Ärztestreik am Brückentag: Langes Wochenende gegen Lauterbach?
Verbände kritisieren nicht nur aktuelle Sparpläne. Viele Probleme führen sie aber auf die Politik der letzten 30 Jahre zurück. Warum der Protest ins Leere laufen könnte.
Bundesweit sollten Tausende medizinische Praxen an diesem Montag geschlossen bleiben – dazu hatten Virchowbund als Verband der niedergelassenen Haus- und Fachärzte aufgerufen, um gegen die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu protestieren – allerdings stehen auch dessen Vorgänger aus Union, FDP und SPD in der Kritik. Es geht um die Gesundheitspolitik von drei Jahrzehnten:
"Wir können nicht mehr!"
"Seit 30 Jahren zwingen Politik und Kassen die Arztpraxen zu schmerzhaften Sparmaßnahmen", heißt es auf der Homepage der Kampagne "Praxis in Not", die mit "Ärztestreik" am Brückentag zwischen Wochenende und Nationalfeiertag in einer neue Phase gehen soll. "Wir können nicht mehr! Immer mehr Praxen schließen ohne Nachfolger."
Knapp 20 weitere Ärzteverbände und die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten sich dem Aufruf angeschlossen, hatte ein Sprecher des Virchowbunds am Freitag erklärt.
Lauterbachs Politik halten die Verbände wegen weiterer Sparpläne nicht für geeignet, drängende Probleme – wie Fachkräftemangel, den wachsenden bürokratischen Aufwand und im Verhältnis zu den Kosten nur gering steigende Honorare – zu lösen. Mit einer fünfstelligen Zahl geschlossener Praxen wurde zunächst gerechnet – wie viele sich tatsächlich beteiligten, war bis zuletzt schwer zu sagen.
Die Teilnahme etlicher Praxen scheiterte dem Vernehmen nach daran, dass Termine schon lange im Voraus vergeben worden waren und die Außenwirkung als gering eingeschätzt wurde – etwa in Mecklenburg-Vorpommern sei kaum etwas von der bundesweiten Protestaktion zu spüren, berichtete an diesem Montag der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Nur sehr wenige Arztpraxen hätten sich in dem Bundesland an der Protestaktion beteiligt.
"Schließungen treffen in erster Linie kranke und schwache Menschen"
Für Kassenpatienten, die einen Facharzt aufsuchen wollen, sind Wartezeiten von ein bis zwei Monaten nicht ungewöhnlich – je nach Region können sie auch überschritten werden.
Daher hatten Patientenschützer die Praxisschließungen kritisiert: "Jede Berufsgruppe kann für bessere Bezahlung kämpfen. Doch Praxisschließungen treffen in erster Linie kranke und schwache Menschen", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, der Deutschen Presse-Agentur.
Lauterbach und die Krankenkassen bleiben nach seiner Einschätzung von den Aktionen der Kassenärzte unberührt. "Für andere Freiberufler wäre es undenkbar, sich gegen ihre Kunden zu stellen. Das macht deutlich, dass Patienten im Gesundheitssystem nicht mal den Status eines Kunden in der Wirtschaft haben", kritisierte Brysch in Dortmund.
Auch Lauterbach selbst reagierte erwartungsgemäß mit Unverständnis: "Am Brückentag schließen viele Praxen, wie die Apotheker wollen auch sie mehr Geld. Im Mittel (Median) verdienen sie aber nach Abzug aller Kosten um die 230.000 Euro pro Jahr", schrieb der SPD-Politiker auf der Internet-Plattform X (vormals Twitter). Rhetorisch fragte Lauterbach: "Soll der Beitragssatz für Arbeitnehmer steigen, damit das Honorar weiter steigt?"
Der Virchowbund nennt andere Summen als Lauterbach: Er spricht von einem Praxisüberschuss von durchschnittlich 172.903 Euro im Jahr und einem Nettoeinkommen von 85.555 Euro nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung sowie Altersvorsorge und Einkommenssteuer.
Lauterbach hat in den Haushaltsberatungen weitgehend widerstandslos hingenommen, dass der Gesundheitsetat für 2024 von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) um rund ein Drittel gekürzt wurde: Hierfür sind nur noch 16,22 Milliarden Euro vorgesehen – zuletzt waren es 24,48 Milliarden Euro.