Flügel- und Hahnenkämpfe in der AfD

Die selbsternannte Partei des gesunden Menschenverstandes gibt aktuell ein konfuses Bild ab. Irgendwo zwischen einer deutschen FPÖ und einer konservativeren FDP

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In der Alternative für Deutschland (AfD) spitzt sich ein Flügelkampf zwischen einem (wirtschafts-)liberal-konservativen Flügel um Lucke und Henkel sowie einem rechtsaußen Flügel um Gauland, Petry sowie Höcke zu. Welcher Flügel künftig die Parteibelange stärker prägen wird, lässt sich nicht prognostizieren. Teile des rechten Flügels scheinen die AfD - zuweilen flankiert von rechten Medien und Blogs - jedoch in eine rechtspopulistische Partei umwandeln zu wollen, die mehr der österreichischen, ehemaligen Haider-Partei FPÖ ähneln soll als einer konservativen FDP.

Alexander Gauland auf dem AfD-Bundesparteitag am 1. Februar 2015 in Bremen. Bild: Olaf Kosinsky/CC-BY-SA-3.0

Neueste Keilerei mit Worten, die auf die Flügelkämpfen seit den für den rechten Parteiflügel siegreichen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fußt: In einem über Facebook verbreiteten "Offenen Brief" teilt der Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel gegenüber Frauke Petry und Alexander Gauland aus. Diese würden die Presse für "innerparteilichen Zwecke und Machtspielchen […] instrumentalisieren". Das Auftreten des rechten Flügels habe die FDP wieder gestärkt und dafür Sorge getragen, dass die AfD Wähler verliere. Von "Intrigen aus Sachsen" schreibt Henkel, von "dauernden Querschüsse[n]" gegen die Parteilinie und "Führungsstruktur" sowie "durch nichts gerechtfertigten Angriffe auf Bernd Lucke" in den Medien.

Wie schon in der Vergangenheit greift die national-konservative Wochenzeitung "Junge Freiheit" (JF) respektive deren Online-Ausgabe das Thema auf und lässt Bundesvize Gauland zurück poltern. "Herr Henkel will die AfD zu einer anderen Partei umbauen und uns loswerden", zitiert die JF den Chef der Landtagsfraktion in Brandenburg. Auch in Gaulands Gegenrede wird deutlich, dass der rechte Flügel, der eine "echte Alternative zu den etablierten Parteien" schaffen will, zumindest Teile des wirtschafts- respektive neoliberalen Flügels weiter attackieren wird. Gauland wirft Henkel zudem vor, dem politischen Gegner Argumente zu liefern, mit dem dieser ihn, Gauland, "im Parlament attackieren" könne.

Bisher warfen AfD und ihr Jugendverband "Junge Alternative" (JA) ihren politischen Gegnern, kritischen Journalisten oder Politikwissenschaftlern vor, sie nicht mit sachlichen Argumenten, sondern lediglich aus ideologischen Gründen zu bekämpfen. Selbst, so die Partei, handele man ideologiefrei und sei eine Partei des gesunden Menschenverstandes. Doch schaut man sich den aktuellen Flügelkampf an, vergisst manch Gockelei, verletzte Eitelkeit und diverse Auswüchse an Schnappatmung, so wird deutlich, dass es tatsächlich um Ideologie geht und der gesunde Menschenverstand manchmal unter die Räder kommt.

So kündigten ursprünglich die AfD-Bezirksverbände aus Nordrhein-Westfalen einen "Alternativen Wissenskongress" an. Nachdem Parteichef Lucke und andere führende AfD-Vertreter sich distanzierten, gründeten Vertreter besagter Verbände einen Trägerverein und luden trotzig nach Witten ein. Auf dem nunmehr offiziell nur noch AfD-nahen "Wissenskongress" ging es sodann eher um Verschwörungstheorien denn um Fakten. Der WDR beschrieb das Meeting wie eine Saalveranstaltung von "Pegida", ein Reporter nannte das Treffen mit rund 800 Besuchern im WDR den "Gottesdienst einer Sekte" voller kruder Verschwörungstheorien.

"Demokratischer, patriotischer, mutiger"

Das ist aber nur ein realsatirisch anmutender Ausreißer, denn in der AfD wütet ein durchaus ernst zu nehmender Richtungsstreit. Auf der einen Seite ein weiterhin bürgerlich auftreten wollender Flügel, auf der anderen Seite ein rechter Parteiflügel, teilweise flankiert von deutlich rechts stehenden Burschenschaftern und Verbindungsstudenten, die - wie die JF - schon seit Jahren darauf hoffen, eine ähnliche geprägte Partei wie die FPÖ in Deutschland etablieren zu können. Ob hier also Henkel eine Partei "umbauen" will, wie Gauland sagt, oder ein völkisch-nationaler Flügel der AfD genau das bewerkstelligen will, dürfte sich noch zeigen. Zumal Gauland selbst unlängst in der stramm rechten "Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft" (SWG) in Hamburg gastierte.

Brachten völkisch-nationale Einzelpersonen aus dem Lager jener Netzwerker die AfD in der Vergangenheit in die Schlagzeilen und zogen sich in Einzelfällen von ihren Ämtern zurück, wurde die AfD sie manchmal doch nie wirklich los. Ein Beispiel ist hier Benjamin Nolte, der nach einem rassistisch geprägten Eklat auf einem Burschentag selbst die stramm rechte Aachener Burschenschaft "Libertas Brünn" verlassen musste und sodann bei der noch weiter rechts stehenden Münchener Burschenschaft "Danubia" andockte. Als stellvertretender Bundeschef der JA geriet er deswegen in die Schlagzeilen, zog sich später zurück und erscheint nun wieder als bayerischen Sprecher der "Patriotischen Plattform" in der AfD und Unterstützer der "Erfurter Resolution" auf der parteipolitischen Bühne. Nolte will die AfD zu einer "neuen, zu einer anderen Volkspartei" machen.

Die von den beiden Landesvorsitzenden Björn Höcke (Thüringen) und André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) initiierte "Erfurter Resolution" sorgt seit Mitte März für die aktuelle Aufregung und soll als Blaupause für eine "Sammlungsbewegung innerhalb der AfD" dienen. Man wolle wieder "demokratischer, patriotischer, mutiger" sein, zugleich kritisiert jener Parteiflügel den eher wirtschafts- oder neoliberalen Teil der AfD und dessen "Technokratentum" sowie "der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes". Ohne die "Pegida"-Bewegung, Lucke oder Henkel zu nennen, kritisiert die Resolution, dass unter anderem beide sich "von bürgerlichen Protestbewegungen" distanzierten (AfD und Pegida wollen sich weiter aufeinander zubewegen), "obwohl sich tausende AfD-Mitglieder als Mitdemonstranten oder Sympathisanten an diesen Aufbrüchen beteiligen".

Zugleich sehe man die AfD "als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte", meint damit "Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf." und glaubt, die Partei solle eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands" sein. Im Endeffekt sind es Forderungen, die Höcke zuvor schon der "Sezession", dem Zentralorgan der "Neuen Rechten", sagte: "Wird die von den Altparteien eingeschlagene Marschrichtung nicht deutlich korrigiert, stehen schon mittelfristig unser Volksvermögen, unsere staatliche Integrität und unser Weiterbestand als Träger einer Hochkultur auf dem Spiel."

Die "Sezession"-Macher begrüßten in jenem Doppelinterview den "Björn", den "wir […] nicht erst seit gestern [kennen]", sondern gemeinsam mit einem weiteren Gesprächspartner auch "im Verlauf unserer langjährigen Verlagsarbeit, im Wandervogel, beim Militär oder auf einer der mittlerweile zahllosen Veranstaltungen des Instituts für Staatspolitik (IfS) kennengelernt" haben. Treibende Kraft hinter der "Sezession" ist unter anderem der Publizist Götz Kubitschek, dessen Antrag auf AfD-Mitgliedschaft im Februar für Schlagzeilen sorgte und den die Bundespartei als Mitglied ablehnte, weil rechtsextremes Gedankengut in der Partei nichts verloren habe.

Reduzierung der AfD auf "völkisches Gedankengut

Der bürgerlichere, liberalere Parteiflügel konterte auf die "Erfurter Resolution" mit der "Deutschland Resolution" und warf dem rechten Flügel vor, er wolle "eine AfD der flachen Parolen und der schrillen Töne" und die "Partei auf Provokation und Protest verengen". Man brauche "weder Flügelkämpfe noch wolkige Phrasen aus dem Arsenal rechter Splitterparteien. Statt dessen brauchen wir Sachkompetenz, Realitätssinn und Überzeugungskraft. […] Wer einseitig den rechten Flügel stärken will, schadet der Einheit der Partei. Wir wollen keine Ideologie. Wir wollen die Partei des gesunden Menschenverstandes bleiben."

Seitdem tobt ein Machtkampf innerhalb der AfD. Parteichef Lucke meldete sich zu Wort und kritisierte die "Erfurter Resolution" scharf, sie atme "den Geist einer grundsätzlichen Systemkritik bei gleichzeitiger Verengung der politischen Stoßrichtung auf wenige Themen". Er "empfinde derartige Formulierungen als sehr verletzend", schrieb Lucke über den Tonfall in der "Erfurter Resolution". Henkel warf Höcke indes eine Reduzierung der AfD auf "völkisches Gedankengut" vor. Es sei ein "groteske[r] Versuch", die AfD zu spalten, sagte er der FAS. Und ergänzte: "Die AfD steht jedenfalls nicht für die Art von rechtspopulistischen Gedanken, die ein kleiner Teil immer wieder äußert."

Gegenüber der JF keilte Gauland zurück: "Die Erklärung enthält an keiner Stelle völkisches Gedankengut, wie von Herrn Henkel behauptet", sagte Gauland der rechten Wochenzeitung, deren Ursprung in der völkisch-nationalen Burschenschafts-Bewegung liegt. Gauland weiter: "Vor einem Jahr hätte noch die gesamte AfD den Inhalt der Erfurter Resolution ohne Probleme unterzeichnet." Die Erklärung enthalte nichts, was seine Partei nicht vertreten könne, betonte der AfD-Bundesvize gegenüber der JF.

Es kam zudem zu Spannungen innerhalb der Thüringer AfD-Landtagsfraktion selbst. Im vorerst letzten Streich des Flügelkampfes legte das ehemalige Mitglied des Bundesvorstandes, Beatrix Diefenbach, ihr Amt nieder; ihr Mann, Herbert Frohnhofen, bislang stellvertretender AfD-Landessprecher in Hessen, kehrte der Partei direkt ganz den Rücken. Begründung unter anderem: In den "Leitungsgremien auf Bundes- und Landesebene" stünden "zunehmend Egomanien und das Streben nach Macht im Mittelpunkt". Und man könne "das Klima und den Missklang, der sich durch sämtliche Ebenen zieht, nicht länger mittragen".

Im Kampf der Parteiflügel gingen Mitglieder mit "Diffamierungen" gegeneinander vor, "die man bislang nur vom politischen Gegner kannte", zitiert die FAZ aus der Begründung der Eheleute, die selbst eher dem rechten Parteiflügel nahestehen sollen. Alles in allem wirkt die AfD derzeit also nicht eben professionell. Und schon vor Wochen warnte der Politologe Jürgen Falter in einem Interview, dass diese Macht- und Flügelkämpfe der Partei letztlich schaden, weil die Wähler nicht wissen könnten, "welchen Kurs sie in Zukunft wirklich einschlagen wird - ob den der nationalkonservativen und auch fremdenfeindlichen und Islam-kritischen Richtung oder doch stärker den der Euro-kritischen Richtung".