Afrin - das türkische Protektorat

Seite 2: Russland und NATO sind ebenfalls willige Helfer gewesen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Kamal Sido, Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und selbst aus Afrin stammend, ist schockiert über die humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen der Besatzung. Eine Spur der Verwüstung hätten das türkische Militär und die von ihr unterstützten Islamisten gezogen. Die vielfach dokumentierten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen seien nur durch die Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Duldung der NATO-Staaten möglich gewesen, beklagt Sido.

Seit Beginn der Besatzung am 18. März 2018 seien mindestens 225 Zivilisten getötet und 17 weitere zu Tode gefoltert worden. 467 Zivilisten wurden verletzt, weitere 2.500 verhaftet. Mindestens 300.000 Kurden sind aus Afrin geflüchtet, die meisten befinden sich in den Flüchtlingslagern in der von den SDF kontrollierten Scheba-Region nördlich von Aleppo. Diese Flüchtlingslager seien von der Außenwelt nahezu vollständig abgeschnitten, internationale Hilfe kommt dort nicht an.

Sido berichtet, dass "120.000 Olivenbäume abgeholzt und von türkischen Offizieren und syrisch-islamistischen 'Warlords' als Brennholz verkauft worden seien".

Weitere 20.000 Olivenbäume wurden verbrannt. Rund ein Drittel der ursprünglich 325 Olivenpressen und 18 von 26 Olivenverarbeitungsfabriken wurden zerstört oder entfernt. Die Erlöse aus diesem besonders wichtigen Wirtschaftszweig sanken im Vergleich zum Vorjahr 2017 um etwa 109 Millionen Dollar. Von den 32 Hektar Waldfläche in Afrin wurden etwa zehn Hektar von den Besatzern verbrannt. Von 1.100 Fabriken und Manufakturen wurden 770 zerstört, geplündert oder zum Weiterverkauf abgebaut, über 70 Prozent der Lederverarbeitungsfabriken wurden zerstört oder geplündert. Zehntausende Schafe, Ziegen und Kühe wurden geschlachtet oder abtransportiert. Geflügelfarmen wurden zerstört oder geplündert. Die Verluste in diesem Wirtschaftssektor werden auf 25 Millionen Dollar geschätzt.

Kamal Sido

Die Waffen, die von der Türkei und den Proxy-Truppen zum Einsatz kamen und kommen, sind NATO Waffen: G3 Gewehre aus Deutschland und M16 aus den USA, aber auch Kalaschnikows aus Russland. F16-Bomber führten mit Billigung Russlands Luftangriffe gegen die Zivilbevölkerung durch. Es kamen auch Drohnen zum Einsatz, wie zum Beispiel die bewaffnete Drohne namens Bayraktar, die in der Türkei von der Firma Baykar Makina hergestellt wird.

Sie besitzt die intelligente Mikro-Munition Roketsan MAM-L. Es gab auch Überwachungsdrohnen, deren Daten an die Panzer T155 Firtina gesendet wurden. Die Munition wird in der Türkei produziert. Auch Kobra-Hubschrauber kamen zum Einsatz und zwar die Super Cobra Bell AH1 J, die in den USA von Bell Helicopter hergestellt wurden. Auch deutsche Leopardpanzer waren in Afrin im Einsatz.

Für all das gibt es zahlreiches Bildmaterial, das sehr anschaulich zeigt, wie die Waffenlieferungen an Staaten wie die Türkei in anderen Ländern bei Genoziden oder in diesem Fall Annexionen zum Einsatz kommen. Die Doppelmoral wird dann deutlich, wenn die damit begangenen Gräueltaten dann im Nachhinein von den Geberländern kritisiert werden.

Von der Türkei ausgestattete islamistische Milizen als Polizei und Militär

Die von Redcrow vor dem UN-Menschenrechtsrat vorgetragenen Gräueltaten in Afrin werden durch eigens von der Türkei ausgestattete Islamisten in neuer Polizeiuniform begangen. Schon Ende 2017 gab Erdogan den Söldnertruppen den unverfänglichen Namen Syrische Nationale Armee, besser bekannt als Freie Syrische Armee (FSA). Mit von der Partie ist die berüchtigte Hamza-Brigade, die in al-Bab eine Militärakademie betreibt. Sie ist auch in Afrin im Einsatz, berichtet die Neue Züricher Zeitung.

Die beiden mächtigsten Milizen der FSA sind die turkmenische Miliz Sultan Murad Brigade und Jaish-al-Islam (Armee des Islam), beide werden der Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Jaish-al-Islam Milizionäre wurden von der Türkei vom Süden Syriens nach Nordsyrien transportiert. Insgesamt sollen es 35.000 Milizionäre sein, die unter dem Dach der Syrischen Nationalen Armee bzw. FSA agieren.

Ging es der FSA zu Beginn des Bürgerkrieges darum, gegen das Assad-Regime zu kämpfen, änderte sich die Ausrichtung mit dem Einfluss der Türkei hin zu einem ausschließlichen Kampf gegen die kurdische Bevölkerung und deren Armeeeinheiten YPG/YPJ. Die Zusammenarbeit mit der Türkei entwickelte sich prächtig: Human Rights Watch berichtete, türkische Grenzschutzbeamte haben auf Flüchtlinge geschossen, die vor der FSA auf der Flucht waren, sie haben die Flüchtlinge geschlagen und den Grenzübertritt in die Türkei abgelehnt. Selbst die medizinische Versorgung der Verletzten wurde verweigert.

Finanziert werden die islamistischen Milizen vom türkische Staat. Mindestens sechs Militärbasen befinden sich in dem von der Türkei kontrollierten Gebiet in Nordsyrien. Colonel Haitham Afisi, der Stabschef der FSA berichtete, dass alle Entscheidungen gemeinsam mit der Türkei getroffen werden. Nicht selten prangt auf der Uniform der Milizen auch die türkische Flagge.