Abwesenheit des Vaters ist ein Artefakt der Moderne
Seite 3: Wir leben im Sekundären
Diese Verirrung greift nicht nur an den Rändern, sondern jetzt auch mitten unter uns zu. Und sie ist auch nicht nur eine Verrohung des Tons oder ein Zerfall der Formen, sondern der Verlust der Universalität, das heißt: des Anspruches auf sie. Und Universalität ist die Instanz, die verhindert, Halbwahrheiten als ganze zu verkaufen.
Aber wir haben uns so sehr daran gewöhnt, Sekundäres zuerst zu hören, das wir es mit primärem vertauschen. So redet Teresa Bücker nicht über Kinder und Väter, wenn sie über Kinder und Väter redet, sondern über sich selbst, über Frauen, wie Handke nicht über Serben redet, wenn er über Serben redet, sondern über Probleme der Identifikation, als im Land seiner Mutter Krieg ausbricht. Wir sind das gewohnt und denken das immer unbewusst mit. Wir schlucken es. Deswegen geht es immer weiter.
Linke lesen keine Rechten, Frauen keine Männer und vice versa. Politiker reden über Strategien statt über Inhalte und als nächstes dann schon über die Strategie, wie sie die nächste Strategie entwickeln. Sportler haben Gefühlstrainer und erklären in Interviews, wie sie ihre Euphorie herstellen wollen. Autos werden gefahren, weil sie Arbeitsplätze schaffen, nicht weil jemand zur Oma will. Künstler reden über Karrieren und Galerien und Professuren statt über Ästhetik. Die medizinische Industrie entwirft Krankheiten. Wissenschaftler können sich nicht verständlich machen und werden ausgelacht, obwohl die Wettervorhersage immer genauer wird.
Wir leben im Sekundären, in der Metapublik. Aber wie soll man einer Information vertrauen oder wissen, wenn jemand etwas Falsches sagt, wenn man restlos daran gewöhnt ist anzunehmen, dass er sowieso nur ein Interesse verfolgt, das immer partikular ist und um dessentwillen auch gelogen werden darf.
Was uns in den Debatten geläufig geworden ist, heißt im Fußball anerkennend strategisches Foul. Zur Kanzlerkandidatur von Martin Schulz erlebten wir eine wochenlange Berichterstattung über Umfragen, seine Chancen gegen Frau Merkel aufgrund seiner Emotionalität, weil er ein Nichtberliner, aber doch bekannt ist, regional und international ohne national, und so weiter und so fort: Metainformationen, in der die Wähler als dumm an sich selbst zurück verkauft wurden.
Als es an die Inhalte ging, rieben sich alle die Augen: Es gab keine. Noch später wurde bekannt, dass genau das sein Konzept war. Es war nicht Merkel, die das Gespräch verweigert hat, wie er immer behauptete, er hat nicht einmal gemerkt, dass er es selbst war. Auch wenn er sie nur darin toppen wollte und das wahrscheinlich die Idee einer Agentur war.
Das strategische Foul zerstört das Spiel. Folgerichtig kommt ein Mann mit einzeln blau gefärbten Haaren, der perfekt finanziert und inszeniert diese Zerstörung verkündet: Che Guevara 21 ist eine Konfektion. Wie groß der Verlust ist, sieht man noch besser am Vorgänger von Handke, dessen Mutterland ebenfalls in einen Krieg geriet: Albert Camus. "Ich glaube", schrieb er zum Kampf in Algier, "an die Gerechtigkeit, aber vor der Gerechtigkeit werde ich meine Mutter verteidigen." Ist es wirklich so schwer, etwas Vernünftiges über den Konflikt des Eigeninteresses mit dem Ganzen zu sagen, ohne eines von beiden und damit beides zu verraten?
Was die toxische Männlichkeit und das Gemeinwohl angeht, sei an Emma Sulkowicz erinnert, jene Kunststudentin, die sich monatelang mit einer Matratze unterm Arm über den Campus ihrer Universität mühte. "Carry that weight" sollte die Folgen einer Vergewaltigung darstellen, die ein namentlich genannter Kommilitone an ihr verübt habe. Marina Abramovic unterstützte die junge Frau, die sich in Widersprüche verwickelte, mit allen juristischen Schritten gegen den einstigen Liebhaber scheiterte und jüngst zugab, sich den Tod aller Männer gewünscht zu haben. Soweit sind wir. Als ob Nietzsche nie ein Wort über jene verloren hätte, die vorgeben gerecht zu sein, indem sie gerächt sind.
Dass auf der anderen Seite die aktive Verhinderung von Vaterschaft nicht nur radikal, sondern geradezu gewalttätig ist, kann man in dem sehr bald auf Deutsch erscheinenden Buch von Anna Machin über "Die Entstehung des modernen Vaters" nachlesen. Machin ist evolutionäre Anthropologin am Institut für experimentelle Psychologie der Universität Oxford und erklärt, dass Vaterschaft nicht etwa sozial, sondern essentiell für den Mann ist, leibliche Vaterschaft: was Wunder! Sie ihm vorzuenthalten, ist nicht machbar. Man müsste dann mit Männern leben, die nicht nur, wie Paul Virilio einst meinte, per Automobil auch selbst Fahrzeug sein und andere fahren wollen, statt immer nur herumgefahren zu werden, wie es die Frau mit dem Kinde auf natürliche Weise macht: Der Kampf im Außenraum ist der um einen Innenraum!
Deshalb sollten wir statt nur die Elternzeit besser gleich den Vaterschaftstest vorschreiben. Das wäre für unsere Übermänner ein Weckruf aus ihrem Alptraum der Verantwortungslosigkeit. Die Pläne des Justizministeriums, Vätern auch ohne Ehe ein automatisches Sorgerecht einzuräumen, das eine Pflicht ist, verlangen diesen Schritt sowieso. Scharfe Proteste wurden schon von den evangelischen Frauen vorgetragen. Aber um uns weiter zu entwickeln, zu zivilisieren, müssen wir mindestens versuchen, uns den jeweils anderen vorzustellen: Moderne ohne Abstraktionsvermögen geht nicht. Auf halbe Wahrheiten lässt sich Freiheit nicht bauen, dazu braucht es Realismus. Ohne ihn stehen wir erst am Beginn der Radikalisierung.
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