Agroforst: Pickende Hühner unter Bäumen

Seite 2: Ackerbaumstreifen bremsen den Wind aus

Die Tradition von parkartigen Hutewäldern, in denen Schweine und Rinder weiden, liegt Jahrhunderte zurück. Bereits die wilden Vorfahren der Haushühner lebten in lichten Wäldern und an Waldrändern. Kein Wunder, dass sich auch domestizierte Hühner, Gänse und Puten gerne unter Bäumen aufhalten. Neben dem Schutz vor Raubvögeln und dem vielfältigen Nahrungsangebot zeigen die Bäume eine enge Verbindung von Land- und Forstwirtschaft.

Lange Zeit gab es in Mitteleuropa keine strikte Trennung zwischen Wald und Feld, es war eher ein fließender Übergang. Man kultivierte Getreide unter Bäumen oder auf kleinen Flächen im Wald. In parkartigen Hutewäldern weideten Schweine und Rinder auf ausgedehnten Streuobstwiesen. Obstbäume, Hecken und Gehölze an Wegesrändern und auf Äckern ergaben ein buntes Mosaik. Reste dieser vielfältigen Kulturlandschaften finden sich in unseren heutigen Streuobstwiesen, den norddeutschen Wallhecken (sog. Knicks) oder in der oberbayerischen Haglandschaft mit ihren Feldgehölzen.

In Agroforstsystemen werden meist schnell wachsende Baumarten wie Pappel, Weide und Erle in mehreren Reihen, aber auch Obstbäume, Sträucher oder Hecken gepflanzt. Der Abstand zwischen den Grünstreifen kann entsprechend variiert werden, so dass die dazwischen liegenden Ackerflächen bewirtschaftet werden können. Im windreichen, relativ trockenen Brandenburg sind die Bäume doppelt nützlich. Wie eine Studie der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus-Senftenberg zeigt, können starke Windböen, die den fruchtbaren Oberboden wegblasen, durch Bäume am Ackerrand nahezu vollständig verhindert werden.

Bei rund vier Meter Baumhöhe und einem Streifenabstand von 24 Metern verringert sich die Windgeschwindigkeit im Vergleich zum offenen Feld etwa um die Hälfte. Oft werden schnell wachsende Pappeln gepflanzt, die nach drei bis acht Jahren das erste Mal geerntet werden, bevor sie mit der Kraft des Wurzelstocks umso kräftiger austreiben. Die Hölzer werden entweder verfeuert oder in Biogasanlagen verwertet.

Thomas Domin, Mit-Autor der oben genannten Studie, investierte in eine Pyrolyseanlage, in der Holz und Gehölzschnitt in Pflanzenkohle verwandelt und welche dann zwecks Bodenverbesserung auf das Feld ausgebracht wird. Der Abstand zwischen den Gehölzen ist gerade so groß, dass der Acker dazwischen mit Maschinen bearbeitet werden kann. Wind sei bei der Austrocknung der Ackerpflanzen viel entscheidender als Sonneneinstrahlung, erläutert Rico Hübner, Mitbegründer des Deutschen Fachverbands für Agroforstwirtschaft (DeFAF e. V.). Dem Argument, Bäume würden den Ackerpflanzen Sonne, Wasser und Nährstoffe wegnehmen, widerspricht der Agrarwissenschaftler. Mögliche Konkurrenzeffekte würden durch die höheren Erträge auf den Feldern zwischen den Baumstreifen mehr als ausgeglichen, so sein Argument.

Konservierung von Futterlaub und Esskastanien

Felix Riecken bewirtschaftet einen Öko-Milchbetrieb in der Nähe von Kiel. Für ihn waren der Hitzesommer 2018 der Auslöser für die Pflanzung zahlreicher Obstbäumen und Esskastanien, zudem pflanzte er eine Futterlaubhecke. Zwischen Weißdorn, Hasel und Holunder gedeihen Maulbeere, aber auch heimisches Wildobst wie Speierling, Wildkirsche, Schwarznuss und Baumhasel.

Unter der Hecke wachsen Knoblauch, Stangensellerie und Kürbisse. Bäume und Heckenpflanzen puffern den Nährstoffeintrag aus den Ausscheidungen der Rinder ab und entlasten somit die Gewässer. Das Laub, wie etwa die Blätter der Maulbeerbäume, sind für seine Kühe ein besonderer Leckerbissen.

Mit einer Trocknungsanlage will der Jungbauer bei der Heutrocknung vom Wetter unabhängiger werden. Auf der Anlage könnte er zudem geerntete Esskastanien und Walnüsse konservieren. Auch das Laub der Futterhecke, bestehend aus Werthölzern, kann dann hier getrocknet werden. Über die Maulbeerblätter werden die Milchkühe mit zusätzlichen Proteinen versorgt.

So liefern Hasel, Holunder, Esskastanie, Ahorn, Eberesche und Erle in erster Linie Mineralstoffe. Zusätzlich versorgt die Erle die Umgebung mit Stickstoff über ihre Wurzelsymbionten. Auf der Streuobstwiese mit Hochstämmen plant der Jungbauer Obstbaumschnittkurse. Auch will er Menschen zu Ernteaktionen einladen. Die Fläche, auf der Agroforstwirtschaft betrieben wird, soll Jahr für Jahr sukzessive wachsen. Langfristig soll die Nahrungsmittelproduktion durch biointensiven Gemüsebau, den Anbau von Speisepilzen, Legehennen im Mobilställen und die Haltung einiger weniger Mastschweine ganzheitlicher gestaltet werden.

Agroforst muss raus aus der Nische!

Trotz aller seiner genannten Vorteile investierten bisher nur einige Hundert landwirtschaftlichen Betriebe in moderne Agroforstsysteme. Die Gründe sind vielschichtig und auch nachvollziehbar: Jahrzehntelang wurden Hecken planiert, Flure bereinigt, Landschaften eingeebnet. Nun werden Bäume und Gehölze plötzlich nicht mehr als Störfaktoren wahrgenommen, sondern als natürliche Verbündete. Um das zu begreifen, müssen viele radikal umdenken.

Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft schätzt die Fläche aktiv betriebener Agroforstsysteme auf gerade mal rund tausend Hektar. Zwar sind diese bereits seit 2007 förderfähig, doch anders als zum Beispiel in Frankreich, wo der Agroforst-Anteil stark gestiegen ist, wurde die Verordnung in Deutschland nicht in nationales Recht umgewandelt. Dies erschwert es den Landwirten, Grünstreifen anzulegen.

Dazu kommt, dass im Rahmen flächenbezogener Direktzahlungen Gehölzkulturen bisher herausgerechnet wurden. Wollen Agroforstsysteme hierzulande einen Aufschwung erleben, müssten sie als landwirtschaftliche Nutzfläche anerkannt und entsprechend gefördert werden. Gerade in den ersten Jahren wäre eine Finanzspritze wichtig. Denn wegen kleinerer Ackerflächen fallen die Ernten zunächst geringer aus, und Pflanzung und Pflege der Bäume verursachen Kosten. Das verträgt sich selten mit dem meist knappen Geld- und Zeitbudgets der Landwirte. Am besten gelingt dies noch den jungen Landwirten - Hoferben und Quereinsteigern.

Denn von den Investitionen, die sie heute tätigen, würden sie am ehesten profitieren. Während die Politik eher zögerlich reagiert, werden bereits erste Studien zu Gütesiegeln in der Agroforstwirtschaft durchgeführt, wie zum Beispiel die 2021 veröffentlichte Forschungsarbeit an der Universität Bayreuth. Agroforstwirtschaft sei die natürlichste Art der Bewirtschaftung überhaupt, erklärt Biobauer Josef Braun.

Auch auf seinem Hof laufen Hühner zwischen Sträuchern und Bäumen herum und suchen die Rinder unter den Bäumen Schatten. Der Agroforst-Pionier, der seit mehr als zwanzig Jahren mit dem innovativen Anbausystem experimentiert, hält dieses ohnehin über kurz oder lang für alternativlos. Um möglichst viele Landwirte zum Mitmachen zu bewegen, hat er auch schon eine Idee: Lebensmittel aus Agroforst sollen mit einem besonderen Qualitätssiegel ausgezeichnet werden. Damit könnten auch Landwirte höhere Preise erzielen.