Afghanistan: Wer ist Washingtons Mann?
Im Stil der iranischen Reformer wirft Gegenkandidat Abdullah dem Amtsinhaber Karsai Wahlbetrug größeren Ausmaßes vor
Möglicherweise werden heute erste Teilergebnisse der Wahlen in Afghanistan (siehe Keine freie Wahlen in Afghanistan veröffentlicht. Wahlsieg-Deklamationen und - Reklamationen gibt es aber schon seit diesem Wochenende. Sowohl der Amtsinhaber Karsai wie dessen Konkurrent Abdullah Abdullah erhoben Anspruch auf den Sieg. Das könnte in einen Machtkampf eskalieren, der auf den Straßen ausgefochten wird, so die Furcht von Beobachtern.
Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf die unterschiedliche ethnische Zusammensetzung der jeweiligen Unterstützerlager – Tadschiken aus dem Norden werden der Seite Abdullahs zugerechnet und Paschtunen im Süden Karsai. Eine vielleicht grobe Zuordnung, die, wie sich allein im Fall Karsais zeigt, Unstimmigkeiten aufweist. Karsai ist im alles andere als homogenen Lager der Paschtunen umstritten - er hat nicht nur unter den Taliban-Paschtunen mächtige Gegner. (Und dass Abdullah Abdullah einen paschtunischen Vater hat ist ebenfalls eine wenn auch kleine, aber nicht untypische Widersprüchlichkeit, mit denen sich einfache Zuordnungen in Afghanistan öfter reiben).
Abdullah, der „neue Darling der Westmedien“ (Frankfurter Rundschau), früher Außenminister unter Karsai wirft dem alten Liebling der Westmedien, dem Amtsinhaber, Wahlmanipulationen im größerem Stil vor. Karsai habe dabei auf ein Netz aus von ihm bestellten Personen in Schlüsselpositionen zurückgreifen können. Wer hier an Vorwürfe denkt, die von Reformern anläßlich der iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni gegenüber Ahmadinedschad erhoben wird, wird im weiteren bestätigt: “Die Verstöße sind eklatant und gehen in die Hunderte. Sie sind außergewöhnlich und werden das Wahlergebnis verändern.“ So wird Abdullah von der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News zitiert.
Seine Behauptungen stützt der Gegenkandidat Karsais auf nicht näher präzisierte Berichte, die er aus Regionen habe, in denen überhaupt nicht gewählt worden sei, bzw. die Wahlbeteiligung „extrem niedrig“ gewesen sein soll, deren Stimmenauszählung aber dem Präsidenten Ergebnisse zurechnen würden, die „sieben Mal so hoch“ ausfallen. Ähnlich wie bei den Streitigkeiten über die Wahlergebnisse in Iran argumentiert Abdullah auch damit, dass „einige andere Kandidaten ebenfalls Unregelmäßigkeiten bestätigen würden und manche die Legitimität der Wahlen in Zweifel zögen.
Die britische Zeitung Independent zitiert die Election Complaints Commission, in der internationale Repräsentanten laut Zeitung die Mehrheit stellen, mit Aussagen, wonach 225 Beschwerden registriert wurden, wovon 35 in die Kategorie “high priority” fallen und 110 als “priority” gewertet wurden. Aussagen von afghanischen und internationalen Wahlbeobachtungsteams und Menschenrechtsorganisationen, die in einem McClatchy-Berichtvom Wochenende zu finden sind, mahnen ebenfalls zur Vorsicht gegenüber vorschnellen Beurteilungen, die in der Wahl vor allem einen „Erfolg“ sehen wollen.
Was den westlichen Militäreinsatz anbelangt, dessen großes Ziel ja darin besteht, für Stabilität im Land zu sorgen, um Demokratie zu ermöglichen, so stellt die afghanische Wahl allerdings schon jetzt keine besonders ermutigende Bilanz aus: Die erklärten Gegner des vom Westen geförderten demokratischen Modells, die Taliban, sind, wie aus einer Reportage der New York Times im Detail hervorgeht, im Süden des Landes nur mit großer militärische Mühe und allen Anzeichen nach auch nur kurzfristig auf Distanz zu halten. Es gebe nur ein „schmales Fenster“, um die örtliche Bevölkerung gegen die Guerillas zu gewinnen, sagen amerikanische Kommandeure, deren Namen von der Zeitung nicht genannt werden.
Die Washington Post läßt den militärischen Oberkommandeur Joint Chiefs of Staff Chairman Adm. Michael Mullen zu Wort kommen. Und auch der berichtet von einer „ernsthaften Lage, die sich verschlechtert“. Dass zum ersten Mal Umfragen unter der amerikanischen Bevölkerung eine Mehrheit ausweisen, die nicht mehr daran glauben, dass der Krieg in Afghanistan die Anstrengungen lohne („for the first time a majority of Americans do not think the Afghan war is worth fighting“), beunruhige den Admiral außerdem, so die Zeitung.
Dem Bericht zufolge nehmen sowohl Admiral Mullen wie der ehemalige Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan und jetzige US-Botschafter in Afghanistan, Karl W. Eikenberry (siehe Kein Plan für Afghanistan), den Streit über das Wahlergebnis zwischen Hamid Karsai und Abdullah Abdullah ziemlich ernst – Eikenberry: „Wir werden mehrere Wochen lang nicht genau wissen, wo wir in diesem Prozess genau stehen.“ Das offizielle Endergebnis stehe frühestens am 17.September fest, möglicherweise komme es zu einer Stichwahl, die für Mitte Oktober festgesetzt ist.
Ein wenig überraschend ist die Haltung der beiden US-Repräsentanten, die die Vorwürfe des Wahlbetrug nicht ausräumen, schon. Normalerweise machen das amerikanische Vertreter nicht, wenn es um „Washingtons Mann“ in einem wichtigen Gebiet geht. Doch ließ die US-Regierung schon länger durchblicken, dass Karsai nicht mehr unbedingt ihr Mann in Kabul ist. Und Abdullah Abdullah hat ein paar Vorzüge aus der Sicht Washingtons. Er wird zum Lager der Nord-Allianz gerechnet, mit denen man sich einst gegen die Sowjetunion und später gegen die Taliban verbündete.