Abwärtstrend in Umfragen: Hat die AfD ihren Zenit überschritten?
Die AfD verliert momentan in Umfragen. Eine neue Kraft dürfte im nächste Bundestag vertreten sein. Verfestigt sich die Trendwende – und wenn ja: Wer profitiert?
Bundesweit 18 Prozent – davon hat im Bundestagswahlkampf 2002 die FDP vergeblich geträumt, um dann nur einen Stimmenanteil von 7,4 Prozent zu erreichen. Für die AfD sind heute 18 Prozent in den Umfragen eine schlechte Nachricht, die einen deutlichen Abwärtstrend aufzeigt – stand sie doch vor wenigen Wochen noch bei 22 bis 23 Prozent.
Die FDP würde laut der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das wöchentliche Trendbarometer von RTL und ntv mit rund vier Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen – 2021 hatte sie noch 11,5 Prozent erreicht und damit noch 0,2 Prozentpunkte vor der AfD gelegen. Letztere liegt nun bei 18 Prozent.
Sozialpolitik: Hier ähnelt die AfD einer Vier-Prozent-Partei
Wirtschafts- und sozialpolitisch ähneln sich beide Parteien stark, das bestätigte auch ein nüchterner Vergleich ihrer programmatischen Positionen durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
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Aber im Vergleich zur FDP wird die AfD in öffentlichen Debatten viel seltener mit sozialer Kälte in Verbindung gebracht, die Deutschstämmige ebenso treffen kann wie migrantische Communities.
Der Schock über den AfD-Geheimplan, der so geheim nicht war
Auch der in der aktuellen Debatte spielt dieser Aspekt nur am Rand eine Rolle – Teile der Mehrheitsgesellschaft sind vielmehr geschockt über den "Geheimplan" von AfD-Politikern und "Identitären" zur Remigration, über den vor wenigen Wochen das Recherche-Netzwerk Correcitv berichtet hat, der aber so geheim gar nicht war.
Weder haben AfD-Politiker ihn vor dem vieldiskutierten Potsdamer Treffen konsequent verheimlicht, noch hatten potenziell Betroffene, die ihnen genau zuhörten, Zweifel daran. "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen", bekräftigte kurz nach der Veröffentlichung der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer. Was darüber hinausgeht, ist größtenteils Interpretation.
War es das schon mit dem Aufstieg der AfD?
Ob die AfD nun angesichts der Großdemonstrationen gegen Rechts und der aktuellen Umfragen ihren Zenit schon überschritten hat, ist aber noch nicht ausgemacht. Ein klarer Profiteur des aktuellen Abwärtstrends in den Umfragen ist auch noch nicht zu erkennen.
Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) würde aktuell mit fünf Prozent einziehen und sieht einen Teil seiner Zielgruppe in "Protestwählern", die zuletzt AfD gewählt oder sich in Umfragen für sie ausgesprochen haben. Massenhaft übergelaufen sind sie aber noch nicht, obwohl Wagenknecht davon ausgeht, dass in vielen Fällen soziale Existenzängste und nicht Rassismus die Hauptrolle spielen.
Wahlparadox: Selbstschädigung durch AfD-Wahl
Das Wahlverhalten wirkt zumindest irrational: Viele, die im vergangenen Jahr AfD gewählt hätten, würden laut DIW selbst zu den Leidtragenden gehören, wenn sie in Regierungsverantwortung käme. Schließlich sind viele von ihnen erwerbslos und leben in strukturschwachen Regionen.
Die AfD hatte schärfere Sanktionen für mutmaßliche Arbeitsverweigerer bis hin zur vollständigen Streichung der Leistungen verlangt. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass in diesem Jahr Maßnahmen in diesem Sinne von der Ampel-Regierung höchstselbst auf den Weg gebracht wurden.
Eine zweimonatige Streichung des Bürgergeld-Regelsatzes für Nahrung, Hygiene und den sonstigen täglichen Bedarf ist inzwischen auch vom Ampel-Kabinett als mögliche Sanktionsmaßnahme beschlossen worden – allerdings wurde die Regelung vorerst auf zwei Jahre befristet und teilweise mit der Haushaltslage begründet.
Etablierte Parteien: AfD bleibt zweitstärkste Kraft hinter Union
Laut Forsa-Umfrage sind die Unionsparteien mit 31 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der AfD. Die Ampel-Parteien kämen zusammen auf 33 Prozent – ohne die FDP, die den Einzug verpassen würde, allerdings nur auf 29 Prozent. Dabei fällt erneut auf, dass die Grünen innerhalb der Koalition am wenigsten "Federn gelassen" haben – sie stehen aktuell bei 14 Prozent und haben sich damit im Vergleich zur letzten Bundestagswahl nur um 0,8 Prozentpunkte verschlechtert.
Die SPD dagegen rutschte von 25,7 auf 15 Prozent; die FDP verlor fast zwei Drittel ihres Stimmenanteils.
Profitieren die Grünen vom Status als Hassobjekt der AfD?
Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass die Grünen in Umfragen am wenigsten für die Politik der Ampel abgestraft werden, obwohl sie nicht der kleinste Koalitionspartner sind und den Bruch vieler Wahlversprechen an die eigene umweltbewusste und gefühlt linke Zielgruppe mitgetragen haben.
Zugleich sind die Grünen nicht der größte und durchsetzungsfähigste Koalitionspartner, gelten aber im konservativen und im rechten Spektrum als Hauptschuldige für alles, was in Deutschland schiefläuft.
Auf den zweiten Blick ist es aber völlig logisch, dass unsachliche Kritik von rechts – sowie Drohungen, Anfeindungen und teils sexistisches Bashing einzelner Politikerinnen – genau dazu führen, dass die eigentlich enttäuschte Zielgruppe der Grünen sich doch wieder mit ihnen solidarisiert.
Wenn Grünen-Chefin Ricarda Lang in "Sozialen Netzwerken" ständig wegen ihres Gewichts mit Häme übergossen wird und überhaupt Frauen in der Politik so oft nach ihrem Aussehen beurteilt werden, wer will dann noch allzu hart darüber urteilen, dass sich die grüne Außenministerin Annalena Baerbock eine so teure Stylistin leistet?
Gefühlter Gegenpol zur AfD im Kulturkampf
Und wenn vor allem über solche Fragen diskutiert wird, dann fällt es auch gleich weniger auf, dass die von Baerbock versprochene "feministische Außenpolitik" im Widerspruch zu Waffenlieferungen an Saudi-Arabien steht. Ein oberflächlicher Kulturkampf überlagert dann wichtige Sachfragen. Die Grünen sind als Hassobjekt der AfD für viele im demokratischen Spektrum der gefühlte Gegenpol zu der ultrarechten Partei.
Als Alternative zu den Grünen käme zwar für Menschen, die deren Wahlversprechen in Sachen Klimapolitik und Waffenexporte geglaubt haben, durchaus die Partei Die Linke in Frage.
Alternativen zu AfD und Ampel: Protestwahl der anderen Art?
Mit ihrem Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt hat sie zwar inhaltlich kompetente Antworten auf die Zukunftsängste vieler Menschen zu bieten, wirkt aber als Partei durch den langjährigen Streit mit ihrer Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und die Abspaltung des nach ihr benannten Bündnisses deutlich geschwächt.
Zu lange galt Wagenknecht einerseits als bekanntestes Gesicht der Linken, machte aber andererseits in vielen Talkshows deutlich, dass sie sich von der Partei entfremdet hatte.
Die Linke liegt in der aktuellen Umfrage nur noch bei drei Prozent – abzuwarten bleibt, ob sie sich bis zur Bundestagswahl "erholen" wird. Bleibt sie in Umfragen zu lange unter vier Prozent, werden einige, die sie inhaltlich den Grünen und dem BSW vorziehen, trotzdem lieber nicht riskieren wollen, dass ihre Stimme am Ende gar nicht zählt.
Allerdings gilt das nicht für die kommende Europawahl, denn für die gibt es in Deutschland keine Sperrklausel: Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 zunächst eine Fünf-Prozent-Hürde und später auch eine Drei-Prozent-Hürde gekippt.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hingegen würde laut Umfrage mit fünf Prozent den Einzug in den Bundestag schaffen – aktuell hat es dort als Neugründung nur Abgeordnete, die noch als Kandidatinnen und Kandidaten der Partei Die Linke gewählt wurden. In Ostdeutschland schneidet das Bündnis der "Linkskonservativen" Sahra Wagenknecht in Umfragen aber mit 13 Prozent bereits zweistellig ab.