AfD wählt Lucke ab
Die AfD dürfte sich weiter nach rechts bewegen. Und Frauke Petry ist nun (noch) die Chefin von ihrem Ex-Chef
In der Bundesrepublik Deutschland scheint sich erstmals eine Partei rechts von der Union zu etablieren und sich weiterhin auf die Politik der FPÖ oder die des Front National zuzubewegen. Die rund 3.500 Mitglieder der "Alternative für Deutschland" (AfD) wählten am Samstag in der Grugahalle in Essen unter subtropischen Bedingungen Frauke Petry zur neuen Vorsitzenden. Die Entscheidungsschlacht in dem seit Wochen tobenden Stellungskrieg zwischen einem (wirtschafts-)liberal-konservativen und dem rechtsaußen Flügel dürfte mit der Abwahl von Lucke zumindest vorläufig entschieden sein.
Gegen 18.15 Uhr wurde in der Essener Konzert- und Kongresshalle das Ergebnis mitgeteilt, das der Rechtsaußenflügel der AfD seit Wochen unter dem hämischen Label "Luckxit" herbei gesehnt hat. 3.428 Stimmen waren abgegeben worden, 3.412 davon waren gültig, es gab vier Enthaltungen - und 2.047 Unterstützer für die nunmehr neue Chefin. Mit rund 60 Prozent der Stimmen wurde die bisherige Co-Vorsitzende und sächsische Landeschefin Petry zur neuen, alleinigen Bundesvorsitzenden gewählt. Frenetischer Jubel brach unter den Parteitagsbesuchern aus. Kurz darauf sagte Petry, nun gehe es darum, den Vorstand wieder zu einen und die "Streitigkeiten" möglichst schnell zu beenden.
Petry dankte zwar Lucke für seine Aufbauarbeit in der Partei, sagte indes ebenso, eine Parallelstruktur wie den "Weckruf" dürfe es nicht mehr geben. Petry betonte indes, ihre Wahl sei "kein Sieg der Konservativen über die Liberalen". Man sei "nur gemeinsam stark" als "kleine Volkspartei". Ihr ehemaliger Stellvertreter und Brandenburgs AfD-Chef Alexander Gauland betonte kurz darauf, man wolle die Partei nicht nach rechts rücken. Eindrücke und Redebeiträge von dem Parteitag lassen allerdings ganz anderes vermuten.
Von Beginn an glichen Teile des am Sonntag fortgeführten Parteitages, insbesondere bei den Reden von Partygründer Lucke und dessen Konkurrentin Petry am Sonnabend dank Buh-Rufen, Pfiffen und Jubel der jeweiligen Anhängerschaft manchmal einem Gladiatoren-Wettstreit oder dem Treiben auf den Rängen im Fußballstadion. Zuweilen drängte sich auch der Eindruck auf, dass das Treiben der Trolle aus den Foren und ein verbaler Shitstorm im Real Life der AfD angekommen war.
Schon im Vorfeld hatten sich die Parteiflügel übelst beharkt und Strippen gezogen. Der AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel warnte vor einer "NPD light", sollte sich Petry als alleinige Vorsitzende durchsetzen.
Beide Flügel hatten versucht, ihre Sympathisanten durch gemeinsame Anreisen per Bus zu mobilisieren. Die Petry-Gefolgschaft hatte unter anderem eine Versammlung der "Weckruf"-Freunde heimlich aufgenommen und als "Lucke-Leak" verbreitet, um die Stimmung weiter anzuheizen.
Lucke unter friendly fire
Lucke wurde denn auch schon während seiner Begrüßungsansprache mehrfach durch laute Buh-Rufe der Anhänger seiner Rivalin unterbrochen. Lucke verteidigte den von ihm initiierten "Weckruf 2015" (AfD: Stellungskrieg bis zum Parteitag). Dies sei kein Zeichen von Ausgrenzung. Es gehe vielmehr darum, Gefahren von der AfD abzuwenden. Die Gegner Luckes sahen in dem Weckruf einen ersten Schritt für eine Abspaltung. Lucke bekam dies während seiner Reden wiederholt durch Buh-Rufe und Pfiffe zu spüren, zuweilen äußerten Teile des Parteitags durch "Weckruf raus!"-Rufe lautstark ihren Unmut und zeigten Lucke symbolisch ihre rote Abstimmungskarte.
Lucke rief dennoch zur Beendigung der heftigen internen Konflikte auf. Es sei in aller Öffentlichkeit gestritten worden, bis die Fetzen geflogen seien, sagte er. Dies sei für die AfD eine Belastung gewesen, die er bedauere. Die Konflikte müssten "heute entschieden werden und unverzüglich aufhören", sagte Lucke - offenbar ohne zu ahnen, dass sich das Blatt Stunden später gegen ihn wenden würde. Er lobte zudem einen der Köpfe des Rechtsaußenflügels, Björn Höcke. Dieser habe stets mit offenem Visier im Flügelkampf agiert und nicht mit Intrigen - ein indirekter Angriff auf Petry, der der Lucke-Flügel Intrigantentum vorwirft.
Luckes Konkurrentin sagte mit Blick auf die Auseinandersetzungen, die AfD habe Angriffe unter der Gürtellinie nicht nötig. Sie wies zudem den Vorwurf zurück, die Partei nicht gegen rechtspopulistische Tendenzen abzugrenzen. "Ich kann in der Tat keinen Rechtsruck dieser Partei erkennen, also sollten wir ihn auch nicht herbeireden." Der Vorwurf, man sei Rechts, sei ein Begriff, der das "demokratische Klima vergiftet". Die gesellschaftlichen Debatten trügen manchmal "totalitäre Züge", Minderheitenmeinungen wie jene der AfD würden als rechts "diffamiert".
Es gehe darum, Anfeindungen von außen auszuhalten und, so Petry, parteiintern müsse man solche Begriffe und das "ausgediente Vokabular der etablierten Parteien" meiden. Dies war ein indirekter Angriff auf Lucke, der zuvor solche Umschreibungen selbst genutzt hatte gegen den rechten Parteiflügel und sich unter anderem positiv auf einen Beitrag des TV-Magazins "Monitor" bezog, der die weitere Unterwanderung der AfD durch das Rechtsaußen-Spektrum thematisiert hatte. Im Machtkampf der Parteiflügel sei man "friendly fire" ausgesetzt gewesen, fügte Petry an die Adresse Luckes gerichtet hinzu. Sie erntete bei ihrer Begrüßungsrede weniger Buh-Rufe und Pfiffe und am Ende mehr Applaus - spätestens da dürfte Lucke aufgefallen sein, dass seine Zukunft in der AfD bescheiden ausfallen könnte.
Entgegen aller anders lautenden Aussagen der Parteiführung: Die AfD befindet sich weiter auf dem Weg nach rechtsaußen und folgt damit dem Ergebnis einer "Stern"-Umfrage unter AfD-Anhängern, wonach diese mehrheitlich Themensetzungen begrüßten, die üblicherweise bei rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Parteien anzutreffen sind. Deutlich wurde dies auch an den Redebeiträgen und der eigenen, politischen Terminologie.
Konrad Adam, der im alten Vorstand neben Lucke und Petry der Dritte im Bunde war, erntete etwa bei seiner Begrüßungsrede von den Parteimitgliedern viel Applaus für den Satz: "Als rechts gilt heute, wer einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass sich der Unterschied von Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen lässt."
Für Asylsuchende und gegen Pegida oder gegen Islam und für Pegida
Im Endeffekt sture Polemik und ein Opfermythos, denn logischerweise gelten in Deutschland andere Kriterien, um als rechts, rechtsradikal oder rechtsextrem zu gelten, was freilich auch der ehemalige Redakteur und Korrespondent angesehener Zeitungen weiß. Solcherlei Mythen, etwa dass die AfD zu Unrecht als Rechtsaußenpartei "diffamiert" werde, durchzogen viele der Redebeiträge und waren wohl eine Art Vorankündigung auf den Wahlausgang zum Vorstand. Hinzu kamen erkennbare Tiefschläge für Lucke, etwa dass seine Auftaktrede stärker als die von Petry durch Publikumsäußerungen gestört wurde.
Luckes Vorhaben, André Yorulmaz - ein bekennender Homosexueller, Konservativer und Sohn einer deutschen Mutter sowie eines türkischen Vaters - als Generalsekretär aufzubauen, scheiterte, weil der Parteitag diesen Tagesordnungspunkt mit 61 Prozent direkt kippte. Der Chef des AfD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und Petry-Kompagnon, Marcus Pretzell, servierte Lucke ebenso eine Art von Tiefschlag in seinem Grußwort frei Haus, indem er als Gastgeber Petry rhetorische Schützenhilfe leistete.
In seiner mit indirekten Spitzen gegen Lucke gewürzten Rede sprach Pretzell sich mehr für eine Nähe zur islamfeindlichen Pegida-Bewegung aus und rief dazu auf, sich nicht als "rechtsradikal brandmarken" zu lassen. Bei der "Bürgerrechtspartei AfD" gehe es auch um "Systemkritik" - Lucke hatte sich immer gegen eine solche ausgesprochen. Laut Pretzell habe die AfD "große Sternstunden noch vor sich". Auch die Berichte der Noch-Sprecher Adam, Lucke und Petry waren teils geprägt durch den Machtkampf und glichen logischerweise Antrittsreden der Vorstandskandidaten.
Lucke sprach sich etwa gegen Pegida aus und gegen eine Verteufelung des Islams, der Muslime und der Asylsuchenden, Petry bezog sich positiv auf Pegida und wetterte gegen den Islam. Bei der Kandidatenvorstellung wollte Lucke keine kurze Rede mehr halten, Petry nutzte die ihre am Samstagnachmittag dazu, sich nicht als Intrigantin, sondern als integrierende Kraft zwischen den Flügeln darzustellen.
Wie geht es nun weiter mit der AfD und was wird aus Lucke und dessen "Weckruf"? Der abgewählte Parteigründer und bisher bekanntester Kopf der AfD ließ eine mögliche Abspaltung des von ihm initiierten Vereins vorerst offen. "Welche Konsequenzen der 'Weckruf' jetzt daraus ziehen wird und welche ich persönlich jetzt daraus ziehen werde, das entscheiden wir nicht spontan wenige Minuten nach der Wahl", sagte er Medienvertretern. "Wir werden das heute Abend beraten und die nächsten Tage."
Fortsetzung in Sachen "Luckxit" folgt also - und je umfangreicher dieser ausfällt, umso deutlicher wird, ob sich eine deutsche FPÖ etablieren kann.