AfD und Pegida wollen sich weiter aufeinander zubewegen
Nähern sich Pegida und AfD an? Mancherorts und unter dem Eindruck des Terrors in Paris, durchaus. Doch in anderen Regionen trennt man sich schon wieder voneinander. Ein Irrsinn?
Am Morgen jenes Tages, an dem Vertreter der sächsischen Alternative für Deutschland (AfD) und der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) sich treffen wollten, erschien in verschiedenen deutschen Tageszeitungen ein Interview mit Michael Spreng. "Dass die AfD nun versucht, auf der [Pegida-] Welle mitzuschwimmen, ist der gefährliche Aspekt", warnte der Journalist und Politikberater und erinnerte daran, dass Pegida-Leute üblicherweise den Dialog mit Politik und Medien verweigerten. Nähern sich AfD und "Pegida" in Teilen Ostdeutschlands offenbar unter dem Eindruck des Terrors in Paris weiter an, gibt es in anderen Regionen Zoff zwischen den Protagonisten.
Nach den neuerlichen "Pegida"-Protesten am Montag in Dresden mit über 18.000 Teilnehmern (Pegida in der Verdunkelungsfalle) haben sich die Fraktion der rechtskonservativen AfD im sächsischen Landtag am Mittwoch erstmals mit Initiatoren der "Pegida"-Bewegung getroffen. Im Vorfeld hatte es offenbar ein Versteckspiel um das umstrittene Treffen gegeben. Das ursprünglich für den Mittwochabend im Landtag in Dresden vorgesehene Gespräch hatte bereits früher und von der Öffentlichkeit unbemerkt stattgefunden. Anlass dafür war laut AfD eine geplante Gegenkundgebung der Linken. Es sollen neben AfD-Vertretern auch sieben Personen aus dem "Pegida"-Organisationsteam der Einladung von AfD-Fraktionschefin Frauke Petry gefolgt sein.
Glaubt man den Verlautbarungen nach dem Treffen, nähern sich AfD und "Pegida" an. Die sächsische Landeschefin Frauke Petry wurde am Donnerstagmittag mit den Worten zitiert: "Wir haben festgestellt, dass es offensichtlich inhaltliche Schnittmengen gibt." Die "Pegida"-Bewegung selbst kündigte weitere Dialogbereitschaft an. Petry wandte sich indes erneut gegen Vorbehalte der meisten Parteien, die der "Pegida"-Bewegung Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorwerfen. "Das halten wir für falsch", erklärte Petry vor Medienvertretern. Ein Schulterschluss sei jedoch nicht geplant, dies sei von "Pegida" auch gar nicht gewollt.
Also Friede, Freude, Eierkuchen? Von allem wohl etwas. AfD-Chef Bernd Lucke hatte vor dem Gespräch seine Partei zur Zurückhaltung ermahnt. Gespräche mit "Pegida" seien in Ordnung, das sei aber noch kein Schulterschluss. Der stellvertretende AfD-Sprecher Hans-Olaf Henkel hat seiner Partei geraten, auf Distanz zu der islamfeindlichen Bewegung zu gehen. "Wir sollten nicht Pegida nachlaufen, sondern die Vernünftigen unter den Demonstranten von unserem Programm überzeugen", sagte er. Der Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland sah die Demonstranten dagegen als natürliche Verbündete seiner Partei - allerdings nur in Dresden, ergänzte Gauland am Mittwoch gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.
"Wenn Sie diese 19 Punkte angucken, die in Dresden bei Pegida-Demonstrationen verteilt werden, sind wir sehr nahe", fügte Gauland zudem hinzu - ohne freilich darauf hinzuweisen, dass eine Reihe jener Punkte aus einem Thesenpapier widersprüchlich sind und manche davon eher wie eine Verschleierungstaktik wirken, um einen in Teilen rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Touch der "Pegida"-Bewegung zu übertünchen. Gauland nutzte indes Stunden später den Terroranschlag gegen die Redaktion des seiner Meinung nach offenbar weniger satirischen, sondern "islamkritischen" Magazins "Charlie Hebdo", um "Pegida" zu verteidigen und gegen Kritiker auszuteilen.
Alle, "die bisher die Sorgen vieler Menschen vor einer drohenden Gefahr durch den Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft", ließ Gauland mitteilen. "Die Altparteien sollten sich sehr gut überlegen, ob sie bei ihrer Haltung, die Menschen von Pegida weiterhin zu diffamieren, bleiben wollen." Die "Pegida"-Bewegung selbst artikulierte ihre Kritik an die Politiker anlässlich des Terroraktes ungefähr zeitgleich etwas weniger barsch als Gauland. Wobei es schon erstaunt, dass ausgerechnet jene, aus deren Umfeld zuvor noch der "Lügenpresse" mit Mord und Totschlag gedroht wurde, aktuell die Pressefreiheit verteidigen wollen.
Anders als Gauland rief am Donnerstag Henkel dazu auf, offener über die "Menschenrechtsverletzungen besonders in islamischen Ländern" zu debattieren, "um den aufgeklärten Muslimen in allen islamischen Ländern" den Rücken zu stärken. Parteichef Bernd Lucke reichte kurz darauf eine Presserklärung nach, die ihn mit den Worten wiedergibt: "Gegen gewaltbereiten islamistischen Fundamentalismus muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates vorgegangen werden. Allerdings sollte auch mit Besonnenheit reagiert werden: Man darf nicht die Gewalttat zweier Extremisten einer ganzen Religionsgemeinschaft anlasten, deren Großteil aus friedliebenden, unbescholtenen Menschen besteht."
Hätte es diesen brutalen Mordanschlag geben müssen, um Schnittstellen zwischen Teilen der AfD und "Pegida" aufzuzeigen? Über Gaulands Mitstreiter im AfD-Bundesvorstand, Konrad Adam, urteilte die "Zeit" kürzlich, dass "das, was die Pegida-Demonstranten und die AfD-Anhänger heute rufen, schon vor zehn Jahren in Adams Kommentaren von FAZ und Welt" zu lesen gewesen sei. Nämlich als Adams noch selbst als Redakteur und Autor jener Zeitungen Teil der "Lügenpresse" war.
"Wiedererlangung unserer nationalen Kultur"
Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Marcus Pretzell rief Anfang Januar in einem Brief die Deutschen dazu auf, sich "Pegida" anzuschließen. Die Bewegung sei "eine spezielle Ausprägung der Auflehnung ungehörter Bürger gegen einen Staat, dessen Organisation von politischen Entscheidungen die Mehrheit aussperrt", im Kampf für eine "grundlegende Reform der Demokratie in Deutschland und Europa".
In manchen Gliederungen der AfD oder lokalen und regionalen Pegida-Ablegern kam es in den letzten Tagen ungeachtet mancher Annäherungen jedoch wieder zu Flügelkämpfen, Streitereien und Absagen - möglicherweise auch nur aus strategischen Gründen. In Leipzig wollen Hans-Thomas Tillschneider, Mitglied im sächsischen AfD-Landesvorstand, als "Berater" und Gastautor von "Legida" sowie der Leipziger AfD-Landtagskandidat Felix Koschkar sich als Mitorganisator zurückgezogen. Der Leipziger "Pegida"-Ableger hatte zuvor ein eigenes Thesen-Papier publiziert. Trotz der Beteuerungen, dass man gegen "Fremdenhass, Rassismus und Extremismus" sei, trat man zugleich darin auch für die "Wiedererlangung unserer nationalen Kultur" und einer "Beendigung des Kriegsschuldkultes und der Generationenhaftung" ein. Letztgenanntes könnten so auch NPD und Neonazi-Gruppen einfordern.
In Frankfurt indes verließ "Fragida"-Organisator Hans-Peter Brill die AfD, nachdem der hessische Landesverband seiner Partei sich von ihm distanzierte, weil an einem "Fragida"-Treffen auch ein NPD-Funktionär teilgenommen hatte. Brill verortet sich bisher nach eigenen Angaben auf dem liberalen Flügel der AfD und begründete seinen Austritt auch damit, dass der rechte Flügel der AfD immer stärker werde. Diesbezüglich betonte eine AfD-Sprecherin, in der hessischen AfD bestehe derzeit große Einigkeit, sich nicht an "Pegida"-Demonstrationen zu beteiligen oder diese zu organisieren.
Nachdem in Nordrhein-Westfalen Alexander Heumann, ein Vertreter des deutlich weit rechts stehenden AfD-Randes, sich schon von den regionalen "Pegida"-Ablegern distanziert hatte, zerlegt sich unterdessen die Bewegung in NRW in einer Schlammschlacht weiter. Vertreter des radikalen rechten "Pegida"-Fügels keilen dabei gegen den mehr oder minder offen rechtsextremen Flügel der Bewegung, der seinerseits nachtritt.
"Wir sind das Volk"- Rufer bleiben selbst im kleinsten Kreis erbitterte Streithähne
Beide Flügel und wohl weiterhin auch das zurück ins Boot wollende AfD-Mitglied Heumann scheinen offenbar dem Glauben anzuhängen, dass ihre Vorstellung von "Pegida" die allein selig machenden sein sollte. Und beide Lager behaupten weiterhin über unterschiedliche Facebook-Profile und Blog-Kanäle, die einzig wahren "Pegida"-Vertreter in NRW zu sein. Auch in München beharken sich zwei bisweilen extrem rechte Gruppen, die für sich in Anspruch nehmen, die wahren "Pegida"-Ableger zu sein. Für Menschen, die unlängst noch gemeinsam aufmarschierten und die ihre Anhänger dazu animierten, "Wir sind das Volk!" zu skandieren, hat jene Zerstrittenheit einen durchaus realsatirischen Charakter - wollen sie doch "ein Volk" vertreten und bleiben selbst im kleinsten Kreis erbitterte Streithähne.
Das ganze Hin und Her, all die Flügelkämpfe innerhalb der AfD und den Pegida-Ablegern sowie zugleich die in Internetforen oder via Facebook durch jene Klientel verbreiteten Postings, zeigen aber auch das auf, was der Kolumnist Sacha Lobo folgendermaßen umschrieb: Pegida könne nämlich der AfD zeigen, "wie wirksam und massenfähig auch in Deutschland die völlige Abkehr von rationalen Diskursen ist. Insbesondere, wenn es um Sündenböcke geht. Pegida hat das Zeug, aus der AfD endgültig die deutsche Tea Party zu machen." Irrsinn im politischen Diskurs inbegriffen.