Ach, Olympia!
Seite 2: Weiße Pracht – aus der Kanone
- Ach, Olympia!
- Weiße Pracht – aus der Kanone
- IOC heuchelt Normalität, China profitiert
- Auf einer Seite lesen
Die Ausgangslage führt zu einem bizarren Behelf. Mittels hunderter Beschneiungsanlagen muss Kunstschnee produziert werden; anders als mit Schneekanonen ist dieses Olympia nicht machbar, denn die Berge um Peking verfügen praktisch über keine eigene weiße Pracht. Rund 90 Prozent der benötigten Schneemengen müssen für die Spiele 2022 offenbar künstlich erzeugt werden; die Ausrichter selbst halten sich in diesem Punkt mit Zahlen zurück.
Der Tiroler Manuel Schöpf ist bei den Olympischen Winterspielen in China für die weisse Unterlage zuständig. Auf den Bergen nahe Yanqing, etwa eine Autostunde ausserhalb von Peking, dort, wo der gefragte Spezialist seit Wochen im Dauereinsatz ist, geht es frostig zu. Bei minus 15 Grad weht ein eisiger Wind. "Wir beschneien wie die Weltmeister", freut sich der Tiroler, "es läuft super".
"Super" dürfte der offiziellen Doktrin entgegenkommen, spiegelt aber leider nicht die ganze Wirklichkeit von Olympia 2022. Die Realität klingt aus anderer Quelle etwa so:
Eine gigantische Skipiste ist hier in den Berg gebaut worden. Die Abfahrten sind von weißem Kunstschnee bedeckt. Alle Berge drum herum sind braun. Der Grund: Die Winter hier sind zwar kalt, aber auch extrem trocken. Um den enormen Wasserbedarf für die Schneeproduktion zu decken, wird Wasser aus dem Tal durch ein riesiges Netz aus Rohren auf den Berg zu den 180 Schneekanonen gepumpt.
Tagesschau, 30.12.2021
Nicht nur in Yanqing, auch in Chongli laufen die Schneekanonen im Dauerbetrieb. Carmen de Jong, Professorin für Geografie an der Universität Straßburg in Frankreich, bringt es auf den Punkt; im Deutschlandfunk findet die Wissenschaftlerin klare Worte:
Diese Winterspiele werden die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten sein. Es ist einfach zu viel im Spiel, was Wasser angeht, Bodenverlust, CO2-Ausstoß und so weiter.
Prof. Carmen de Jong, Universität Straßburg
Winterspiele in einer derart trockenen Region zu veranstalten, bezeichnet de Jong schlicht als "Wahnsinn". Klimaexperten rechneten außerdem damit, dass Chinas Führung während der Winterspiele im Februar temporäre Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung anordnen wird, so etwa das Herunterfahren der Industrie-Dreckschleudern rund um die Hauptstadt und eine vorübergehende Einschränkung des Verkehrs. "Ein Trick, den das Regime auch schon während der Sommerspiele 2008 angewendet hatte."
Lädierte Natur, umgesiedelte Dörfer
Kurzerhand hat die chinesische Regierung ein Stück aus dem Naturpark herausgeschnitten, das der olympischen Idee im Wege stand. Nochmal Carmen de Jong: "In Yanking war eigentlich ein Naturschutzgebiet. Dort wurde großflächig entwaldet, Böden und Vegetation wurden vernichtet. Und die Vorstellung, Emissionen durch das Pflanzen von Bäumen zu kompensieren, ist ein Witz."
Der britische Guardian zitierte der ARD-Sportschau zufolge einen chinesischen Wissenschaftler, der aufgezeigt habe, dass die Strecke für die alpinen Wettbewerbe zumindest in Teilen über das Gebiet des Songshan-Nationalparks verlaufe - und nicht entlang der Grenze des Naturreservats, wie es im Inspektionsbericht des IOC ausgewiesen wurde. Die Sportschau weiter:
Für die olympische Skisprungschanze, die ebenfalls neu in die Berge gepflanzt wurde, mussten nicht nur tausend Jahre alten Terrassenkulturen weichen, sondern auch ganze Dörfer, 1.500 Menschen wurden umgesiedelt.
"Beispiellose Parallelwelt" nennt das Schweizer Blatt Der Bund (Tamedia) das olympische Wintertheater. "Wer in der Bubble drin ist, soll keinen Kontakt zur chinesischen Bevölkerung haben." Einen Monat vor dem Start der Winterspiele hat Peking die Sportstätten von der Aussenwelt abgeschottet.
Die schöne neue Wintersport-Welt, die in Peking beworben wird, kommt also aus der Schneekanone. Zu den Erzeugern der Illusion zählt aber auch ein Heer von Propagandisten. Und auch faule Tricks scheinen gang und gäbe, wenn es darum geht, den Spielen einen nachhaltigen Anstrich zu verpassen, während in der 22-Millionen-Metropole die giftige Dunstglocke für ein paar Wochen staatlich verordnete Pause hat.