Achtung, die Pusher kommen!
Ein neuer Hype geht von Küste zu Küste
Wired hat sie groß auf dem Cover, das "Wall Street Journal" liebt sie, "Business Weekly" ebenso und auch auf "Nettime" wird schon darüber diskutiert: Die "Pusher" kommen. Zunächst wurde in wissenschaftlichen Kreisen unschuldig ohne kommerzielle Hintergedanken die Idee für das WorldWideWeb geboren. Informationen sind per "Hyperlink" "abrufbar". Das gebildete User holt sich die Information, die das User will. Diese Methode nennt es "pull". Wir "ziehen" uns die Information von einem Server. Doch wo ziehen möglich ist, ist es auch "schieben". Der Schritt von "Pull" zu "Push" ist nur ein kleiner. Nun also ist es soweit. Drei Jahre nach dem massenhaften Durchbruch von "Pull" ist "Push" angesagt. So zumindest wollen es die Internet-Business-Analysten.
In den siebziger Jahren hatte der politisch engagierte Soul Sänger Curtis Mayfield einen kleinen Hit namens "The Pusherman". Darin ging es um Heroin-Dealer, die in Parks Leute anfixen, um sie zu willigen, weil süchtigen Abnehmern ihres Stoffs zu machen. Die Abhängigen sind dem Pusherman völlig ausgeliefert. Im Refrain des Songs heißt es, " IŽm your mama, IŽm your daddy, IŽm the nigger in the alley, IŽm the pusherman...".
Ende der achtziger Jahre wurde dieses Motiv vom Rapper Ice-T wieder aufgegriffen. Auf Cut-up und Sampling Methoden von Hip Hop zurückgreifend, hat Ice-T den originalen Refrain direkt in seinen Song integriert. Doch im Zuge des Sampling erlebte das Thema eine inhaltliche Transformation. Der Pusherman bei Ice-T verteilt nicht mehr harte Drogen, sondern Hip Hop Audio-Kassetten. Der Stoff, also der Rap (Sprechgesang) von Ice-T ist so scharf, daß jeder es haben will. Am Ende des Songs geraten zwei Leute darüber so sehr in Streit, daß einer den anderen erschießt, um die Kassette behalten zu können.
So führt der Weg von Curtis Mayfield über Ice-T zu den Pushern neuer Internettechnologien. Am Anfang, als das Web aus der wissenschaftlichen Gemeinde auf die "Straße" der allgemeinen Verfügbarkeit kam, war "der Stoff" gratis. Jedes konnte es haben, wenn es über Computer, Modem, Internetzugang verfügte. Das war die "Anfixperiode". Die Dealer verzichteten bewußt auf die Gewinnmitnahme, weil sie wußten, daß dann, wenn die User erst einmal süchtig sein würden, weit höhere Gewinner erzielen würden können. Nun sind sie im Begriff, das Blatt zu wenden.
Die Kaufleute hatten und haben mit dem Web ein Problem. Seine inhaltliche Struktur beruhte vor allem in der Anfangszeit auf einer Ökonomie des Geschenks. Schick du mir einen Text, dann schick ich dir auch einen. Setz einen Link auf meine Seite, dann mach ich einen auf deine. Diese Form der geldlosen Tauschwirtschaft erscheint in ungebührender Weise antikapitalistisch.
Deshalb schrieb die Zeitschrift BusinessWeek in ihrer Ausgabe 8/97 (Titelstory) "Ein Weg aus dem Web-Irrgarten": Das Web ist hip. Das Web ist cool. Und es ist zunehmend frustrierend".
Nach einer Zeit des Experimentierens zeichnete sich ab, daß im Web mit Inhalten kein Geld zu verdienen ist. Die Hardware-Anbieter verdienen Geld, die Software Anbieter verdienen teilweise Geld, die Zugangsprovider verdienen Geld, aber die Bereitsteller von Inhalten blicken ins Leere. Die großen Medienagenturen, Tageszeitungen, Monatsmagazine mußten sich mit dem Gedanken abfinden, daß sie mit ihrem Webangebot bestenfalls über Banner-Werbung einen kleinen Teil des investierten Kapitals wieder hereinholen können. Selbst ein sehr früh auf den Plan getretenes Magazin wie HotWired mit starker Präsenz im Print-Markt via Wired und dem Odem eines Leitmediums der Cyberkultur schreibt beständig Verluste mit seiner Internet-Präsenz. Das konnte auf Dauer nicht so weitergehen.
"Das Web, so scheint es, ist ein Opfer seines Erfolgs", schlagzeilte die BusinessWeek. Und das Wall Street Journal folgerte gar nicht mundfaul: "Seitdem das Internet vor einigen Jahren schlagartig Prominenz erreichte, war es auf der Suche nach einem tragenden Geschäftsmodell." Dieses Geschäftsmodell ist laut Wall Street Journal nun gefunden. Es besteht nicht mehr länger in der verteilten Intelligenz der "many-to-many" Communication, in der jedes potentiell nicht nur Konsument sondern auch Produzent sein kann, sondern in der schlechten alten Metapher des Fernsehens. Nach der Unübersichtlichkeit des Web müssen nun wieder starke zentralisierte Medienangebote her, die, der Metapher des "Sendens" folgend, ihre Programme auf die Bildschirme des Users schieben. Das Wall Street Journal wittert gar einen fundamentalen Paradigmenwechsel, indem das Web auf den Kopf gestellt wird und die Machtverhältnisse in der Medien- und Technologieindustrie auf eine neue Grundlage gestellt würden. Die Browser Software (Netscape, sic!), so frohlocken sie, würde in kürze von einer Software zur Auswahl von Kanälen abgelöst werden.
Den Anlaß zu diesen goldenen Aussichten geben Angebote wie das von Pointcast. Das User, frustriert von der Unübersichtlichkeit des Web, unzuverlässigen Suchmaschinen, die zwar tausende Treffer liefern aber wenige wirkliche Antworten, langen Übertragungszeiten usw., wendet sich verlässlichen Informationsangeboten zu, welche Medienangebote für es bündeln, aufbereiten und konzentrieren. Bei Pointcast sucht es sich aus einer Anzahl von vorausgewählten Sparten und Interessensgebieten einige aus, für die es sich einschreibt. Durch das Herunterladen der entsprechenden Zusatzsoftware wird User in Hinkunft automatisch mit entsprechender Infoware bedient. Das funktioniert vornehmlich und bis jetzt nur dann, wenn User per Standleitung permanent am Internet hängt und den Rechner immer eingeschaltet hat. Immer, wenn Pointcast etwas Neues hat, schiebt es sich automatisch in Form einer Art Bildschirmschoner in den Vordergrund und verlockt animiert zum Hinsehen. Die Infoware ist dann auch zum Anklicken und kann so wieder zu einer speziellen WebSite führen.
Ein redaktionsinterner Test hat ergeben, daß Pointcast vor allem nervt, weil man kaum mehr richtig arbeiten kann, da immer, wenn man einige Minuten das Keyboard nicht berührt, sich dieser Bildschirmschoner in den Vordergrund zieht. Diese Dienste sind wohl für ein User gedacht, das zu blöd ist, um sich Bookmarks zu einigen interessanten Web-Sites zu legen.
Das automatische Versorgungsprinzip, bei dem aktives Browsen nicht mehr nötig ist, wird von der kaufmännischen Welt als die Lösung aller Probleme angesehen. In besagtem Artikel des Wall Street Journal wird eine Frau Nancy Friedman zitiert, ihres Zeichens Marketing Direktorin von Levi & Strauss, die zwar selbst ein Fan des Web, so wie wir es kennen, ist, aber auf Grund der Unsicherheit des Systems in Zukunft Dienste wie Pointcast bevorzugt als Werbefläche mit ihrem Budget bespielen wird.
Frau Friedman ist wie gesagt nur ein Beispiel für das, was die Mehrzahl der kommerziell denkenden Netzgemeinde laut ihren Leitmedien denken soll. Dienste wie Pointcast sind "Internet für Couch Potatoes", wie Brad Chase, Vizedirektor der Internetabteilung von Microsoft sagt. Die großen Jungs, Microsoft, Netscape und all die anderen, haben ihre Entscheidung also bereits gefällt. Sie gehen davon aus, daß die persönlichen Sendenetze eine größere Zentralisierung von Macht und Geld im Internet nach sich ziehen werden, und sind im Begriff, ihre Software auf die neuen Anforderungen zuzuschneidern. Wenn es nach all diesen großen Jungs geht, wird sich eine handvoll Anbieter den Werbemarkt im neuen Medium aufteilen. Der Rest kann von den abfallenden Krümeln leben.
In der Tat könnten die "Pusher" eine Veränderung der Netzwelt mit sich bringen. Neben Pointcast sind bereits andere Firmen wie Backweb ins vielversprechende Geschäft mit den Informationskanälen eingestiegen. Die Firma Marimba bietet mit den Software-produkten "Castanet" und "Bongo" die entsprechenden Programme an, um derartige Dienste zu handhaben. Und ein weiterer Mitbewerber, die Mining Company, bietet einen leicht alternativen Ansatz zum selben Problem. Mittels der von Miningco angebotenen Software können "Guides" für andere Informationsangebote aufbereiten und somit zu Providern im Stile von Pointcast werden, aus vorhandenen Internetresourcen spezielle Angebote filternd und sich über Werbeeinnahmen finanzierend.
Wenn dieser Ansatz greift, könnte das Web tatsächlich von einem "Pull"- zu einem "Push"-Medium werden. Das könnte signifikante Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Internet haben. Die ohnehin noch relativ spärlichen Werbegelder im Internet würden verstärkt diesen Orten der "persönlich zugeschnittenen Informationsvergabe" zufließen und damit anderen Inhaltsanbietern für immer verwehrt bleiben. "Natürlich wird es, für die, die das wollen, weiterhin das Web mit seinem chaotischen unübersichtlichen Angebot geben", heißt es sinngemäß und herablassend im Wall Street Journal. Wenn sich "Push" wirklich durchsetzt, könnten mittelfristig auch die Bereitsteller der technischen Grundlage, die Telekom-Kabelzieher und Zugangsprovider ihre Politik umorientieren. Warum noch offene Infrastrukturen für die Webmassen basteln, könnten diese denken, wenn die wirklichen Massen (und damit das Geschäft) ohnehin zu diesen neuen Netzsendestationen tendieren? Folglich würden auch die großen Bandbreiten für mehr Multimedialität überwiegend in den Dienst dieser Anbieter gestellt werden und das Internet bliebe weiterhin der Stolperpfad, der es ist.
Das User bleibt in dieser Entwicklung das Dumme. Scheinbar niemand will, daß das User sich emanzipiert und vielleicht gar mehr Zeit in die Entwicklung der eigenen Homepage investiert als in den Konsum der vorgefertigten Informationsangebote. Sicherlich wäre das auf seine Konsumentenrolle zurechtgestutzte Usertum eine sehr negative Entwicklung, die alle schönen Hoffnungen vom gleichberechtigten und dezentralisierten Netz Lügen strafen würde. Aber noch ist es ja keinesfalls soweit, daß die Prophezeiung von der Ankunft der Internet-Pusher in voller Breite Wirklichkeit werden würde.
Es ist von elementarer Bedeutung, zu erkennen, daß der Siegeszug der "Push"-Technologien im Stile Pointcasts im Augenblick noch primär Wunschdenken ist. Die Kaufleute hoffen, mit "Push" und der Fernseh-Metapher endlich die Kastanien aus dem Werbefeuer holen zu können. Es ist schon erschreckend zu sehen, mit welcher Insbrunst die kommerzielle Welt das User zum passiven Konsumenten machen will. Wenn es nach ihnen geht, macht das Internet nur dann Sinn, wenn es wieder eine klare Trennung zwischen Konsument und Produzent gibt. Die selben Leute also, die in den letzten Jahren aufgerüstete Multimedia PcŽs, Zusatzequipment wie Sound- und Videokarten und gestalterische Software mit pseudoemanzipatorischen Slogans verkauft haben, daß nun jedes alles tun könne, Texte schreiben, Graphiken bearbeiten, Bilder, Sounds, Videos digitalisieren, sie handeln nun frei nach dem Grundsatz "was kümmert mich mein blödes Geschwätz von gestern" und wollen wieder das reine, süchtige User haben, das sich vertrauensvoll den großen Informationspushern anvertraut, die wie Mama und Papa für es sind und es mit süchtig machender Infomuttermilch besäuseln.
Doch damit dieses Wunschdenken der Infowarenwelt, das sich sein User selbst sucht, Wirklichkeit wird, ist noch einiges an Werbetrommelfeuer nötig. Wie kaum anders zu erwarten positioniert sich das Trendmagazin Wired in diesem Kontext wieder einmal an vorderster Stelle. Nun hat ja Wired auch bis eben gestern noch seiner Leserschaft das computerkompetente omnipotente Usertum schmackhaft gemacht, doch das ist nun zweitrangig geworden. In der Märzausgabe zeigt auf dem Cover eine Hand auf das Leser und sagt - nein, nicht "Uncle Sam needs you", sondern - "PUSH! For Access to Everything. If you want it, it will find you". In der mehrseitigen Coverstory von den Chefautoren Kevin Kelly und Gary Wolf wird die "Push"-Thematik weit über den pragmatisch nüchternen Stand der Dinge von Wall Street Journal und Business Week hinausgetrieben.
Sich der Unzulänglichkeiten existierender Systeme wie Pointcast wohl bewußt, versucht Wired in bewährt futuristischer Manier ein Push-Szenario der Zukunft zu formulieren, in dem das Web sowieso schon Schnee von gestern ist und ganz andere Dinge zählen. In diesem Artikel wird angepriesen, daß es Dinge geben wird, die User einfach nicht mehr "erbrowsen" kann. Die neuen Medien würden sich über die verschiedensten Kanäle hinweg fortpflanzen, Fernsehen und Computernetze in allen Varianten verbindend, vor allem aber auf den vernetzten Technologien beruhend, die in Telekommmunikationsnetzen reisen können, deren einzigartigen Charakter ausnutzend. Diese Vision einer schönen neuen Computerwelt wird durch manch praktisches Beispiel aufgefettet:
...die Technologie dir in das Taxi folgt, das du gerade genommen hast, dich sanft dazu anregt, das lokale Aquarium aufzusuchen, während sie zugleich nicht versäumt, dich über das Zwischenergebnis des gerade laufenden Spiels deiner Lieblings-Basketball-Mannschaft zu informieren. Im selben Moment meldet sich möglicherweise eine andere Apparatur an deinem Handgelenk, welche dir sagt, daß die Route zu deinem Zielort von Staus verstopft ist und dir zugleich ein Sushi-Restaurant vorschlägt, das gerade Sonderangebote hat und in dem du die Stauzeit überbrücken kannst. Auf deinem Computer zu Hause laufen zur gleichen Zeit verführerische Screensaver-Programme, neben den üblichen Nachrichtenprogrammen, unterbrochen nur von den Pressemeldungen der Firmen von denen du Aktienanteile besitzt. Das alles natürlich gemischt mit häufigen Werbebotschaften.
Wired Magazin
Dieser kurze Ausschnitt aus dem sich über viele Seiten hinziehenden Artikel genügt hinlänglich, um die Vision der Wired-Ideologen transparent werden zu lassen. Der Mensch der nahen Zukunft im Zeitalter der Push-Medien wird ein permanent von Information verfolgter sein. Es wird keinen Ort geben, an dem es von Pushern nicht erreicht wird. Es wird bekommen, wofür es sich angemeldet hat, aber noch viel mehr darüber hinaus. Es wird ein immer Umworbenes sein, ein permanent von einer Matrix von Informationsträgern und Inhalten umstricktes.
Doch halt, an dieser Stelle stop. Es ist nicht gesagt, daß es wirklich so sein wird. Das sind die Zeichen der Zeit, wie "Wired" sie sieht. "Wired" hat für einige Zeit recht erfolgreich die Internet-Revolution verkauft. Doch der Scheitelpunkt des Hype ist überschritten und auch Wired kann nicht mehr allein von symbolischem Kapital leben. Das mittelständische infokapitalistische Verlagshaus ist in der Krise. Der Börsengang ist mißlungen. Die britische Ausgabe wurde soeben eingestellt, eine deutsche erst gar nicht gestartet. Wired, selbst einer der Anbieter bei Pointcast, versucht mit dem Push-Thema ein neues Publishing-Paradigma zu lanzieren. Beinahe jeder Satz dieser Coverstory scheint von Werbestrategen diktiert, die verzweifelt nach einer geschäftlichen Basis für das angeschlagene Flaggschiff der Info-Elite suchen.
Deshalb müssen und sollten wir das alles nicht einfach so glauben und hinnehmen. Die "Pusher" sind wie die Drogendealer in den Songs von Curtis Mayfield und Ice-T. Erst haben sie uns gratis angefixt, nun versuchen sie, auf unsere Sucht zu kapitalisieren. Das User soll sich nicht ins stumpfe Fernsehzeitalter zurückkatapultieren lassen. Das User hat selbst die freie Entscheidung, nicht ein sächliches "Es" zu sein (und hier klärt sich vielleicht die seltsame Schreibweise des geschlechtlichen Fürwortes in diesem Artikel), den technischen Apparaten und den großen Medienagglomeraten ausgeliefert, sondern kann als selbstbewußte Sie oder Er die Richtung selbst bestimmen und aktiv die Entwicklung der Informationsgesellschaft mitbeeinflussen. Es gibt immerhin allzuviele, die nichteinmal die Möglichkeit haben "User" zu sein. So sollten die, die das Privileg haben, sich keineswegs so leicht in die Rolle des passiven Konsumenten degradieren lassen.
"Fight for your right to use and abuse the net cause it is yours!" ("IŽve got the power", Refrain, langsame Abblende).