Aggressiver Nachbar: Scholz will Raketenabwehr mit Wumms

Arrow 2 launch, August 2004. Archivbild: NatanFlayer/gemeinfrei

Die Regierung plant ein Raketenschutzschild für ganz Deutschland nach israelischem Vorbild

Kanzler Olaf Scholz gab gestern einen Wumms zu seiner 100-Milliarden-Bazooka ab, mit der er die Bundeswehr modernisieren will.

Ein Raketenschutzschild für ganz Deutschland nach israelischem Vorbild gehöre "ganz sicher zu den Dingen, die wir beraten, aus gutem Grund", antwortete Scholz gestern bei "Anne Will" auf deren Frage, ob ein Schutzschirm gegen Raketenangriffe wie in Israel über das Land gespannt werden soll.

Scholz bestätigte damit Berichte über entsprechende Planungen, die ein Kaufinteresse der Berliner Regierung am israelischen Raketenabwehrsystem "Arrow 3" nahelegen.

Da Israel ein solches System herstelle, sei sinnvoll, sich mit "unterschiedlichen Szenarien nicht nur zu beschäftigen, sondern gegebenenfalls auch umgehend zu kaufen", wird die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zitiert, die bereits zu Gesprächen nach Israel gereist war. Sie mahnt laut einem Bericht der Welt zur Eile: "Das muss alles sehr schnell gehen, aber auch sehr seriös besprochen werden."

In der SPD gibt es dafür Unterstützung, wie die BamS meldete. Andreas Schwarz, Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat, drängt ebenfalls zur Eile.

"Wir müssen uns besser vor der Bedrohung aus Russland schützen. Dafür brauchen wir schnell einen deutschlandweiten Raketenschutzschirm." Das israelische System Arrow 3 sei "eine gute Lösung".

Andreas Schwarz, SPD

Dem gingen am vergangenen Mittwoch Beratungen von Kanzler Scholz mit Verteidigungsminister Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn voraus. Bei seinem Solo-Auftritt gestern Abend in der Talkshow "Anne Will" sprach Scholz davon, dass man mit Russland einen Nachbarn habe, der bereit sei, seine Interessen auch mit Gewalt durchzusetzen. Man müsse sich vorbereiten und sich so stark machen, dass dies unterbleibe.

Der Kanzler bekam zuletzt viel Pressekritik ab, der "Reservist Scholz" sei "blass und unnahbar"". Selbst die Sprachassistentin Alexa aus dem Hause Amazon wirke deutlich vitaler als der "in mechanischer Monotonie" erstarrte Scholz. Der spreche zwar, sage aber nichts, hieß es vergangene Woche von Gabor Steingarts Schiff The Pioneer.

Gestern zündete Scholz dann bei "Anne Will" eine Debatte an, die für die Öffentlichkeit wie Kasper aus der Kiste kommt. Für die Debatte wäre aber noch einiges zu Fakt und Fiktionen zu klären, wie Thomas Wiegold, der bloggende Spezialist für Bundeswehr und das militärische Gelände, bemerkt: die Kosten, welche Raketen abgefangen werden sollen und können und die Abstimmung mit der Nato.

Arrow 3: "Bis in die Stratosphäre hinein"

So gehe, wie Wiegold anmerkt, aus den Äußerungen, die in den letzten Tagen zum großen neuen Rüstungsprojekt gemacht wurden, nicht genau hervor, ob nun "Iron Dome" gemeint ist, das auf die Abwehr kleinerer Kurzstreckenraketen wie zum Beispiel der Kassam-Raketen aus dem Gaza-Streifen spezialisiert ist oder ob sich die Bundesregierung einzig auf das System "Arrow 3" konzentriere.

Das israelische Arrow-System und insbesondere Arrow 3, sei eine ganz andere Größenordnung, so Wiegold. "Da geht es um das Abfangen von Mittelstreckenraketen und eine Reichweite, die das bereits bei der Bundeswehr eingesetzte Patriot-System nicht hat."

Die NZZ schreibt, dass Arrow 3 "Langstreckenraketen sehr hoch über der Erde" zerstören könne, "bis in die Stratosphäre hinein". Dazu sei die Bundeswehr bisher nicht in der Lage.

Zu hören ist in der Debatte, die gerade beginnt, von der Bedrohung, die durch russische Iskander-Raketen in Kaliningrad mit einer Reichweite von 500 Kilometern ausgelöst werde. Ob Arrow 3 hier einen guten Schutz bietet, gehört zu den militärtechnischen Antworten, die noch ausstehen.

Auch die Antwort darauf, wie verlässlich die Schutzwirkung gegenüber den russischen Hyperschall-Raketen einzuschätzen wäre, gehört wohl in den nächsten Tagen zu den Fachgesprächen, die mit Scholzens Zeitenwende ins Rollen kommen und jene aus dem Fachbereich Epidemiologie und Infektiologie abgelöst haben.

"Ein Schnäppchen"?

Stutzig macht Wiegand von "Augen geradeaus!" der Preis. Da Deutschland größer sei als Israel, müsse man wissen, "wieviel Feuereinheiten und Raketen für das ganze Bundesgebiet so nötig wären". Die Aussage, wonach Sicherheitskreisen mit zwei Milliarden Euro rechnen, zieht er in Zweifel. "Das wäre nun wirklich ein Schnäppchen."

Zu Vergleich listet er die Bestellung neuerer Flugkörper für die vorhandenen Patriot-Flugabwehrsysteme der Bundeswehr auf. Kosten: 400 Millionen US-Dollar, die allein für 50 Abfangraketen mit Zubehör anfallen. Da sei aber das System mit Radar und Feuerstation noch gar nicht drin. Sein Schluss: "Die zwei Milliarden für ein leistungsfähigeres System für ganz Deutschland klingen damit, äh, schon merkwürdig."

Als dritten ungeklärten Punkt nennt Wiegold die Abstimmung mit der Nato: "Warum ein neues Abwehrsystem nur national gesteuert werden sollte, ist nicht recht verständlich. Es sei denn, Deutschland wollte aus der integrierten Luftverteidigung der Nato aussteigen."