Al-Assads Wahnsinn und Bidens Abwarten

Foto: US-Verteidigungsministerium. Gemeinfrei

12,4 Millionen Syrer leiden unter Ernährungsunsicherheit; die syrische Regierung verbietet alle Geschäfte mit US-Dollar. Die US-Regierung lässt sich Zeit mit ihrer Syrien-Strategie

Keine Kochshows mehr im syrischen TV, soll Präsident Baschar al-Assad Journalisten auf die Frage nach Rezepten gegen die Misere der kaum mehr bezahlbaren Lebensmittelpreise im Land gesagt haben. Übermittelt wird das von der New York Times. Eine syrische Quelle mit Verbindungen zur US-Zeitung war angeblich bei dem Gespräch des Präsidenten mit Journalisten dabei.

Nun weiß man, dass die New York Times keine Freundin der syrischen Regierung ist und bekannt ist auch, dass die Zeitung mit ihrer Berichterstattung im Nahen Osten immer wieder durch eine politische Agenda aufgefallen ist, die Konflikte angeheizt hat. An den objektiven Fakten, dass die wirtschaftliche Situation in Syrien katastrophal ist, die Not himmelschreiend und die Ausblicke dürftig, ändert der Verweis auf eine Parteilichkeit der Zeitung wenig.

Von 12,4 Millionen Syrern, fast 60 Prozent der Bevölkerung, die gegenwärtig von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, berichtete das UN-Welternährungsprogramms (WFP) vor einer Woche. Demnach sollen im Zeitraum von gut einem Jahr weitere 4,5 Millionen Syrer in Ernährungsunsicherheit geraten sein. "Food insecure" heißt grob gesagt, dass unsicher ist, wo die nächste Mahlzeit herkommt.

Im letzten Jahr sind die Lebensmittelpreise in ganz Syrien in die Höhe geschnellt. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind um 236 Prozent gestiegen, während der Wert des syrischen Pfunds stark gesunken ist. Im Durchschnitt ist der Preis für Öl von 1.000 syrischen Pfund im Januar 2020 auf 5.000 syrische Pfund im Januar 2021 gestiegen.

Eltern berichten nun, dass sie verzweifelte Entscheidungen treffen, um zu überleben. Sie essen weniger, um ihre Kinder ernähren zu können, verschulden sich und verkaufen Vermögenswerte und Vieh, um ein Einkommen zu erzielen. Darüber hinaus berichten fast 50 % der syrischen Bevölkerung, dass sie aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs und der Covid19-Pandemie eine oder mehrere Einkommensquellen verloren haben.

UN-Welterernährungsprogramm, 17. Februar 2021

Auf die Frage, wie die Not in Syrien gelindert werden kann, gibt es schräge, improvisierte praktische Lösungen im Stil eines um die Ecke verlegten Hilfskanals, wie er für den Nahen Osten typisch ist. Das wurde kürzlich demonstriert, als Israel über Russland "Sputnik"-Impfstoff im Wert von 1,2 Millionen US-Dollar für die Regierung in Damaskus kaufte.

Das war Teil eines Deals zum Gefangenenaustausch. Der wird so pointiert: Eine Frau aus Israel bewegt sich bei ihrem Ausflug zu weit ins syrische Gelände und wird als Spionin festgenommen.

Daraus folgen Verhandlungen, die die Schikanen der US-Sanktionen aussetzen, die zum Teil auch Medikamente betreffen können - und in jedem Fall das staatliche Budget. Der Deal zeigt in seiner Kehrseite, wie hart die Sanktionen ins Leben der syrischen Bevölkerung eingreifen. Interessant wird auch in Syrien sein, wer Impf-Priorität bekommt.

Kraftstoff und Nahrungsmittel, US-Dollar und "Madness"

"Fuel and food", Kraftstoff und Nahrungsmittel sind seit vielen Monaten die wichtigsten Bedürfnisse in Syrien. Das wurde schon öfter berichtet. Neu zeigt sich aber, dass die Besetzung der Ölquellen im Nordosten Syriens, abgesichert von der Militärmacht USA, doch keine Nebensächlichkeit ist, wie immer wieder auch kommentiert wurde, da doch die dortige Ölproduktion im Vergleich mit der Produktion in Nachbarländern zu vernachlässigen sei.

Dass eine US-Ölfirma aufgrund bester Beziehungen zur Regierung Trump mit der Übernahme der Ölanlagen betraut wurde, ist nicht nur ein politisches Spielchen, eine provokante Demonstration der Macht, sondern hat auch handfeste wirtschaftliche Folgen.

Ganz sicher ist der Wert des Dollars ein bedeutender Krisenfaktor in Syrien wie im Libanon. Jedenfalls zeigt sich der Beobachter Ehsani22 mehr oder weniger entsetzt ("Stopp the Madness") über die neuen Anweisungen aus Damaskus, sämtliche Geschäfte, die über den US-Dollar laufen, zu verbieten. Das geht nicht gut, so sein Ausblick.

Wie hier bereits beschrieben, hängt vieles davon ab, wie die USA unter Präsident Biden ihre Syrien-Politik entwickeln wollen. Momentan scheint sich der Eindruck zu bestätigen, den sich das illusionslose Lager der Beobachter macht: Dass die Biden-Administration ganz zufrieden ist mit der Not, die die US-Sanktionen verstärken, und man in Washington auf Abwarten setzt. Darauf dass Damaskus die Puste ausgeht?

Der politische Pfad, den die USA in Syrien gehen wollen, ist davon bestimmt, wie man regionalpolitisch mit Iran und mit Russland umgehen will. Russland scheint wirtschaftlich augenblicklich nicht in der Lage zu sein oder den starken politischen Willen dafür zu haben, Damaskus in einer außerordentlichen Weise, wie es die Situation erfordern würde, unter die Arme zu greifen.

Einfluss-Politik mit den Golfstaaten

Hierbei kommt den befreundeten US-Partnern, den Vereinigten Arabische Emiraten und Saudi-Arabien, mit denen Russland auf gutem Fuß steht, eine Schlüsselrolle zu. Mit ihren politischen Verbindungen innerhalb der arabischen Welt, ihren Handelsbeziehungen, ihrem Reichtum könnten die beiden Golfstaaten Syrien beim Wiederaufbau und der politischen Konsolidierung sehr helfen.

Beide Staaten haben Annäherungen an die syrische Regierung unternommen, vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate, die schon längst wieder in diplomatischen Beziehungen zur syrischen Regierung steht, die VAE-Botschaft in Damaskus ist geöffnet. Dass Baschar al-Assad die Annäherung im Fall der VAE angenommen hat - bei Saudi-Arabien sind die Verhältnisse etwas komplizierter, aber in der Tendenz ähnlich -, zeigt, dass er sich davon nicht komplett unabhängig machen kann. Das liegt nicht in seinem Interesse. Zugleich sind die beiden Golfstaaten aber auch Rivalen Irans, des Partners der syrischen Regierung, der ihr am nächsten steht.

Der große Druck, unter dem die Regierung al-Assad derzeit steht, ist für die USA aus dieser Perspektive opportun auch hinsichtlich der Verhandlungen mit Iran. Auch der neue Außenminister Antony Blinken will wie schon die Vorgängerregierung mit Trump und Pompeo die Regionalpolitik Irans in Verhandlungen mit dem Land über ein "Update" des JCPOA aufnehmen. Die VAE und Saudi-Arabien sind Teil des politischen Kartenspiels.

Zum anderen ist Syrien für die USA nicht sonderlich wichtig. Washington muss sich da offensichtlich nicht mit Lösungen beeilen. Die US-Syrienpolitik wird derzeit von Israel geprägt und vom Nato-Partner Türkei, deren Interessen mit den kurdischen Partnern der USA in Nordostsyrien ausbalanciert werden müssen.

Öffentlichkeitsarbeiter

Mit dem Vorwurf an die US-Politik, dass sie dazu beiträgt, das humanitäre Elend im Land zu verschlimmern, haben Öffentlichkeitsarbeiter, wie man sie in der Biden-Administration, in Think Tanks oder auch in sympathisierenden Medien findet, ein leichtes Spiel.

In deren Henne-und-Ei-Logik steht Baschar al-Assad am Anfang des Übels. Dass den Praktiken seines Polizei- und Geheimdienststaats gerade ein Prozess in Koblenz gemacht wird, passt zu dieser Legitimations-Erzählung. Es ist über alle objektiv belastende Anklagepunkte hinaus ein politischer Prozess. Er bestätigt das Bild von Assad als letztendlich Verantwortlichen für Folter im großen Ausmaß und rechtfertigt die harte wirtschafts- und machtpolitische Zange, in die man Syrien nimmt.

Ausgeschlossen von dieser Gewalt legitimierenden Erzählung vom Folter-Regime in Damaskus sind andere Vorgänge in der Syrienpolitik, die einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung des katastrophalen Zustands geführt haben: die politische Agenda des Regime Changes -"Assad wird gehen, muss gehen", in deren Folge die Türkei zum Durchgangsland zur Aufstockung der dschihadistischen bewaffneten Opposition wurde - und eine kurzsichtige Politik gegenüber Russland, die noch der Blockbildungslogik des Kalten Kriegs folgte.