensiblen Thema gehe es darum, unterschiedliche Güter gegeneinander abzuwägen, so Hoffmann.
"Und wir wollen eine Debatte führen, die letztlich uns weiterbringt in dieser Frage, und das ist nichts, was man unter Zeitdruck und 'jetzt machen wir das ganz schnell' führen kann. Das wäre wirklich der falsche Weg."
Auf Grundlage des Expertenberichts sei eine längere gesellschaftliche Debatte zu erwarten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde – verbunden mit der Hoffnung, dass in Deutschland eine Polarisierung beim Thema Schwangerschaftsabbruch vermieden werden könne.
Umfragen-Wirrwarr: Doch 54 Prozent für Strafbarkeit von Abtreibung?
Eine so deutliche Mehrheit wie bei der aktuellen Umfrage hatte es in anderen Befragungen der letzten Monate und Jahre zum Teil nicht gegeben: Laut einer Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF war im Mai 2023 noch eine Mehrheit von 54 Prozent dafür, Abtreibung weiterhin als Straftat einzustufen. Nur 36 Prozent votierten damals klar für die Abschaffung des Paragraphen 218; rund drei Prozent forderten eine Verschärfung.
In einer Umfrage, die Ende 2022 vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS) erstellt wurde, hatten sich dagegen 83 Prozent der Befragten für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Streichung des Paragraphen 218 ausgesprochen (genau genommen 86 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer).
Bei einer INSA-Umfrage im Auftrag der katholischen Tagespost vom Juni 2023 waren es insgesamt "nur" 68 Prozent der Befragten, die wollten, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr als Straftatbestand gewertet wird. Nur 19 Prozent waren dafür, den Paragraphen 218 zu erhalten. Alle Umfragen waren zumindest ihrem Anspruch nach repräsentativ.
Für das aktuelle Trendbarometer hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa nach eigenen Angaben am 11. und 12. April 2024 insgesamt 1001 Menschen befragt. Die statistische Fehlertoleranz beträgt plus / minus drei Prozentpunkte.