Afrin - das türkische Protektorat

Mitglieder der Miliz Faylaq al-Sham, die für die türkische Regierung Afrin "säubert". Propagandabild

Es sieht nicht danach aus, dass die Türkei ihr erobertes syrisches Territorium wieder hergeben wird

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Seit Ende Februar diskutiert der UN-Menschenrechtsrat in Genf über Menschenrechtsverletzungen in 40 Ländern. Mitte März war die Türkei mit ihrem völkerrechtswidrigen Einmarsch im nordsyrischen Afrin an der Reihe. Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet, schreitet die Türkisierung in Afrin ungehindert fort.

Nun wurde sogar das kurdische Neujahrsfest Newroz verboten. Mittlerweile sind alle Armenier, die meisten Eziden (auch: Jesiden) und die etwa 1.200 kurdischen Christen geflohen. Der Anteil der kurdischen Bevölkerung sank von 96 auf unter 35 Prozent.

Besatzungsrat verbietet Newroz-Feiern in Afrin

Im noch immer mehrheitlich von Kurden bewohnten Afrin hatte der von der Türkei eingesetzte Stadtverwaltungsrat die Newroz-Feiern zum kurdischen Neujahrsfest verboten. Weltweit wird dieses Fest von den kurdischen Gemeinden gefeiert. In Nordsyrien ist der Newroztag am 20/21. März seit Jahren ein offizieller Feiertag. Der Vorsitzende des sogenannten Lokalrates, Abdul Mutalib Sikh Nassan, erklärte dazu:

Am 20. März oder den anderen Tagen gibt es auf keinen Fall so etwas wie einen offiziellen Feiertag. Alle Behörden werden wie gewohnt ihre Dienste leisten. Am 21. März oder den anderen Tagen wird den Bürgern in keinster Weise gestattet, Nevruz zu feiern. Diese Tatsache wird von unserer Seite genaustens kontrolliert werden.

ANF

Die britische Internetzeitung Al Araby berichtete, einer der Organisatoren des Festes in Afrin sagte, das Verbot sei auf die Türkei zurückzuführen. Die Türkei betrachtet mittlerweile das Newroz-Fest als eine "Manifestation des separatistischen Nationalismus". Früher wurde es in Tourismusführern als kulturelles Event angepriesen.

Newroz ist in iranischen und zoroastrischen Kulturen verwurzelt und wird von Kurden und Iranern sowie von Nationen im Kaukasus und in Zentralasien gefeiert. Das Newroz-Fest hat seine Ursprünge in einer Sage um "Kaveh, dem Schmied", der den Tyrannen Zahāk stürzte. Im Zuge des Einmarsches der Türken in Afrin wurde die Statue des Schmiedes auf einem der zentralen Plätze der Stadt Afrin zerstört.

UN- Menschenrechtsrat diskutiert über türkische Besatzung von Afrin

Der amerikanische internationale Konfliktanalytiker Thoreau Redcrow betonte in seiner Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass das Leben in Afrin seit dem Einmarsch der Türkei zum Alptraum wurde. Es handele sich um eine Politik der "ethnischen Säuberungen":

Kurdische historische Denkmäler und Gebäude in der Stadt wurden zerstört. In dieser besetzten Stadt gibt es viele Verletzungen der Menschenrechte und Verbrechen wie Vergewaltigung, Ermordung, Entführungen mit Erpressung von Lösegeld und Zwangssteuer der Scharia. Das Bildungssystem und die Straßennamen in der Stadt wurden türkisiert. Die Oliven der Menschen in Afrin und das von ihnen erzeugte Einkommen wurden konfisziert. All dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der türkische Staat in der Stadt eine ethnische Säuberung durchführt.

Thoreau Redcrow

In seiner Rede wies Redcrow auch auf die Gefahr eines Einmarsches der türkischen Armee in Nordost-Syrien hin und dass sich in der Region, wo über 3 Millionen Menschen leben sowie die Geflüchteten aus Afrin, dasselbe wiederholen könnte. "Das türkische Verteidigungsministerium hat gedroht, YPG, YPJ und die SDF, die Streitkräfte, die den IS besiegt haben, zu zerstören. Hierzu schweigt die internationale Gemeinschaft", kritisiert Redcrow.

Er forderte die UNO auf, die nordostsyrische Region, auch "Rojava" genannt (kurd.: der Westen), zur Flugverbotszone zu erklären, um so gegen Erdogans Drohungen vorzugehen. In einer Petition fordern dies auch zahlreiche internationale Organisationen, die vor Ort humanitär engagiert sind.

Oppositionelle "Syrische Übergangsregierung" erweist sich als willige Helferin

1974 besetzte die Türkei das bis heute international nicht anerkannte Nordzypern mit dem Argument, die türkische Minderheit dort schützen zu wollen. 2016 begann die Türkei angesichts der sich ausdehnenden Einflussgebiete der unter kurdischem Kommando stehenden Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit der Einmischung in Nordsyrien. Angeblich, um die turkmenische Minderheit zu schützen, denn Türken, leben in dieser multikulturellen Region nicht.

Hauptverbündete ist für die Türkei die in Katar gegründete Nationalkoalition Syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte, die 2012 in Marrakesch von mehr als hundert Staaten als legitime Vertreterin des syrischen Volkes anerkannt wurde und die sich seit 2013 als Syrische Übergangsregierung (SIG) mit Sitz in Istanbul bezeichnet.

Unter diesem Dach versammelten sich auch die nationalistisch eingestellten Teile der Turkmenen und der kurdische nationalistische ENKS. Im Zuge der türkischen Eroberung der Städte Jarablus und Azaz im Nordwesten Syriens 2016/2017 verlegte die Organisation ihren Sitz ins nordsyrische Azaz. In den von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Söldnermilizen eroberten Gemeinden installierten sie eigene, türkisch geprägte Gemeindeverwaltungen. Seitdem sind die kurdischen Ortsnamen und die kommunalen Einrichtungen durch zweisprachige Schilder in Arabisch und Türkisch ersetzt worden.

Die offiziellen Formulare sind ebenfalls zweisprachig. Die Bewohner der Region haben türkisch-arabische Personalausweise erhalten, die in das türkische Melderegister in der Türkei eingetragen werden - als ob dieser Teil Nordwestsyriens schon der Türkei gehört. Die Telekommunikation ist ebenfalls von türkischen Anbietern übernommen worden.

Türkische Baufirmen bauen in der Region die Infrastruktur aus, türkische Ladenketten beliefern die Region mit türkischen Waren. Bezahlt wird in türkischen Lira, das nun die offizielle Währung in den türkisch besetzten Gebieten Nordsyriens ist. Das Bank- und Postwesen ist schon seit 2017 in Jarablus und al-Bab in türkischer Hand, es gibt auch schon Geldautomaten, wo Geld in türkischer Währung abgehoben werden kann. An den, nach Geschlechtern getrennten, Schulen wird auf Arabisch und Türkisch unterrichtet, die arabischsprachigen Lehrbücher kommen aus der Türkei, die syrischen Lehrer werden in der Türkei ausgebildet.

Kurdisch existiert - wie in der Türkei - nicht mehr. Die Moscheen werden von der türkischen Religionsbehörde finanziell ausgestattet, die Imame von ihr bezahlt. Frauen werden angehalten, sich komplett zu verschleiern - auf den Websites der Gemeinden sind entweder voll verschleierte Frauen zu sehen oder ihre Gesichter sind stark verfremdet. In Schulen und in Publikationen wird gegen die kurdische Partei PYD wie auch gegen Assad gehetzt.

Zwei türkische Staatsangehörige wurden vom Gouverneur (Wali) aus dem türkischen Hatay beauftragt, die Funktion eines Gouverneurs in Afrin zu übernehmen und ihm alle zwei Tage über die Situation zu berichten. Dies ist dem UNHCR-Bericht schon im Juni 2018 zu entnehmen.