Adaweb schließt
Ein Gratis-Ticket für die Kunst in der Wissensgesellschaft, oder: Gib mir meinen Utopieverlust heute...
"Nix los", dachte ich heute Morgen, nachdem ich mich durch 50 belanglose Listen-Mails in meiner Inbox geklickt, einige der üblichen News-Sites abgegrast und lustlos den Stapel an Pressemeldungen durchgeblättert hatte, der einer Online-Redaktion von PR-Agenturen so ins Haus geschickt wird. Dann entschloss ich mich aber doch noch mal kurz bei der Cybertimes vorbeizuschauen, normalerweise keine ergiebige Fundgrube für superaktuelle Stories, dafür aber für wohlkalkulierte längere Berichte und Kolumnen. Und da stieß ich auf jenen Text, der berichtet, daß Adaweb dicht macht.
Muß ich Adaweb lange vorstellen? Es handelt sich um ein Schwergewicht unter den Internet-Kunst-Sites. Namen von Rang in der Computer- und Konzeptkunstgemeinde wie Julia Scher und Lawrence Weiner präsentieren sich dort mit Web-Arbeiten. Bei Adaweb erwarten einen keine langweiligen Gallerierundgänge mit eingescannten Bildern von Malerei-Flachware, sondern spezifisch fürs Web gemachte, innovative Projekte. Die Navigation auf der Site ist, zugegeben, "komplex", weil eben nicht nach Schema-F gestrickt, aber das macht es ja zugleich auch interessant, sich dem Fluß visueller Navigation anzuvertrauen, der nicht immer zu vorhersehbaren Ergebnissen führt.
Am Montag also hatte Benjamin Weil, Mitbegründer von Adaweb, angekündigt, daß Digital City Inc., Verleger von Adaweb, die Finanzierung neuer Inhalte einstellt. Die Site wird höchstwahrscheinlich nicht vom Netz verschwinden, sondern "versiegelt", d.h. im jetzigen Zustand eingefroren und auf einem anderen Server (welcher, scheint noch nicht klar zu sein) fürs digitale Nirwana konserviert. Digital City ist im Begriff, ein US-weites Netz von Städteführern aufzubauen. Im Zuge der Umstrukturierung des teilweise im Besitz von AOL befindlichen Internet-Unternehmens ist kein Platz mehr für Adaweb.
Nun könnte man das als ganz normalen Geschäftsvorgang betrachten. Im immer mehr zu einem Massenmedium werdenden Web interessiert sich eben nur eine Minderheit für Kunst, Adaweb hat scheints nicht genug Klicks gebracht. Doch genau dieser Umstand, der Ausbau des Webs zu einem Massenmarkt, in Verbindung mit dem Absterben von kulturellen Internet-Projekten, ist es, was mir die Nackenhaare zu Berge stehen läßt.
Milliarden werden in die Infrastruktur des Internet, in neue Kabel, Software, Dienstleistungen und Bewerbung derselben investiert. Wir befinden uns nicht mehr in der dürren Anfangsphase des Internet, sondern in einer Zeit rapider und massiver Expansion. Diese ist begleitet von Fanfarenstößen publizistischer Propaganda, und genau hier setzt der Ärger ein.
In einer Pressemeldung der Intel GmbH vom 9.2.98 anläßlich der Milia wird Paul S. Ottelini, Vizepräsident des Unternehmens, zitiert:
"Von jeher haben sich Kunst und Technologie gegenseitig befruchtet. [...] Wie sehr sich beide auch heute noch wechselseitig beeinflussen, verdeutlicht das Internet. [...] Dank der multimedialen Fähigkeiten eines PCs mit einem Pentium II Prozessor kann heute jeder Software-Entwickler kostengünstig digitale interaktive Programme entwickeln und über das Internet einem Millionenpublikum anbieten".
Theoretisch gesprochen stimmt das ja. Doch wer zahlt dem unabhängigen Internet-Entwickler die Miete in den Monaten und Jahren, in denen er an seiner Entwicklung arbeitet? Und wie will er sein Produkt vertreiben, denn die Existenz einer simplen Homepage wird es ja nicht automatisch zum Verkaufsschlager machen? Erst muß Traffic auf die Site erzeugt werden, und heute, wo es fast schon mehr Sites als User gibt, ist das ohne finanzielle Distributionspower und langen Atem praktisch unmöglich.
Von allen Seiten hören wir, daß in der neuen Ökonomie des Informationszeitalters die Images wichtiger sind als die Produkte. Der Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft werde dadurch gekennzeichnet, daß sich die Produktion entmaterialisiert, daß das Wissen, die Fähigkeiten und die intellektuellen Produkte von Menschen heute das wichtigste Kapital sind. Wenn das wahr ist, dann erscheint es naheliegend (mir zumindest), daß Kunst, die sich nicht mit LŽart pour lŽart begnügt, sondern technologisch kreative Wege geht, eine weit weniger marginale Rolle als noch vor wenigen Jahrzehnten einnimmt, sondern in die Mitte der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit rückt. Und das sollte sich auch in der Honorierung der künstlerischen Leistungen ausdrücken.
Die kreativen Programmierer, von denen Herr Ottelini spricht, oder computerbewanderte Künstler, sie sind es, welche die innovativen Interfaces, die intelligenten Produkte der digitalen Zukunft entwickeln. Die Sonntagsreden der Firmenchefs und Politiker lassen daran auch keinen Zweifel. Wenn es aber um die Finanzierung ihres Tuns geht, dann ist Kunst plötzlich wieder dieser weiche Überflussfaktor, dessen Finanzierung jederzeit eingestellt werden kann, wenn sich das Investitionsklima ändert.
Das Internet ist derzeit mit profaneren Dingen beschäftigt, als sich mit dem komplexen Verhältnis zwischen der kommerziellen Cyber-Explosion und dem gesellschaftlich-politisch-ästhetischen Überbau (wovon Kunst als ein Teil zu betrachten wäre) auseinanderzusetzen. Kritische Ergüsse wie eben mein eigener an dieser Stelle sind so hilflos und vergeblich, als hätte sich bei der ersten Automatisierungsphase der Webstühle zu Zeiten der industriellen Revolution jemand über das Schicksal der Kunststicker beklagt. Die industrielle/informationelle Revolution geht einfach weiter.
Ebenfalls in der aktuellen Ausgabe der Cybertimes schreibt Lisa Napoli, daß eine jüngste Umfrage des Marktforschungsinstituts @plan ergeben hat, daß die Verkaufszahlen im Internet seit der letzten Umfrage von @plan im Juli 97 dramatische Zuwächse zu verzeichnen haben. Der Verkauf von Flugtickets ist um 301 Prozent angestiegen, Aktienverkauf nahm um 291 Prozent zu und Computer Hardware um 111 Prozent.
Der "Wired" Marketplace, also netzbezogene Ausgaben für Computer, Peripherie, Provider, Software und Dienstleistungen soll sich von 500 Milliarden Dollar Mitte der neunziger Jahre auf 5000 Milliarden bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts verzehnfachen. (Financial Times, 5.Nov. 97) Für den E-Commerce werden ähnlich progressive Zuwachsraten erwartet. Steigerungsraten von 500 Prozent werden bereits als Normalfall vorausgesetzt. Und die großen der Industrie, wie Intel und Microsoft, verzeichnen laufend Rekordgewinne in ihren Quartalsabschlüssen.
Unterdessen machen Server wie Adaweb dicht, die Internationale Stadt Berlin schließt, andere Projekte wie Public Netbase oder Backspace in London kämpfen unter selbstausbeuterischen Bedingungen (no pay oder low pay) ums Überleben und Howard Rheingold sinniert resignierend über das Ende von ElectricMinds.
Wer spricht da noch von Innovation? Ja doch, einer, unser aller Lieblingssoftwarekaiser Bill Gates. Am Abend vor der Anhörung durch den Senat im Zuge des Verfahrens über monopolistische Praktiken verkündete Gates laut Cybertimes:
"Hier wird vor allem ein Prinzip in Frage gestellt, nämlich unsere Fähigkeit, unsere Produkte in innovativer Form weiterzuentwickeln".
Wenn Innovation aber wirklich das angestrebte Ziel ist, und wenn die tolle gegenseitige Befruchtung von Kunst und Technologie weitergehen und neue Türen in neue Räume aufstoßen soll, dann wäre es angebracht, daß Industrie und Politik zu ihren Worten stehen und ein wenig Kleingeld aus der Portokasse (ein paar dutzend Millionen Dollar würden es sicher für den Anfang tun) - ganz im Sinne der Geschenksökonomie des Internet ohne Bedingungen oder Auflagen zu stellen - , an jene Orte verteilen, wo die Innovation und Kreation wirklich beheimatet sind. Und das sind meiner Meinung nach immer noch die unabhängigen Kleininstitutionen und freien DigitalkünstlerInnen.
Denn eines ist auch klar: Die Produkte der Digitalkunst-Independents sind, selbst wenn sie sich kritisch und kratzbürstig geben, immer auch Werbung für den Informationsgesellschaftsexpress, der gerade im Begriff ist, so sehr an Fahrt zuzulegen. Ein Gratis-Ticket für die Kunst also bitteschön...
Verwandte URLŽs:
New York Times on the Web www.nytimes.com (registrierungspflichtig)
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