Ägypten: "Seit 1977 keine Zukunftsperspektive für die Jugend"
Seite 5: Konflikte wegen des Staudamms im Norden Äthiopiens
Bis heute ist unklar, inwieweit der Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD ) im Norden Äthiopiens nahe der Grenze zum Sudan, Ägyptens Wasserversorgung einschränken wird, doch angesichts der für 2019 geplanten Fertigstellung der größten Talsperre Afrikas ist der Konflikt um das Megaprojekt akuter denn je.
Äthiopien will mit dem 1,8 Kilometer langen, 155 Meter hohen und 3,4 Milliarden Euro teuren Damm seine Stromproduktion vervielfachen und damit die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorantreiben. Doch die Füllung des vor der Talsperre gelegenen Stausees, der bis zu 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen soll und daher in der Aufstauphase zu nicht unerheblichen Verlusten der Wasserversorgung Sudans und Ägyptens führen könnte, sorgt für Zündstoff zwischen Addis Abeba, Khartoum und Kairo.
Auf der Grundlage eines in den südlichen Nilanrainerstaaten umstrittenen Abkommens von 1959 stehen Ägypten von den rund 84 Milliarden Kubikmetern Wasser, die durchschnittlich jedes Jahr den Nil hinunterfließen, 55,5 und Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter zu. Äthiopien versicherte zwar wiederholt, es wolle kein Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung abzweigen, doch Ägypten ist nicht ohne Grund beunruhigt. Schließlich präferiert Äthiopien eine zügige Füllung des Stausees und brachte eine Zeitspanne von nur drei Jahren ins Spiel.
Konkrete Zahlenspiele seien jedoch "verfrüht" und "hypothetisch", erklärt Ahmed Abu Zeid, dessen Ministerium federführend an den Verhandlungen mit Äthiopien und Sudan beteiligt ist. Denn die technischen Studien zu den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Staudamms, auf deren Grundlage unterschiedliche Szenarien für die Füllung des Stausees ausgearbeitet werden sollen, seien noch nicht abgeschlossen, da sich die drei Regierungen über die Methodik der Studien uneins sind.
Die trilateralen Verhandlungen stocken bereits seit Monaten und konnten erst nach einem Treffen der drei Staatschefs Ende Januar in Addis Abeba wieder in Gang gebracht werden.
Ägypten erhöht den Druck
Doch die neue Dynamik in den Gesprächen war nur von kurzer Dauer. Der Rücktritt von Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn Mitte Februar und die Ausrufung des Ausnahmezustandes als Reaktion auf eine abermalige Protestwelle im Land erweisen sich als zusätzliches Hindernis, den Konflikt mit Sudan und Ägypten über den GERD zügig beizulegen.
Während Ägypten angesichts der zuletzt enger gewordenen Allianz zwischen Sudan und Äthiopien zunehmend in die Defensive gedrängt wurde, erhöht die Regierung in Kairo Desalegns Rücktritt den Druck auf Addis Abeba und versucht, aus den fortdauernden politischen Instabilitäten in Äthiopien politisches Kapital zu schlagen.
Dennoch sind die Zeiten offener Kriegsdrohungen in Zusammenhang mit dem Staudamm offenbar vorbei. Die Regierung in Kairo agierte zuletzt durchaus geschickt und flankierte die Gespräche mit seinen südlichen Nachbarn mit wirtschaftlichen und infrastrukturpolitischen Vorstößen und setzte auf eine betont kompromissbereite Linie.
Kairo brachte nicht nur grenzüberschreitende Straßen- und Schienenverbindungen zwischen den drei Ländern ins Spiel, sondern auch die Errichtung einer Stromtrasse und kam damit Äthiopiens Plänen entgegen, Strom zu exportieren.
Ägypten setze auf "vertrauensbildende Maßnahmen" und "kooperative Beziehungen" zu Sudan und Äthiopien, schließlich könne eine intensivierte wirtschafts- und handelspolitische Integration der drei Länder die regionale Kooperation stärken, so Abu Zeid. Sein Land erwäge zudem verstärkt in Äthiopien zu investieren und will damit offenbar Anreize für Äthiopien schaffen, sich mit der Füllung des Stausees Zeit zu lassen.
Das entwicklungspolitische Potential einer verstärkten regionalen Integration ist zwar vorhanden, doch die innenpolitischen Turbulenzen in Äthiopien, aber auch im Sudan, drohen die Verhandlungen über den GERD zumindest mittelfristig zu überlagern. Nachdem auch der Sudan Anfang Januar mit regierungskritischen Protesten konfrontiert war, bahnten sich mehrere seit langem schwelende Konflikte zwischen Kairo und Khartoum einen Weg zurück an die Oberfläche.
Während Ägypten Sudan vorwirft, "Terroristen" der Muslimbruderschaft zu unterstützen, warf Khartoum Ägypten vor, Mitglieder der Rebellenbewegung Justice and Equality Movement Unterschlupf zu gewähren.
Auch der Grenzstreit um das an der sudanesisch-ägyptischen Grenze gelegene und seit Mitte der 1990er Jahre von Ägyptens Militär kontrollierte Halayeb-Shalateen-Dreieck sorgt abermals für Verstimmungen zwischen beiden Staaten.
Annäherung zwischen Sudan und der Türkei
Der Besuch des sudanesischen Außenministers, Ibrahim Ghandour, und Sudans Geheimdienstchef, Mohamed Atta Al-Mawla Abbas, in Kairo Anfang Februar sollte zwar ein Zeichen der Entspannung aussenden, doch vor dem Hintergrund der von Kairo misstrauisch beäugten Annäherung zwischen dem Sudan und der Türkei wird in der Region seit Jahresbeginn zunehmend mit den Muskeln gespielt.
Im Zuge der Visite des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Sudan im Dezember wurden nicht nur mehrere Wirtschaftsabkommen unterzeichnet, sondern auch eine befristete Übergabe der im Roten Meer gelegenen Insel Suakin an die Türkei vereinbart, die diese auch militärisch nutzen will.
Ägypten, das unter Al-Sisi deutliche Ambitionen auf mehr Kontrolle im Roten Meer anmeldet, ist über die Vorstöße der Türkei in der Region wenig erfreut. Gerüchte über die Verlegung ägyptischer Truppen auf eine von den Vereinten Arabischen Emiraten genutzten Militärbasis in Eritrea halten sich seither beharrlich, werden in Kairo jedoch dementiert.
Die jüngsten Rangeleien zwischen Kairo, Ankara und Khartoum, aber auch die innenpolitischen Turbulenzen in Äthiopien und im Sudan gefährden dabei eine zügige politische Lösung des Konfliktes und lenken auf unabsehbare Zeit von der eigentlich wichtigsten Frage im Kontext des GERD ab, an deren Beantwortung die beteiligten Regierungen bisher nur partiell Interesse zeigen; den nicht absehbaren ökologischen Konsequenzen des Projektes für die gesamte Region.