AfD: Stellungskrieg bis zum Parteitag

Alles gar nicht so gemeint mit dem "Weckruf 2015", findet Lucke. Der Erosionprozess in der AfD hält dennoch an

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Zuerst ging es um ein besseres Deutschland. Die Alternative für Deutschland (AfD) plakatierte munter die Losungen "Mut zur Wahrheit" und "Mut zu Deutschland". Und: "Alle Macht geht vom Volke aus. Wann bei uns?" Ähnlich wie in der Schweiz trat auch die AfD für "Volksentscheide" ein. Montag machten Medienberichte über den "Weckruf 2015" die Runde, am Dienstag ging Parteichef Lucke vor die Presse und fühlte sich, wieder einmal, falsch verstanden. Er wollte die Spaltung der AfD verhindern - und doch spaltet er.

Die letzten Wochen in Deutschland: Die AfD ringt mit sich selbst, Flügel- und Machtkämpfe bescheren ihr medial immense Reichweite, wenn auch eher in der Form von Negativschlagzeilen. Manche Parteimitglieder schmücken ihre Facebook-Profile mit "Stopp Lucke"-Buttons, Vertreter der jeweiligen Flügel glauben, der jeweils andere Flügel sei eine "Sekte" - und würden deren Mitglieder austreten, ginge es der Partei besser. Montagmorgen: Die ersten Medienberichte erscheinen, angeblich plant Lucke ein Auffangbecken für seine Getreuen, spätere Parteineugründung nicht ausgeschlossen (Showdown in der AfD?).

Die Meldungen über die AfD überschlagen sich binnen weniger Stunden dermaßen, dass man sich als Journalist fragt, ob das soeben per Mail verschickte Manuskript überhaupt noch Gültigkeit besitzt, wenn es bei der Redaktion ankommt. Dienstagmittag: Lucke meint, alles sei gar nicht so gemeint gewesen. In Straßburg treten er und unter anderem Hans-Olaf Henkel vor die Presse. Lucke sagt, er wolle eine Spaltung der zerstrittenen Partei abwenden. Sein Verein "Weckruf 2015" sei der Versuch, die Partei zu retten, ein Ausfransen am rechten Rand zu stoppen und eine "Spaltung" respektive "Abspaltung" zu verhindern.

Dabei ist der Rechtsaußenflügel schon so stark, dass es ohne eine "Säuberung" (Hans-Olaf Henkel) respektive ohne Abspaltungen wohl kaum mehr geht. Lucke widerspricht sich also, wieder einmal, selbst. Vermutet werden darf, dass sich die Lucke-Gegner des national-konservativen bis deutlich rechtsaußen stehenden Lagers längst in Stellung gebracht haben für den Parteitag im Juni. Eine Spaltung wäre also die logische Konsequenz von Luckes Versuchen, die Partei auf Kurs zu halten. Und müsste die AfD alle unliebsamen Mitglieder mit Ausschlussverfahren überziehen, der Parteiapparat wäre kaum noch zu anderem fähig.

Die Mitglieder des (wirtschafts-)liberal-konservativen Flügels, die die AfD verlassen wollen, will Lucke über den Umweg seines neuen Schachzuges an sich binden, deren Abwanderung stoppen, sagt er am Dienstag in Straßburg. Dass er seine Anhänger in einem neu gegründeten Verein sammeln will, sei lediglich "der Versuch, die AfD zu retten". Nach Informationen aus Parteikreisen sind binnen zwölf Stunden mehr als tausend AfD-Mitglieder dem "Weckruf" gefolgt. Man wolle auch klar machen, dass die AfD für eine sachliche Politik stehen müsse, aus der Mitte der Gesellschaft komme und "vernünftige Arbeit" leisten könne, so Lucke.

Dass sie aber genau das derzeit nicht kann, macht die Partei seit Monaten deutlich. Logischer ist da der Hinweis, dass Lucke mit der Initiative seine Position in der AfD vor dem Parteitag Mitte Juni festigen möchte. Dem anderen Flügel will er anhand der "Weckruf 2015"-Mitgliederzahlen später wohl seine Truppenstärke präsentieren. Noch herrscht also ein lauwarmer Stellungskrieg unter jenen, die einst angetreten waren, Deutschland zu retten - die jedoch noch nicht einmal miteinander selbst im Reinen sind und sich aus ihren Schürzengräben heraus verbal beschießen. Armes Deutschland also.

Die aus Machtwillen aufgenommenen "Schmuddelkinder" revoltieren

Viel zu lange sog die Partei alles auf, was sie zu einer politischen Größe und Kraft und Volkspartei werden lassen sollte. Irgendwann wurde indes auch Lucke und seinen Parteifreunden klar, dass Personen vom rechten Rand, Verschwörungstheoretiker und leicht angebräunte Netzwerker aus dem Burschenschafts- und Verbindungsspektrum massenhaft eingetreten waren. Diese Neurechten zogen Strippen, immerhin hatten sie das Netzwerken gelernt in all den Zirkeln und Hinterzimmern, und wollten nun eine deutsche FPÖ erschaffen (Flügel- und Hahnenkämpfe in der AfD).

Insofern gleicht all das einem Verhalten, das man zeitweise in Hooligan- oder Ultrakreisen aus dem Bereich der Problemfans, aber auch von den Rockerbanden her kennt. Im Kampf gegen Feinde nimmt man alle verfügbaren Mitstreiter in die eigenen Reihen auf, die ebenso erlebnisorientiert oder kämpferisch gesinnt sind. Man will auf den Stadionrängen oder im Milieu eine Macht werden, eine unangreifbare Gruppe, die sich durchsetzen soll. Auch große Teile der AfD wähnen sich unterdrückt, von der EU, der (fremden) Mächten folgenden Bundespolitik - und den Medien.

Das Problem ist nur: die hinzugezogenen Schmuddelkinder neigen dazu, den guten Ruf alsbald zu demontieren, und aufstrebende Machtmenschen wollen nicht nur die Fußtruppen stellen oder bestenfalls befehligen. Jetzt, da jene politisch rechtsaußen stehenden Truppen strategisch hochgerüstet haben und ihre Delegierten für den Bundesparteitag in Stellung bringen, erkennen Lucke & Co., dass ihnen die Partei um die Ohren zu fliegen droht. Die AfD, die gegen den etablierten Politikbetrieb streitet, präsentiert sich dabei schlimmer als derselbe.

Also Ränkespiele, Majorisierung, üble Nachrede, Erbsenzählerei. Rechtsintellektuelle Kulturrevolutionäre ziehen Strippen und wollen endlich unter dem Dach einer Partei gegen alles kämpfen, was sie links vom rechten CDU-Flügel wähnen, um Kohls geistig-moralische Wende in ihrem Sinne fortzuführen. Neurechte, die selbst von sich glauben, als völkische Eliten seien sie privilegiert. Hochschullehrer wie Lucke oder ehemalige Wirtschaftslenker wie Henkel, die es gewohnt sind, als Vordenker, Wissensvermittelnde oder Autorität anerkannt zu sein, fährt jener rechte Rand dabei nun unentwegt in die Parade.

Auf dem Parteitag im Juni will die AfD eine neue Führung bestimmen. Lucke will alleiniger Vorsitzender werden, sieht sich allerdings dem beschriebenen starken Widerstand durch den deutlich rechts stehenden Flügel ausgesetzt. Die Ko-Parteichefin Frauke Petry, die jenem Flügel zugerechnet wird, sagte am Dienstag, Luckes neue Initiative sei nicht geeignet, die widerstreitenden Flügel zu vereinen und verunsichere die Mitglieder. Sie prüft sogar juristische Schritte, weil unklar ist, ob Luckes Vereinsgründung überhaupt mit dem Statut der Partei vereinbar ist. Auch eine Kandidatur gegen Lucke bei der Wahl einer neuen Parteiführung schloss sie nicht mehr aus.

Der Ko-Parteivorsitzende Konrad Adam bezeichnete die Weckruf-Initiative als "wirklich kurios". Der Bild-Zeitung sagte er, der Name "erinnert an die Zeugen Jehovas oder an die Heilsarmee". Offenbar gebe es AfD-Mitglieder, "die eine Partei mit einem Missionsbetrieb verwechseln", um kompromisslos ihre eigenen Ansichten durchzusetzen. Wie tief Luckes Verhältnis zu seinen beiden Ko-Vorsitzenden zerrüttet ist, illustriert die Episode, die er auf seiner Facebook-Seite schildert.

Auf Anweisung von Petra und Adam hatte die AfD-Bundesgeschäftsstelle am Montag seinen Zugang zum Email-Parteimanager gesperrt, um so den Versand seiner Email zur Gründung des "Weckruf" an die Mitglieder zu verhindern. Die AfD scheint derzeit, entgegen Luckes Beteuerungen, also tief zerstritten zu sein. Aus den Macht- und Flügelkämpfen ist vor dem entscheidenden Parteitag über die Zukunft der AfD innerhalb der Führungsriege und unter den einfachen Parteisoldaten eine Art Stellungskrieg entbrannt.

Angesichts dieser Folgen erinnert Luckes "Weckruf" denn auch eher an einen unfreiwillig komischen und tragischen Hilferuf, weil die einzig logische Konsequenz davon genau das wäre, was Lucke angeblich verhindern will. Diejenigen, die die AfD als "Protest- und Wutbürgerpartei" ansehen, wie Lucke es in Straßburg umschrieben hat, und die der Parteichef nicht mehr ertragen will, werden freiwillig nicht austreten. Hans-Olaf Henkel sagte dem Spiegel jedoch, der Riss zwischen den Flügeln sei nicht mehr zu kitten. Also bliebe doch nur noch: die (Ab-)Spaltung.

Will man sich dabei noch vorstellen müssen, wie "Volksentscheide" enden würden, die solche Streithähne, Strippenzieher und Ränkeschmieder populistisch-propagandistisch einfädeln…?