Afrin: Türkische Angriffe trotz UN-Waffenruhe

Zerstörung in Afrin nach einem türkischen Luftangriff. Bild: syrische Nachrichtenagentur Sana

Die "Operation Olivenzweig" erzielt offenbar militärische Erfolge. In Prag wird der syrisch-kurdische Politiker Salih Muslim festgenommen

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Das türkische Außenministerium begrüßte am Wochenende die UN-Resolution zur 30-tägigen Waffenruhe in Syrien. Die Regierung in Ankara fühlte sich von der Entscheidung des Sicherheitsrates aber nur eingeschränkt angesprochen: Angriffe auf Afrin in Nordsyrien wurden fortgesetzt.

In der offiziellen türkischen Erklärung fehlt jede Erwähnung Afrins. In der Resolution ist die Rede von einer Einstellung der Kampfhandlungen in ganz Syrien ("throughout Syria").

Der französische Präsident Macron soll Erdogan bei einem Telefonat darauf hingewiesen haben, dass auch die Waffenruhe auch in Afrin gelte. Für die türkische Regierung dürfte, wie der letzte Satz der offiziellen Erklärung aus Ankara bestätigt, die Bestimmung wichtiger sein, wonach der Kampf gegen "Terroristen" von der Waffenruhe unbehelligt bleibt.

Zusammenhängende Pufferzone an der Grenze zur Türkei

Die syrische Nachrichtenagentur Sana meldet einen türkischen Luftangriff auf ein Dorf namens al-Rihanyia im Bezirk Janderis, der fünf Zivilisten das Leben kostete. Der Newsticker der kurdischen ANF reiht eine ganze Serie von Angriffen auf Afrin seit dem UN-Beschluss zur Waffenruhe am Samstag auf. Anhand der Kurzmeldungen ist keine deutliche Unterbrechung zu erkennen.

Wiederkehrende Angriffsziele der türkischen Operation "Olivenzweig" sind demnach die Bezirke Şera, Şiyê, Cindirês (auch Jandares) und Raco. Gemeldet werden Luft- und Bodenangriffe wie auch Gefechte. Laut Al-Masdar-News haben die türkischen Militärs mit ihren islamistischen Verbündeten seit Beginn der Operation am 20. Januar 23 Prozent der Region Afrin erobert. Die türkischen Angriffe auf Cindirês (oder Jandaris) haben demnach zu einer Massenflucht der Zivilbevölkerung in die Stadt Afrin geführt.

Geht es nach Informationen von Ali Özkök (Nahostjournalist, früher für Freitag, gegenwärtig bei RT), so ist es der türkischen Militäroperation allen Stimmen, die ihr Erfolglosigkeit unterstellten (auch hier), zum Trotz, gelungen, eine zusammenhängende Pufferzone an der syrisch-türkischen Grenze zu schaffen.

Volksschutzmilizen spielen keine große Rolle

Die Hilfe der Volksschutzmilizen, die in guter Verbindung zur syrischen Regierung stehen, und in der vergangenen Woche mit großem Jubel und viel Medienaufmerksamkeit nach Afrin kamen ( Afrin: YPG in der Zwickmühle), sind der YPG, wie es augenblicklich aussieht, keine große Hilfe, so wie YPG-Sprecher Nouri Mahmoudt letzte Woche auch feststellte: "Sie haben weder genug Truppen noch die Qualität, um den Vormarsch der türkischen Operation zu stoppen."

Am Samstag sollen die syrischen "Popular Forces", die der YPG zur Hilfe geeilt waren, in Raco in Gefechte mit den islamistischen Milizen der türkischen Seite geraten sein. Eine Reaktion aus Damaskus ist allerdings nicht bekannt.

Früherer PYD-Vorsitzender Salih Muslim festgenommen

Für Aufregung sorgte am Wochenende die Festnahme des früheren PYD-Vorsitzenden Salih Muslim in Prag. Muslim war aufgrund eines Interpol-Haftbefehls von der tschechischen Polizei festgenommen worden.

Der Politiker hielt sich zu einer Konferenz über Syrien in Prag auf. Sein Aufenthaltsort dürfte für die Polizei kein großes Rätsel gewesen sein. Bekannt ist, dass die türkische Regierung Interpol gerne mit solchen Haftbefehlen beliefert. Salih Muslim ist für die Regierung in Ankara jemand, der einer größeren internationalen Öffentlichkeit unerwünschte kritische Aufklärung über die türkischen Militäraktionen gibt.

Viele warten nun gespannt darauf, ob in Prag der Auslieferung des Politikers in die Türkei stattgegeben wird.

Ich appelliere an die tschechische Regierung, einem Auslieferungsersuchen der Türkei für den syrisch-kurdischen Politiker Salih Muslim nicht nachzukommen. Europäische Justizbehörden dürfen sich nicht zum verlängerten Arm des Erdogan-Regimes machen, das eine regelrechte Kopfgeldjagd auf seine Kritiker und Opponenten im Ausland begonnen hat. (…)

Es ist kein Zufall, dass die türkische Regierung gerade zu dem Zeitpunkt ein Kopfgeld in Millionenhöhe auf Salih Muslim ausgesetzt hat, zu dem sie einen erbarmungslosen Krieg gegen den nordsyrischen Selbstverwaltungskanton Afrin führt. Mir ist Salih Muslim, der erst letzte Woche bei der Linksfraktion im Bundestag zu Besuch war, persönlich als ein Politiker bekannt, der sich entschieden und glaubwürdig für Frieden, Demokratie und Völkerfreundschaft in Syrien einsetzt. Der türkische Haftbefehl gegen den syrischen Staatsbürger Muslim ist rein politisch motiviert.

Ulla Jelpke, Die Linke