Ätzende Abrechnung mit dem Irakkrieg
"Die Hälfte der Kriegskosten hätte das Sozialsystem der USA für die nächsten 75 Jahre auf eine stabile Basis gestellt"
Bis zum Ende des letzten Jahres soll der Irak-Krieg den USA 251 Milliarden Dollar gekostet haben, Geld, das für Kampfhandlungen im Irak seit der Invasion im März 2003 ausgegeben wurde. Für den Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, bekannt für "ätzende Streitschriften" (Financial Times Deutschland), repräsentieren diese Kosten allerdings nur die "Spitze eines sehr tiefen Eisbergs". Er rechnet mit weitaus mehr und höheren Kosten, die sich für die USA alleine auf bis zu zwei Billionen Dollar belaufen könnten.
Jetzt ist er im Detail für jederman einzusehen, der Bilmes/Stiglitz Bericht zu den Kosten des Irakkriegs (vgl. Der Krieg gegen den Terror wird immer teurer..). Gleich mehrere Schätzungen auf 52 Druckseiten präsentiert der ehemalige Vizepräsident der Weltbank (von 1997 bis 2001) und seine Kollegin, die Harvard-Budgetexpertin Linda Bilmes: Zwei Schätzungen, die ausschließlich die direkten Kosten ("budgetary costs") im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg betreffen. Und dem angehängt Kalküle, welche die makroökonomischen Effekte des Kriegs miteinbeziehen.
Allen diesen Kalkülen, ob auf "konservativer" Basis, wie die Autoren ihre Berechnungen mit den am niedrigsten veranschlagten Kosten bezeichnen, oder auf gemäßigter, "moderater" Basis, die höhere Kostenfaktoren berücksichtigt, oder auf eher spekulativer Basis wie die makroökonomischen Kalküle, die zum Teil mit dem Konstrukt arbeiten, wie sich die Wirtschaft ohne den Krieg entwickelt hätte, - allen ist ein entscheidender Punkt gemeinsam: Sie fallen erheblich höher aus, als es Mitglieder der US-Regierung vor dem Beginn der Kampfhandlungen im März 2003 vorhergesagt hatten.
Peanuts-Prophezeiungen
Zwar gab es einige Wirtschaftswissenschaftler, die schon Monate vor dem Kriegsausbruch vor immensen Kosten warnten (vgl. Irak-Krieg kann die USA zwischen 100 Milliarden und 1,9 Billionen US-Dollar kosten), dessen ungeachtet unterbreiteten der damalige Wirtschaftsberater von Präsident Bush, Larry Lindsey, und der damalige Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz der amerikanischen Öffentlichkeit Zahlen und Annahmen, die den Krieg auch aus wirtschaftlicher Sicht als unproblematisch und gar förderlich propagierten (vgl. Blut, aber kein Öl).
Auf etwa 200 Milliarden Dollar schätzte Lindsey vor drei Jahren die Kriegskosten, um dem hinzuzufügen, dass infolge des Kriegs die irakische Ölproduktion um etliches gesteigert werden könnte und damit die Wirtschaft belebt werden würde. Das Pentagon hielt diese Kostenschätzung für weit übertrieben. Vize Wolfowitz meinte gar, dass der Wiederaufbau im Irak vollständig durch die Öleinnahmen finanziert werden könnte.
Übersehene Kosten
Mittlerweile ist Wolfowitz Weltbankpräsident, deren ehemaliger Vizepräsident Stiglitz, der seinen Job wegen seiner offenen Kritik an der Weltbank verlor, nun detailliert aufzeigt, was das Pentagon und die Wirtschaftsberater von Bush nicht auf der Rechnung hatten: die Kosten für die über 2000 gefallenen Soldaten (pro Soldat "death benefits" zwischen 12.000 Dollar und 100.000, dazu Lebensversicherungen zwischen 250.000 und 500.000). Die Kosten für die Firmenangestellten, die im Irak ums Leben kamen. Und die Kosten für die Versorgung der Kriegsversehrten (medizinische Betreuung plus in Härtefällen - bei 7000 Hirn-Rückenmarksgeschädigten - Pflegekosten und Lebensunterhalt).
Dazu kommen die erheblich gestiegenen Kosten für die Rekrutierung neuer Soldaten. Seit sich die US-Bürger des Risikos infolge des Irakkrieges bewusster sind, gehen die Rekrutierungszahlen zurück. Die Zahl der Rekrutierer wurde demgegenüber beinahe verdoppelt und die Bonus-Auszahlungen für eine erfolgreiche Rekrutierung erhöht (bis zu 40.000 Dollar). Schließlich müssen auch Materialerneuerungskosten und die Zinsen für Geld, das sich das Verteidigungsministerium für die Finanzierung des Kriegs geliehen hat, dazugerechnet werden.
"Konservative" 700 Milliarden und eine "moderate" Billion
Ohne Berücksichtigung makroökonomischer Kosten, auf der Grundlage von Zahlenangaben des Congressional Budget Offize, und vorausgesetzt, dass die amerikanischen Truppen den Irak im Jahre 2010 verlassen haben, die Kriegschulden innerhalb der nächsten 5 Jahre abbezahlt und die langfristigen Kosten für die Kriegsgeschädigten nur 20 Jahre lang bezahlt werden (obwohl das jugendliche Alter der Soldaten eher dafür spricht, dass weitaus länger bezahlt werden muss), würden laut Stiglitz und Bilmes die direkten Kriegskosten in diesem "konservativen" Szenario "wahrscheinlich 700 Milliarden übersteigen".
Sollten die US-Truppen allerdings mit einem kleineren Kontingent bis zum Jahre 2015 bleiben, womit ein Szenario des Congressional Budget Office rechnet, und das Budget der USA in den nächsten 20 Jahren defizitär bleiben, dann würden die Kosten des Kriegs auf über eine Billion Dollar steigen, so das zweite, "moderate" Rechenmodell der beiden Finanzexperten.
Wirtschaftliche Kosten
Diese beiden Kalküle ergänzen Stiglitz und Bilmes noch durch wirtschaftliche Kosten, welche von der Budget-Kostenrechnung nicht erfasst werden, weil sie weder von der Staatsregierung noch von den kämpfenden Truppen getragen werden. Reine Budgetkalkulationen würden außerdem den Preisunterschied zwischen dem, was die Regierung zahlt und was der volle Marktwert wäre, nicht einbeziehen und langfristige Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum nicht berücksichtigen.
Die beiden Wirtschaftswissenschaftler akzentuieren hier vor allem den Verlust der "productive capacity" der jungen Amerikaner, die im Irak schwer verwundet oder getötet worden sind, sowie den Ausfall von "Zivillöhnen", den jene hätten verdienen können, die als Reservisten zurück in den Dienst gerufen wurden. Dazu kommen Ausfallskosten von National Guard-Kräften, die für Polizei, Notfall-und Helferdienste im Inland gebraucht werden, aber für den Irak-Krieg abgezogen worden sind, wie das Beispiel des Hurrikan Katrina im Sommer letzten Jahres demonstrierte. Zu den wirtschaftlichen Kosten ebenfalls dazugerechnet wurden die größere Abnutzung von Material im Krieg (nach Schätzungen des Pentagon nutzt sich die Ausrüstung im Krieg fünf Mal schneller ab als in Friedenszeiten). In der "konservativen Schätzung" werden die wirtschaftlichen Kosten, die mit dem Irakkrieg verbunden sind, auf weitere 187 Milliarden veranschlagt, in der gemäßigten, "moderaten Schätzung" auf 305 Milliarden.
Öl, Sicherheit und die Steigerung der Verteidigungsausgaben
Im zweiten, dem weitaus größeren Teil seines Berichtes konzentriert sich Stiglitz ganz auf seine Spezialität, die Makroökonomie. Naturgemäß ist hier das spekulative Moment größer, da einigen Szenarien das "Was wäre, wenn der Krieg nicht passiert wäre" zugrunde liegen. Für Stiglitz übersteigen die Kosten der makroökonomischen Folgeerscheinungen die direkten Kriegskosten um ein Zig-Faches. Die Ursprünge der makroökonomischen Folgen seien in drei Bereichen abzulesen: in der Sicherheit ("security"), am Ölpreis und an den gestiegenen Verteidigungsausgaben.
Statt die Welt sicherer zu machen, habe der Irakkrieg und seine Folgen das Gefühl der Unsicherheit noch bestärkt, so Stiglitz. Konsequenz: Die Menschen vermeiden noch mehr Risiken, der freie Fluss von Menschen, Gütern und Dienstleistungen werde durch die Reaktionen auf diese Sicherheitslage ernsthaft behindert. "Increased risk is bad for business.": Investitionen würden gescheut. Genauer quantifizieren will Stieglitz diese Konsequenzen allerdings nicht.
Dieser Mühe unterzieht er sich allerdings, was den Ölpreis betrifft. Nach ausgedehnten Rechnungen, die mit verschiedenen Hypothesen arbeiten, kommt Stieglitz wie bei den anderen Kostenrechnungen auch zu einem konservativen Kalkül, wonach 20% der Ölpreissteigerung auf das Konto des Irakkriegs mit all seinen Auswirkungen gehen. Das wären 5 Dollar der 25 Dollar Preissteigerung pro Barrel. Die "gemäßigte" Version veranschlagt 10 Dollar. Sollte der Preis in den nächsten fünf Jahren stabil bleiben, dann würde dies Kosten von 125 Milliarden im konservativen Kalkül bedeuten und 300 Milliarden im gemäßigten Kalkül (für diese Schätzung wurden allerdings 6 Jahre zugrunde gelegt).
Dazu kommen makrookönomischen Nebeneffekte des Ölpreises, die "konservativ" mit 62 Milliarden veranschlagt werden und "gemäßigt, aber plausibel" mit 450 Milliarden. Summasummarum ergibt sich so für Stiglitz und Bilmes eine konservativ geschätzte Gesamtkostenrechnung von 1026 Milliarden Dollar und zurückhaltend geschätzte Kosten von 1854 Milliarden.
"Avoided Costs" - wirtschaftlicher Nutzen des Irak-Kriegs?
Nun kann man sich fragen, ob der Irakkrieg denn nicht auch positive wirtschaftliche Effekte etwa auf die amerikanische Rüstungsindustrie hat - mit all den Nebeneffekten, welche die gesteigerte Nachfrage nach Kriegsgerät und Munition hat, davon steht im Stieglitz-Bericht nichts. Auch nicht im Kalkül, das vor nicht allzu langer Zeit, im September letzten Jahres, vom "Joint Center" der konservativen Think Tanks American Enterprise Institute (vgl. dazu Die Prätorianer-Garde des Imperiums) und Brookings veröffentlicht wurde. Dessen Autoren, Scott Wallsten, Katrina Kosec, kommen erwartungsgemäß zu einer sehr viel günstigeren Kosten/Nutzenrechnung des Irakkrieges, allerdings ohne klassische "Kriegsgewinnler" in ihre Rechnung einzubeziehen.
Nach Wallsten und Kosec wird der Krieg den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2015 etwa 604 Milliarden Dollar an direkten Kosten bescheren. Auf die astronomische Summe von einer Billion kommen diese beiden Wirtschaftsexperten nur, wenn sie die Kosten für die Koalitionspartner und den Irak dazu addieren. Der Clou dieser Rechnung, die ebenfalls die Versorgungskosten für Kriegsversehrte und wirtschaftliche Kosten durch den Ausfall von Produktivkräften mit einbezieht, ist, dass hier auf erstaunliche Weise gegengerechnet wurde.
Während Stiglitz lediglich anmerkt, dass durch den Irakkrieg die Kosten für die Aufrechterhaltung der No-Fly-Zone im Nortdirak gespart würden, gehen diese Autoren hier einige Schritte weiter und berechnen den Wegfall der Sanktionen, das Einstellen der "Containment-Politik" gegenüber dem Irak als Benefits im Sinne von Kosten, die vermieden wurden ("avoided costs"). In der Gesamtrechnung stehen so den oben genannten 604 Milliarden Dollar Kosten eingesparte Kosten in Höhe von 429 Milliarden als Gewinne gegenüber, was den Irak-Krieg schließlich zu einer verhältnismäßig billigen Angelegenheit macht.
Umso mehr als auch in der irakischen Bilanz die verhinderten Morde von Saddam Hussein, der von den US-Truppen entmachtet wurde, als Benefits zu Buche schlagen. Der Posten "Avoided Murders by Saddam Hussein" wird im Zeitraum vom März 2003 bis Dezember 2015 mit 192 Milliarden Dollar als Benefit berechnet. Die zivilen Opfer, um nur diese zu nennen, die der Irakkrieg gefordert hat, fehlen in dieser Kosten-Kalkulation für den Irak.
"Hätte und wäre"
Auch Stiglitz unternimmt, wie beschrieben, einige Ausflüge ins Spekulative. Einer der interessantesten ist im Schlusswort zu finden. Dort stellt er Gedanken darüber an, was man mit dem Geld hätte machen können, wenn die Amerikaner danach gefragt hätten, ob man es nicht besser in das langfristige Wohlergehen - "und vielleicht sogar in die Sicherheit" - investieren hätte können:
Take the conservative estimate of a trillion dollars. Half that sum would have put social security on a firm grounding for the next seventy-five years. If we spent even a small fraction of the remainder on education and research, it is likely our economy would be in a far stronger position. If some of the money spent on research were devoted to alternative energy technologies, or to providing further incentives for conservation, we would be less dependent on oil, and thereby more secure; and the lower prices of oil that would result would have obvious implications for the financing of some of the current threats to America´s security.
While we may not know what causes terrorism, clearly the desperation and despair that comes from the poverty that is rife in so much of the Third world has the potential of providing a fertile feeding ground. For sums less than the direct expenditures on the war, we could have fulfilled our commitment to provide .7% of our GDP to help developing countries-money that could have made an enormous difference, for the better, to the well being of billions today living in poverty. We could have had a Marshall Plan for the Middle East, or the developing countries, that might actually have succeeded in winning the hearts and minds of those in the Middle East.