Abwesenheit des Vaters ist ein Artefakt der Moderne

Seite 2: Hypermaskulinität und die Abwesenheit des Vaters

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Aber tatsächlich ist die toxische Männlichkeit ein sinnwidriger und hilfloser Begriff, denn Männlichkeit kann so wenig giftig sein, wie ein Schluck Wasser oder das Radioprogramm. Es kommt auf die Zutaten an. Der leider kaum bekannte Fachbegriff für unmotiviert riskantes Verhalten lautet auch wesentlich anders auf Hypermaskulinität, also Übermännlichkeit. Das ist etwas, das außerhalb der Männlichkeit liegt, und außerhalb der Menschlichkeit.

Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Autor und Herausgeber der wichtigsten Bücher über Jungen und Männer, sieht Übermännlichkeit entstehen, wenn der Junge im Alter von zwei Jahren begreift, anders zu sein als die Mutter, aber kein männliches Vorbild in der Nähe ist. Der Junge erlebt Einsamkeit und Orientierungsverlust. Väter sind meist unterwegs. Sie bedienen Maschinen, halten Reden, bewegen Geld.

Alles, was der Junge nicht direkt sieht, wird durch die Imagination unerreichbar und damit groß. Das gilt vor allem für das Erwachsenwerden. Bis es soweit kommt, ist diese Vergrößerungsphantasie irreversibel, sie ist die Hardware im Kopf und wird Realität. Klaus Theweleit spricht hier vom Lachen der Täter und der nicht vervollständigten Geburt.

Abwesenheit des Vaters ist ein Artefakt der Moderne und ihrer spezifischen Arbeitsteilung. Der Politologe und Soziologe Christoph Kucklick hat nachgewiesen, dass auch das negative Bild der Männlichkeit mit der Moderne und Industrialisierung entstand. Aber obwohl wir gerade jetzt, dank Reichtum und Telekommunikation, in der Lage wären, die Dinge zu ändern, haben wir heute immer weniger Vaterschaft. Mancher spricht schon von einem Zeugungsstreik der Männer, während die radikale Rechte sich gern von Phantasien nährt, der Feminismus bereite einer Islamisierung und Umvolkung den Weg, weil er für Kinderarmut verantwortlich wäre.

Übrigens ist das Lieblingsbuch von Götz Kubitschek ein Roman Jochen Kleppers über Friedrich Wilhelm I mit dem Titel: "Der Vater". Und, ja, der Vater ist in diesem Roman auch dann etwas zu positiv gezeichnet, wenn man auch die guten Seiten dieses rabiaten Patriarchen - Schulpflicht, Hygiene, passive Militarisierung - neben dem Ausmaß der sowohl technischen wie sozialen Militarisierung und der grenzenlosen Willkür in Wirtschaft und Familie nennen sollte. Der Einklang mit religiösen Narrativen, die heute allesamt in der Krise und überlebt sind, ist unübersehbar.

Zurück führt kein Weg.

Recht auf Vater?

Deshalb ist die Frage so gut, die Teresa Bücker kürzlich stellte, als sie wissen wollte, ob es radikal sei, alle Väter in Elternzeit zu schicken. Frau Bücker ist vielen als Gast von Anne Will und Sandra Maischberger bekannt und war bis zum letzten Sommer Chefredakteurin der feministischen Edition f. Ihre Idee, Männer zu Elternzeit zu verpflichten, würde vermutlich nicht als Anregung oder Weihnachtsgeschenk gewertet, so befürchtet Bücker allerdings, sondern als Erziehungsmaßnahme.

Der ganze Feminismus würde ja vor allem als Eingriff in persönliche Lebensplanung wahrgenommen. Deshalb ist es vielleicht hilfreicher, wenn wir schlicht fragen, wieso wir es den Vätern erlauben, sich nicht um ihre Kinder zu kümmern. Ist das nicht die offenkundigere Totalität? Haben nicht die Kinder ein Recht auf ihre Väter? Ist es wirklich radikal, einen Vater zu seiner Vaterschaft zu rufen, oder ist es im Gegenteil radikal, dies grundsätzlich nicht zu tun? Zumal wir um die Folgen nun wissen oder wissen könnten?

Ich beantworte das mit "Ja, klar" und jetzt müsste Frau Bücker eigentlich jubeln. Wie kann es dann sein, dass sie einst twitterte, stets körperliche Schmerzen zu bekommen, wenn ich mich zur Krise von Männlichkeit und Vaterschaft äußere? Reden wir nicht über dasselbe? Wovon reden wir noch, wenn wir reden?

Antwort: Nicht mehr über das eigentliche Problem. Sondern über Möglichkeiten, für eine beteiligte Gruppe Vorteile zu ergattern. Tatsächlich wäre die erzwungene Elternzeit der Versuch, das Haus zu streichen, bevor es steht. Die Sache ist nämlich noch viel krasser: Wir kennen den Vater an sich nicht.

Frau Bücker hätte Schwierigkeiten, die bindende Elternzeit jenem Mann zu erklären, der vor einigen Jahren bis zum Bundesverfassungsgericht ging, um einen Vaterschaftstest durchzusetzen. Er war in der Schwangerschaft mit seiner Geliebten zusammengezogen, die bereits verheiratet und Mutter zweier Kinder war. Er war bei der Geburt seines Kindes, hat nachts gewickelt und alles das getan, was moderne Mütter sich wünschen. Nur ging die Frau nach einigen Monaten zu ihren anderen Kindern und dem Ehemann zurück. Und der Ehemann ist der gesetzliche Vater auch des dritten Kindes. Den leiblichen sah es nie wieder.

Es ist mehr als irritierend, dass Bücker in ihrer Kolumne nicht eine Silbe über hunderttausende Väter verliert, die in Gerichten ihre letzten Nerven und Finanzen lassen, um ein Besuchsrecht zu bekommen oder das Recht, ihre Kinder alle zwei Wochen an der Tür abzuholen, hinter der ein anderer Mann sich um sie kümmert und sie erzieht. Oder dies eben nicht tut. Die Statistik, die belegt, dass leibliche Väter sehr selten Missbrauchstäter sind, Stiefväter aber sehr oft, scheint ihr nicht bekannt zu sein. Ich empfehle unbedingt die Mitgliedschaft in einer der Gruppen im Netz, die weltweit Selbstmorde entsorgter Väter dokumentiert und betrauert. Man stellt dann fest, dass wir unsere Probleme nicht nur nicht lösen, sondern sie nicht einmal mehr erkennen: Das Eintauschen des Denkens gegen die Politik, das der Schriftsteller Julien Benda schon vor 100 Jahren an den Pranger stellte, endet heute im Zusammenbruch des öffentlichen Gesprächs.

Zusammenbruch des öffentlichen Gesprächs

Und der findet nicht nur bei heiklen Themen rund ums Geschlecht statt, wie ich eine Zeitlang dachte. Als man Peter Handke ausgerechnet den Nobelpreis für Literatur verlieh, brach sich die Zügellosigkeit endgültig Bahn. Handke, der ohne leiblichen und dann mit dysfunktionalem Stiefvater groß wurde und über den Suizid seiner Mutter die kältesten Sätze der Weltliteratur schrieb, der die Mütter von Srebrenica verhöhnte, wurde von seinen Fürsprechern in einer beispiellos aggressiven Weise verteidigt.

Dabei hatte man manches Mal das Gefühl, dass es Männer waren, die vor allem an den legendären Wutausbrüchen des Preisträgers enormen Gefallen fanden. Handke lieferte diese auch jetzt zuverlässig, anstatt etwa für seine Sicht zu werben. Nicht jeder Verteidiger bewies dabei die Kunst der Beleidigung so wie der rechte Literaturblogger Lars Hartmann, der der Autorin Sophie Paßmann vorwarf, auf "fette Vulva" zu machen. Grenzwertig?

Es war dann aber ausgerechnet Lothar Struck, auf den sich auch die Stockholmer Jury stützte, der den ganzen Verlust aller Maßstäbe zeigte, als der Romancier Jan Böttcher im Netzwerk nur meinte, Peter Handke könne doch etwas gelassener darauf reagieren, wenn Jüngere ihren Schreibauftrag anders wahrnähmen und den Krieg anders erlebten oder gar vor ihm fliehen mussten. Handke selber sei es ja gewesen, der "vor nun schon 52 Jahren in Princeton mit einem 'Times they are A Changin' auf den Lippen einmarschierte und seine Kollegas als impotent beschimpfte". Lothar Struck daraufhin: "Sie sind so dumm. Handke hat damals NICHT die Kollegen als impotent bezeichnet. Er sprach von Beschreibungsimpotenz von deren Literatur. Geht Scheißen."

Beschreibungsimpotenz in der Literatur ist keine Impotenz des Autors und das ist hier die Frage? Und wer immer das beides nicht unterzeichnet, soll sich anhören, dass er so dumm ist und sich besser mit seinem Kot beschäftigt? Statt mit Krieg, Tod, Vertreibung vor unseren Augen?

So können wir nicht weiter machen.

Caroline Fetscher hat Recht, dass es "nicht allein Spiegel seines seelischen Dramas" war, wenn Handke von "mutmaßlichen Massakerstätten" in Bosnien sprach und den Kriegstreiber Milosevic hofierte, "sondern auch das Symptom einer umfassenderen, politischen Verirrung, die auf der einen Seite 'identitäre Bewegung' heißt, auf der anderen 'identity politics' und von beiden Enden her die Demokratie in die Zange nimmt".

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