Acht-Stunden-Tag abschaffen – eine FDP-Forderung, die längst umgesetzt ist

zeit ist Geld. Geschäftsmann mit Uhrensymbol und Geldzeichen auf virtueller Schnittstelle.

(Bild: A9 STUDIO / shutterstock.com)

Bei Diskussion um den Acht-Stunden-Tag werden kaum betriebliche Realität und Ausnahmen nach Arbeitszeitgesetz thematisiert. Warum sich das ändern muss.

Die Abschaffung des Acht-Stunden-Tags fordert Lukas Köhler, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Diese Begrenzung sei ein "fossiles Dogma aus einer Zeit, in der die Sorge vor Ausbeutung massiv war". Der DGB lehnt den Vorstoß der Freien Demokraten ab. Der Kampf um die Arbeitszeit ist so alt wie die Arbeiterbewegung. Der Acht-Stunden-Tag stand in Deutschland erstmals 1918 in einem Gesetz.

Bei der Debatte um das Thema wird jedoch kaum über das heutige Arbeitszeitgesetz gesprochen. Denn das Gesetz hat Öffnungsklauseln und viele Regelungslücken, die in den Betrieben zugunsten der Unternehmen umgesetzt werden können.

So heißt es im § 3 ArbZG:

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

So heißt es zwar im § 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), die tägliche Arbeitszeit "darf acht Stunden nicht überschreiten" – gleichzeitig werden die Möglichkeiten der Unternehmen ausgeweitet: Denn die tägliche Arbeitszeit "kann auf bis zu zehn Stunden" verlängert werden, wenn z. B. es im Durchschnitt vom sechs Monaten acht Stunden täglich sind.

Grundsätzliches wird also mit Ausnahmen versehen. Tägliche Arbeitszeiten von 10 Stunden sind gar nicht ausgeschlossen, ein verbindlicher Acht-Stunden-Tag nicht vorgeschrieben.

Dass diese Einhaltung selten von den zuständigen Ämtern für Arbeitsschutz überwacht wird, erwähnt der Gesetzgeber nicht. Das zeigt sich am Beispiel Berlin: "Der staatliche Arbeitsschutz kontrolliert auch 150 Jahre nach seiner Einführung nur einen Bruchteil der Berliner Betriebe", meldete jüngst ND. In Berlin entsprechen die Betriebsbegehungen einer jährlichen Kontrollrate von 1,7 Prozent – ein Betrieb wird demnach etwa alle 59 Jahre kontrolliert.

10 Stunden arbeiten oder mehr – das Gesetz lässt es zu

Und selbst von der 10-Stunden-Höchstarbeitszeitgrenze kann nach § 14 ArbZG abgewichen werden, z. B.:

  • bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen,
  • bei "unaufschiebbaren Vor- und Abschlussarbeiten", wenn "dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können",
  • wenn bei Nichterledigung der Arbeit "das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden für das Unternehmen zur Folge haben würden"

Viele "unbestimmte Rechtsbegriffe" finden sich hier, die den Vorgesetzten in der Praxis Entscheidungsmöglichkeiten geben. Von starren Regelungen kann also keine Rede sein.

Sonntagsarbeit mit vielen Ausnahmeregelungen möglich

"Zweck des Gesetzes" ist nach § 1 Punkt 2 ArbZG "den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe" zu schützen. Im weiteren Gesetzestext folgen dann Ausnahmen: Die Regelung wird durch einen großzügigen Katalog von Ausnahmetatbeständen in § 10 ArbZG durchbrochen.

Für Gastronomie, Hotels, Krankenhäuser, Rettungsdienste etc. ist es generell möglich. Aber auch für die Industrie gibt es Aufweichungen. Nach § 10 Abs. 2 ArbZG "dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen mit den Produktionsarbeiten beschäftigt werden", wenn die infolge der Unterbrechung der Produktion die "Arbeiten den Einsatz von mehr Arbeitnehmern als bei durchgehender Produktion erfordern".

Bezeichnend ist auch, zu welchen Themen das Gesetz nichts beinhaltet. Dienstreisen gehören für viele hochqualifizierte Angestellte, auch über Ländergrenzen hinweg, zum Alltag. Das Arbeitszeitgesetz sagt dazu gar nichts. Oft müssen Betroffene selbst ihre Rechte durchsetzen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden:

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber die Zeiten der Hin- und Rückfahrt (Wegezeit) einer Dienstreise als Arbeitszeit vergütet

Urteil vom 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05

Deshalb gibt es in der Praxis Fälle, in denen Arbeitnehmer bei der Dienstreise von München nach Hamburg die Fahrzeit in der Bahn nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Oder die Flugzeit der Dienstreise zum Zulieferer in Vietnam oder zur Hauptverwaltung nach New York als Privatzeit angesehen wird. Und das in einer von Unternehmen gerne als globalisiert bezeichneten Arbeitswelt.

Hier zeigt sich, dass ein fortschrittliches Arbeitszeitgesetz für die abhängig Beschäftigten anders aussehen muss.

Zahl der geleisteten Überstunden enorm hoch

Zumal in vielen Betrieben die Arbeitszeiten gar nicht erfasst werden. Entgegen einer Gerichtsentscheidung: Am 13.09.2022 fällte das Bundesarbeitsgericht eine bahnbrechende Entscheidung: Unternehmen haben die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu dokumentieren.

Für viele Funktionen im Betrieb interessiert das Management die Erfassung jedoch nicht. Zwar bestanden Unternehmer zu Beginn der Industrialisierung auf akribische Kontrolle der Zeiten. Die Leistung sollte gemessen, einzelne Arbeitsschritte wurden etwa in Henry Fords Werken auf die Sekunde genau vorgegeben.

Durch die Digitalisierung können viele Arbeitsprozesse heute nicht mehr zentral gesteuert werden. Die Vorgesetzten müssen nicht mehr gefragt werden. Es geht nicht darum, wie das vorgegebene Ziel zu erreichen ist, sondern darum, dass jeder selbst entscheidet, wie er es erreichen will. Es gibt Zielvereinbarungen. Die werden überprüft.

Folgende Schlagzeilen verwundert deshalb kaum:

"Beschäftigte leisteten 2023 etwa 1,3 Milliarden Überstunden – die meisten davon unbezahlt". Und weiter berichtet spiegel.de: "In Deutschland ist die Zahl der anfallenden Überstunden weiter astronomisch hoch. Im vergangenen Jahr sammelten die Beschäftigten offenbar so viele an, dass ihre Zahl auch für 835.000 Vollzeitjobs gereicht hätte."

Wer unter diesen Bedingungen Aufweichungen gesetzlicher Regelungen bei der Arbeitszeit fordert, hat kein Interesse am Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Denn Digitalisierung und KI in den Betrieben bedeuten:

  • Produktivitätsfortschritte,
  • weniger Menschen produzieren mehr
  • und die Arbeit wird intensiver, da Arbeiten, die erhalten bleiben, in vielen Fällen höhere Anforderungen haben.

Angesichts steigender Produktivität durch neue Technik ist die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich dringender denn je, sie müsste Inhalt eines modernen Arbeitszeitgesetzes zum Schutz der Belegschaften sein.