Afghanistan: Hier sind die Gewinner
Korruptionsmaschine und Propaganda. Ein Kommentar
Politiker von den Grünen bis zur CSU geben sich überrascht, dass sich der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in Afghanistan derartig rasch vollzieht. Gemeinsam mit den etablierten Außenpolitikern wundern sich natürlich auch die ebenso etablierten Journalisten.
Seit zwanzig Jahren haben sie sich gegenseitig versichert, dass die Nato in Afghanistan ein demokratisches Staatswesen aufbaut. Die einfache Wahrheit, dass die US-Truppen und ihre Verbündeten vom ersten Tag dieses Krieges an eine einzige Korruptionsmaschine geschaffen haben, konnte sich in dieser Öffentlichkeit leider nicht durchsetzen.
Natürlich ist nun wieder die Rede vom Staatsversagen. Diese letzte Rückzugslinie der regierungstreuen Propaganda betont, dass man eigentlich ganz andere Absichten gehabt habe, aber irgendetwas sei wohl schiefgelaufen. Diese Karte wird immer gezogen, wenn die Realität sich nicht weiter leugnen lässt.
Man betont, wie schlimm die Lage sei, und dass nun alle darunter leiden, besonders natürlich der berühmte "Westen" und die "internationale Gemeinschaft", etwa weil deren "Glaubwürdigkeit" nun beschädigt sei. Dies ist dann die rhetorische Rutsche, um anschließend an gemeinsame Werte und Interessen zu appellieren. Wir sitzen doch alle im selben Boot, oder nicht?
Wir sitzen keineswegs alle im selben Boot
Wie immer steht Propaganda avers gegen Fakten. Wir sitzen keineswegs alle im selben Boot, noch tragen wir eine gemeinsame Verantwortung für die verbrecherische Außenpolitik, die seit September 2001 zum Standard geworden ist. Bei dem Spiegelgefecht namens "Kampf gegen den Terrorismus" gibt es Verlierer und Gewinner.
Die Verliererseite ist schnell beschrieben: Allein in Afghanistan und Pakistan starben in den vergangenen zwanzig Jahren mindestens 70.000 Zivilisten, 75.000 lokale Angehörige von Militär und Polizei sowie 85.000 als feindliche Kämpfer eingestufte Personen.
Zusammen mit den überschaubaren Verlusten des US-Militärs, privater Söldnerfirmen und den regulären alliierten Kräften summiert sich die Zahl der Toten auf gut 240.000 Menschenleben. Die Wirtschaft des Landes befindet sich in einem ähnlich schlimmen Zustand wie im Jahr 2001, obwohl pro Jahr durchschnittlich etwa zehn Milliarden US-Dollar an externen Hilfsgeldern in das Land flossen.
Davon kam etwa die Hälfte dem Sicherheitsapparat, also afghanischem Militär, Milizen, Polizei und Geheimdiensten zugute, wobei diese natürlich Anschaffungen im Nato-Standard tätigen mussten, sprich: Das Geld wurde an westliche Rüstungs- und Logistikunternehmen zurücküberwiesen.
Angesichts der Summen, die den amerikanischen Steuerzahlern direkt aus dem Kreuz geleiert wurden, um sie vor einem furchterregenden Gespenst mit Namen al-Qaida zu schützen, sind dies allerdings nur Petitessen. Vom Fiskaljahr 2001 bis zum Fiskaljahr 2021 schlug allein der Afghanistan-Feldzug mit etwa 2,261 Billionen US-Dollar zu Buche - ausgeschrieben: zweitausendzweihunderteinundsechzig Milliarden.
Davon gingen knapp eintausend Milliarden US-Dollar an das Verteidigungsministerium, weitere 60 Milliarden an das Außenministerium, die kriegsbedingten Aufwüchse beliefen sich über die Jahre auf 443 Milliarden und die Gesundheitsausgaben für Veteranen schlugen mit knapp 300 Milliarden zu Buche. Außerdem müssen 530 Milliarden US-Dollar an geschätzten Zinsen für Kriegsanleihen berücksichtigt werden.
Ein eigenes Akkumulationsmodell
Legt man zugrunde, dass diese 2,261 Billionen US-Dollar sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben können, sondern als Transaktionen bei Banken, Anlegern, Rüstungsfirmen, Söldnerunternehmen und anderen Dienstleistern wie der IT- und der Logistikbranche landeten, muss man feststellen: Dieser Krieg ist - wie jeder andere - ein großartiges Programm, um öffentliche Mittel in private Hände umzuleiten. Dabei gilt jedoch grundsätzlich, dass das Ziel der öffentlichen Auftraggeber (Frieden, Sicherheit, Demokratie) dem finanziellen Anreiz der Auftragnehmer (Krieg) zuwiderläuft.
Dies dürfte auch ein wesentlicher Grund sein, dass der inzwischen sprichwörtlich endlose Krieg gegen den Terror sich tatsächlich als dies herausstellt, nämlich endlos. Zusammen mit den Kriegen in Irak, Libyen und Syrien sowie Kriegshandlungen in Jemen und Somalia kostete der gesamte Krieg gegen den Terror die US-Steuerzahler mindestens 6,4 Billionen US-Dollar - Stand November 2019.
Damit haben die wechselnden Regierungen der Vereinigten Staaten ihre Waffenhersteller, Computer- und Logistikfirmen sowie weitere Branchen subventioniert. Dieser Krieg gegen den Terror ist ein eigenes Akkumulationsmodell, das vom ersten Tag auf Angstpolitik und Lügen fußte.
Nichts illustriert diese Absurdität besser als die Begünstigten auf der afghanischen Seite. Die US-Regierung setzte bei ihrem Krieg in Afghanistan vom ersten Tag an auf alte Freunde, die bis heute die afghanische Innenpolitik bestimmen. Darunter sind einfache psychopathische Massenmörder wie Gulbuddin Hekmatyār und Abdul Raschid Dostum. Besonders erwähnenswert ist natürlich der Salafistenführer und bin Laden-Freund Abdul Rasul Sayyaf. Mit tatkräftiger Unterstützung unserer privilegierten Verbündeten Saudi-Arabien und Pakistan hatte er maßgeblichen Anteil daran, den islamistischen Terror von Afghanistan aus zu internationalisieren.
Wenn wir uns aktuell das würdelose Gewinsel von Röttgen, Reichelt und Co. anhören müssen, die ein angebliches Versagen der westlichen Regierungen bejammern, dann muss das daran liegen, dass diese Spezialisten für Außenpolitik einfach nicht mitbekommen haben, wer in Afghanistan das Sagen hatte.
Scheinbar konnten Politiker und Journalisten in zwanzig Jahren einfach nicht mitbekommen, dass der Staatsaufbau in Afghanistan eine einzige Korruptionsmaschine war, an der westliche Unternehmen sehr viel und örtliche Kriminelle ein wenig verdienten. Das ist natürlich umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sich alle Genannten gemeinsam besonders enger Verbindungen zum amerikanischen Sicherheitsapparat rühmen dürfen.