Acht Milliarden teure Depressionsschübe
Könnte die SPD als Retter gegen rechts bitte gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags stimmen? Kommentar zu einer giftigen Debatte
Könnte sich die SPD bitte auf ihre sozialdemokratischen Basics besinnen, dem Koalitionspartner CDU in Sachsen-Anhalt kurz beispringen und mit der Union zusammen gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags stimmen? Dann wären zwei größere Probleme mit einem Streich erledigt und es gäbe einen Lichtblick für das anstehende kleinere Problem.
Das kleinere Problem ist das Silvester-Fernsehprogramm der ARD und des ZDF. Wegen der Corona-Ausgangsbeschränkungen sollen wir zuhause bleiben und niemanden einladen, also sind wir, wenn wir nicht irgendeiner Hochkultur, taoistischem Sex, Schach oder Mensch-Ärgere-dich-nicht, Call of Duty oder Anderen-auf-andere Weise-auf-die Nerven-gehen frönen wollen, im Ersten nach der Merkel-Neujahrsansprache der Silvestershow mit Jörg Pilawa ausgeliefert oder im Zweiten den Rosenheim-Cops.
Im dritten Programm wird uns in Bayern das "witzig, freche und hintersinnige" Kabarett-Duo "Heißmann + Rassau" angeboten und später dann das Silvesterspezial "Auf bayrisch g'lacht". 3Sat bringt uns mit "Pop around the clock" Stars nach Hause, die in etwa auf der Höhe der Studentenrevolte von 1968 hängen: Bob Dylan, Ringo Starr, Rod Stewart, Elvis.
Man muss sich also auf Depressionsschübe gefasst machen. Bei einem Jahresbudget für die öffentlich-rechtlichen Sender, das bei gut 8 Milliarden Euro liegt und damit zur Weltspitze gehört, könnte man theoretisch auch Weltklasse erwarten. Praktisch auf jeden Fall mehr als nur Provinzklasse. Das Fernseh-Programm tut auch 2020 noch so, als sei Helmut Kohl Kanzler. Für wen ist "Dinner for one", das auch dieses Jahr wieder gesendet wird, tatsächlich "Kult"? Wer freut sich da - außer den Programmgestaltern, die damit bequem Sendeplatz füllen?
Ok, in Wirklichkeit schauen die U-60, die es sich leisten können, sowieso alle Netflix oder andere Abo-Dienste. Aber 52,5 Euro, die man pro Haushalt alle drei Monate als Rundfunkbeitrag überweisen muss, kann man doch nicht einfach in den Wind schießen?
Ein Problem, das sich zum politischen Riesen auswächst
Im neuen Jahr soll der Beitrag um 86 Cent im Monat erhöht werden. Abgehoben oder überwiesen werden dann im Drei-Monats-Rhythmus 55,08 Euro. Die CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt weigert sich bislang, dieser Änderung zuzustimmen. An ihrer Entscheidung hängt die Zustimmung zur Erhöhung in der ganzen Republik (Für einen radikalen Realismus).
Das ist nun politisch ein Riesenproblem geworden. Ein Grund dafür ist die AfD. Das Problem heißt, wie stellt sich die CDU im Osten zur AfD? Zwar wird aus der CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt mitgeteilt, dass ihre Gründe für die Ablehnung der Erhöhung sachlich sind - und sie sei schließlich schon dagegen gewesen, als die AfD noch gar nicht bekannt gegeben hatte, dass sie bei der anstehenden Landtagsabstimmung mit der CDU stimmen würde. Es gehe ihr besonders darum, dass die wirtschaftlich kritische Situation durch die Corona-Epidemie kein guter Zeitpunkt für die Erhöhung ist.
Vonseiten der SPD, der Linken und der Grünen wird dem aber mit Misstrauen begegnet. Man unterstellt Teilen der CDU in Sachsen-Anhalt, dass sie sich der AfD annähern wollen, dass die gemeinsame Position zur Rundfunkbeitragserhöhung nur eine Etappe auf dem Weg zu einer weiteren Zusammenarbeit ist. Damit bekommt die Abstimmung einen anderen Rahmen. Es geht dann, wie es Kommentare immer wieder anmahnen, um eine "Brandmauer", die fallen könnte. Eine Brandmauer zum Schutz der Demokratie.
Man kann dem folgen. In der AfD gibt es extremistische Kräfte. Ihre Ablehnung des ÖRR ist fundamental, es geht ihr nicht allein um die Rundfunkbeiträge, sondern um das System. Aber daraus folgt doch nicht zwangsläufig, dass die Position der CDU-Fraktion damit identisch ist. Aus deren Reihen wird immer wieder betont, dass man für den ÖRR ist, aber eben nicht mit der Gebührenerhöhung einverstanden.
Es hat etwas von einer propagandistischen Rhetorik, wenn man dennoch die Ablehnung mit rechten Positionen eins-zu-eins setzt. Daher wäre es gut, wenn die SPD diesen faulen Zauber beendet, indem sie sich auf die Seite derjenigen stellt, die die Gebührenerhöhung zumindest vertagen will. Noch besser wäre es, wenn die Partei, die früher aufseiten der finanziell weniger gut Situierten war, mit der CDU darauf drängen würde, die Frage der Reformen im ÖRR anzugehen. Dafür gibt es viele gute Gründe.
Ist der ÖRR eine Kirche?
Damit würde sich die SPD auch um das anfangs genannte zweite große Problem kümmern: Vertreter und Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verhalten sich so, als ob der ÖRR eine Kirche wäre, eine unantastbare Institution.
Völlig abgehoben von jeglicher Kritik stellt man sich als Hort der höchsten Qualität dar. Als ob es nicht schon seit vielen Jahren, als sich die AfD noch mit der Bankenkritik beschäftigte, kluge und ausführliche Programmkritik und Kritik an den Beitragssätzen gäbe.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Autor hat eine freundschaftliche Beziehung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und nutzt sehr gerne das Hörfunkprogramm.