Afrika: Omikron, Corona-Impfstoffmangel und HIV-Erkrankungen

Das Versäumnis, Covid-19-Impfstoffe in Länder mit hohen Raten unkontrollierter fortgeschrittener HIV-Infektionen zu bringen, setzt Menschen, die dort mit HIV leben, einem noch größeren Risiko aus und könnte die Entstehung von Coronavirus-Varianten vorantreiben

Vor einigen Tagen hat Telepolis aus Anlass des diesjährigen Welt-Aids-Tages den Artikel Corona und HIV: ein verheerendes Zusammentreffen veröffentlicht, in dem die aktuellen Daten und Fakten über HIV/Aids in Deutschland und weltweit zusammengestellt sind. Wie der Titel sagt, weist der Beitrag auch auf die Wechselwirkungen von HIV/Aids und Covid-19 in Subsahara-Afrika hin.

Wegen der großen globalen Bedeutung einiger damit zusammenhängender Fragen und Probleme beschäftigt sich der vorliegende Text noch einmal vertiefend mit diesem Thema. Grundlage ist ein umfangreicher Artikel von Forschern aus Südafrika1, der am 1.12.2021 in der renommierten wissenschaftlichen Wochenschrift Nature veröffentlicht wurde und dessen wichtigste Aspekte im Folgenden den Telepolis-Lesern zur Diskussion gestellt werden sollen.

Der Artikel der Forscher aus Südafrika beginnt mit folgendem Statement:

Als Wissenschaftler und klinische Praktiker, die in Krankenhäusern und Labors in ganz Südafrika arbeiten, haben wir die Verwüstung, die Covid-19 dem Land zugefügt hat, aus erster Hand gesehen. Viele unserer Kollegen (einschließlich führender Wissenschaftler und Angehöriger der Gesundheitsberufe) sind gestorben.

Wir haben auch gesehen, wie viel schwieriger es für Menschen mit HIV geworden ist, eine Behandlung und Überwachung zu erhalten, was dazu geführt hat, dass mehr Menschen mit schweren Krankheiten wie Tuberkulose und Kryptokokken-Meningitis ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

Während die Welt in der Covid-19-Pandemie einen Gang zurückgeschaltet hat und von der Bewältigung der unmittelbaren Krisensituation zu einer langfristigen Reaktion der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen übergegangen ist, fordern wir Regierungen, Gesundheitsministerien, Forscher und andere Interessengruppen weltweit auf, mehr Ressourcen und Aufmerksamkeit den Wechselwirkungen zwischen Covid-19 und HIV zu widmen.

Studien über Wechselwirkungen zwischen HIV und Sars-CoV-2

Im Jahr 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Plattform für standardisierte klinische Daten von Menschen in Afrika mit vermuteter oder bestätigter Covid-19 geschaffen. Eine vorläufige Analyse dieser Daten aus 37 Ländern (wobei die meisten aus Südafrika stammen) ergab, dass Menschen mit HIV, die mit dieser Krankheit hospitalisiert wurden, auch unter Berücksichtigung anderer Faktoren eine um 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hatten, an Covid-19 zu sterben, als Menschen ohne HIV.

In einer detaillierteren Analyse der hospitalisierten Fälle in Südafrika starben nur Menschen mit HIV in einem fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung häufiger an Covid-19. Die zu dieser Gruppe gehören, sind stark immungeschwächt. Das bedeutet: Sie weisen im Blut weniger als 200 CD4-T-Zellen pro Mikroliter auf, verglichen mit 500 bis 1.500 Zellen pro Mikroliter bei Menschen ohne HIV. CD4-T-Zellen sind bekanntlich die weißen Blutkörperchen, die für die Bekämpfung von Infektionen entscheidend sind.

In einer bevölkerungsbasierten Analyse von rund 3,5 Millionen Menschen aus der südafrikanischen Provinz Westkap (darunter waren rund 500.000 HIV-Positive) starben HIV-Infizierte doppelt so häufig an Covid-19 wie Menschen ohne HIV-Infektion. Bei Personen mit einer unkontrollierten oder fortgeschrittenen HIV-Erkrankung war in dieser Untersuchung das Risiko, an Covid-19 zu sterben, fast viermal höher als bei solchen ohne HIV.

Andere Berichte aus verschiedenen Ländern aus dem vergangenen Jahr deuten darauf hin, dass Menschen mit geschwächtem Immunsystem für längere Zeit, d. h., mehrere Wochen oder Monate, mit Sars-CoV-2 infiziert bleiben können. Im Gegensatz dazu brauchen diejenigen, die ansonsten gesund sind, im Durchschnitt etwa zwei Wochen, um diese Infektion zu überwinden. Solche verlängerten Infektionen wurden bisher hauptsächlich bei Menschen dokumentiert, die eine Krebschemotherapie und andere Immunsuppressiva erhielten.

Einige Forscher haben nun vermutet, dass eine längere Dauer der Sars-CoV-2-Infektion das Auftreten von sogenannten Variants of Concern (VOC) erklären könnte. Solche Virus-Varianten sind übertragbarer als das ursprünglich identifizierte Coronavirus oder können die Immunantworten des Körpers, die durch eine Infektion oder Impfung entstehen, teilweise umgehen.

Kurz gesagt, es erscheint plausibel, dass eine längere Covid-19-Infektion bei Jemandem, der immungeschwächt ist, zur Entstehung einer Variante führen könnte, die sogar übertragbarer als die Delta-Variante ist und/ oder die aktuellen Covid-19-Impfstoffe weniger wirksam macht.

HIV-Krise in Subsahara Afrika

In Afrika südlich der Sahara leben zwei von drei Menschen mit HIV weltweit. Deren Zahl in Subsahara-Afrika wird insgesamt auf 25,3 Millionen geschätzt. 17,3 Millionen davon erhalten mittlerweile eine antiretrovirale medikamentöse Therapie (ART), die effektiv ist, sodass das HI-Virus nicht mehr nachweisbar ist.

Dagegen erhalten 8 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika, das sind rund 21 Prozent der weltweit 37,7 Millionen Betroffenen mit einer HIV, entweder keine effektive oder gar keine medikamentöse Therapie.

Das hat verschiedene Gründe. Manche Menschen haben Schwierigkeiten, Zugang zu Kliniken zu erhalten, um eine Behandlung zu bekommen. Bei anderen ist die HIV-Erkrankung noch nicht diagnostiziert worden. Wieder anderen sind die verfügbaren Test- und Behandlungsmöglichkeiten nicht bekannt oder sie haben keinen Kontakt zu Gesundheitseinrichtungen, unter anderem, weil sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung befürchten.

Darüber hinaus führt die Covid-19-Pandemie weiterhin zu erheblichen Störungen der HIV-Behandlungs- und Präventionsprogramme. Ein Teil des Problems ist die angespannte Personallage in den Gesundheitseinrichtungen.

Allein in Südafrika starben zwischen März 2020 und August 2021 mehr als 1.300 Beschäftigte des Gesundheitswesens an Covid-19 und Tausende weitere Beschäftigte haben den Beruf aufgrund von Beeinträchtigungen ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit durch Covid-19 verlassen müssen.

In 2021 sei die Auslandsfinanzierung für HIV ebenfalls eingebrochen und die Ausgaben für internationale Hilfe seien drastisch gekürzt worden, sagen die Autoren aus Südafrika. Das hätte zu Mittelkürzungen von mehr als 80 Prozent für Schlüsselorganisationen in diesem Bereich geführt.

Weiterhin seien im Vergleich zu 2019 beispielsweise die HIV-Tests um 22 Prozent zurückgegangen. Die freiwillige medizinische Beschneidung von Männern, die die sexuelle Übertragung von HIV um 60 Prozent reduzieren kann, sank um 27 Prozent, und die Zahl der Mütter, die Medikamente zur Verhinderung der Übertragung von HIV auf ihre Babys erhielten, verringerte sich um 4,5 Prozent.

Covid-19-Impfstoffe für Afrika

Während Covid-19-Diagnostika, Therapeutika und Impfstoffe in weiten Teilen der übrigen Welt eingesetzt werden, wird Afrika auch auf diesem Gebiet allein gelassen. Bis Mitte November waren mehr als 40 Prozent der Menschen weltweit vollständig geimpft. In Afrika waren es weniger als 7 Prozent (siehe die Grafik).

Gesamtzahl der im letzten Jahr verabreichten Impfdosen je 100 Einwohner (nach Kontinent). Quelle: Nature. Grafik: TP

Auch in Afrika werden höhere Altersgruppen bei der Impfung priorisiert, was ja auch angemessen sei. Aber dies bedeutet auch weitere Verzögerungen bei der Impfung der wichtigsten Gruppe, der immungeschwächten Bevölkerung Afrikas, denn rund 80 Prozent der Menschen mit HIV auf dem gesamten Kontinent sind unter 50 Jahre alt.

Das ursprüngliche Ziel von Covax, einer im April 2020 von verschiedenen Gruppen, darunter der WHO, gestarteten Initiative zur Verteilung von Impfstoffen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, bestand darin, bis Ende 2021 diesen zwei Milliarden Impfstoffdosen zur Verfügung zu stellen. Bis Mitte November wurden nur 507 Millionen Dosen, d.h., nur ein Viertel der in Aussicht gestellten Menge, geliefert, zum großen Teil, weil die Geberländer ihre Verpflichtungen nicht erfüllt haben.

All diese Faktoren zusammen machen Afrika südlich der Sahara besonders anfällig für anhaltende und potenziell sich verschlimmernde Verwüstungen durch Covid-19 und HIV. Diese könnten sich darüber hinaus in der Zukunft auch negativ auf das übrige Afrika und weitere Weltregionen auswirken.