Wird die KI zum Totengräber der Kreativwirtschaft?
Künstliche Intelligenz bedroht Existenz vieler Kreativer. CISAC-Studie prophezeit Milliardenverluste für die Branche bis 2028. Werden Künstler bald nur noch KI-Avatare sein?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) beschäftigt sich intensiv mit der Künstlichen Intelligenz. Anfang 2024 prognostizierte er, dass vierzig Prozent der Arbeitsplätze von der KI beeinflusst werden.
Der IWF fragt sich auch, ob die Finanzmärkte durch KI effizienter oder volatiler werden. Wo selbst die Währungshüter keine Prognose wagen, sind viele Kunstschaffende erst recht überfordert.
Untergangspropheten oder Mahner?
„War Henry Kissinger ein KI-‚Untergangsprophet‘?“, fragt der Economist bei der posthumen Vorstellung von Kissingers 2021 erschienenem Buch „The Age of AI“. Der Economist kommt zu dem Schluss, dass der frühere US-Außenminister mit seiner Initiative, die Menschheit zum gemeinsamen Handeln in der KI-Ära aufzurufen und seinem Buch „aus dem Grab Kissinger in die richtige Richtung“ weist.
Vom gemeinsamen Handeln ist die Menschheit noch weit entfernt. Aktuell ringen Berufsverbände, wie der Fotografenverband Freelens, darum, Handlungsempfehlungen für die Nutzung von KI aufzustellen und die Politik für die branchenspezifischen Gefahren der KI zu sensibilisieren.
Gerade bei der Fotografie sprengen die Möglichkeiten der Manipulation mit KI Grenzen, die es vorher trotz der umfangreichen Möglichkeiten von „Photoshop und Co“ nicht gab. Noch sind die meisten Berufsverbände oder Institutionen im Alleingang aktiv, um sich an die neuen Umstände der KI-Epoche anzupassen.
Fluch und Segen
Effizienter oder volatiler? Die Einführung der neuesten Iterationen künstlicher Intelligenz durch die Finanzmärkte kann gemäß den Analysen des IWF das Risikomanagement verbessern und die Liquidität erhöhen.
Gleichzeitig können die Märkte mittels KI undurchsichtiger werden. Manipulationen mit KI-Werkzeugen sind ebenso wie KI-gestützte Cyber-Attacken wirksamer als ausschließlich von Menschen gesteuerte Eingriffe.
Auf die Kreativbranche übertragen, liefert die KI zuverlässig Hilfestellungen beim Komponieren. Selbst die ABBA-Legende Björn Ulvaeus musste anerkennen, dass eine KI-unterstützte Software in der Lage ist, Songs nach seinem Stil so zu arrangieren, dass sie wie von ihm komponiert klingen.
Ulvaeus hält es für bedenklich, dass die KI mit bereits bestehenden Liedern trainiert wird und versuchte deshalb frühzeitig mit der Tech-Industrie in den Dialog zu treten.
Der 79-jährige Songschreiber nutzt zusammen mit seinen früheren Bandmitgliedern die KI, um in der heutigen Zeit Konzerte zu geben, bei denen die ABBA-Mitglieder, oder besser ihre Avatare, im jugendlichen Alter auf der Bühne erscheinen. ABBA Voyage verspricht den Konzertbesuchern ein einmaliges Erlebnis.
KI stürmt die Hitparaden
Ulvaeus ist auch Vorsitzender der International Confederation of Societies of Authors and Composers (CISAC). Die CISAC hat Anfang Dezember eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass menschliche Schöpfer durch KI „Milliarden verlieren werden“.
Ulvaeus reagierte auf den Bericht mit der Warnung, dass schlecht regulierte künstliche Intelligenz „das Potenzial hat, menschlichen Schöpfern großen Schaden zuzufügen, ihre Karrieren und ihren Lebensunterhalt zu gefährden“.
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Gemäß der Studie werden die Umsätze der Anbieter von KI in den nächsten fünf Jahren extrem ansteigen, während gleichzeitig die humanen Urheber einen großen Teil ihrer aktuellen Einnahmen einbüßen werden, weil die KI menschliche kreative Werke ersetzten wird. Das Oxymoron ist, dass die KI mit dem kreativen Schaffen der Menschen trainiert wird, somit ihren Content von den Menschen bezieht.
Musik- und audiovisuelle Urheber sollen gemäß der CISAC bis 2028 rund 24 Prozent und 21 Prozent ihrer Umsätze verlieren. Dies entspräche einem Gesamtverlust von 22 Milliarden Euro (10 Milliarden Euro im Musikbereich; 12 Milliarden Euro im audiovisuellen Bereich).
Die Studie prophezeit, dass der Markt für KI-generierte Musik- und AV-Inhalte im gleichen Zeitraum exponentiell expandieren wird. Von aktuell drei Milliarden Euro soll das Volumen bis 2028 auf 64 Milliarden Euro anwachsen. Bis 2028 wird KI-Musik 20 Prozent des Umsatzes traditioneller Streaming-Plattformen und 60 Prozent der Musikbibliotheken ausmachen, behaupten die Autoren der Studie.
Die Diskussion über die möglichen Nachteile des technischen Fortschritts ist nicht neu. So stürmte 1979/1980 das New-Wave-Lied der Buggles „Video Killed the Radio Star“ weltweit die Charts. Es wurde von Trevor Horn, Geoff Downes und Bruce Woolley geschrieben. Das Lied handelt von Bedenken und gemischten Einstellungen gegenüber Erfindungen und Maschinen des 20. Jahrhunderts für die Medienkunst.
Für Statistiker interessant sein könnte, dass seinerzeit der deutsche Filmkomponist Hans Zimmer im Musikvideo der Buggles am Keyboard zu sehen ist.
Heute würde kaum ein Künstler mehr auf die Idee kommen, zu behaupten, dass die Videotechnik samt der Flut an Musikvideos seine Karriere zerstören würde. Ob das letztlich auch auf die KI zutrifft, muss sich zeigen.
Fakt ist, dass die KI unstrittig auch Vorteile hat. Sie hilft zum Beispiel in Bibliotheken bei der Wahrung von Handschriften und der Übertragung des Inhalts handgeschriebener Bücher in eine moderne maschinenlesbare Schrift, die auch Sehbehinderten zugänglich ist. Sie hilft bei der Katalogisierung von Werken und bei der Recherche in ihnen. Damit werden Werkzeuge geschafften, die Kreativen einen Teil der früher mühsamen Arbeiten abnehmen.
Die Ängste der Kreativbranche werden von einem breiten Teil der Bevölkerung nicht geteilt. So belegt eine frische Studie von Focus Bari, dass 89 Prozent der Griechen meinen, dass die KI zahlreichen Branchen helfen würde.
Nur knapp 20 Prozent fürchten eine Verschlechterung des Lebens mit der KI. Es ist interessant, dass sich an der Einschätzung des Einflusses der KI auf die Gesellschaft in Griechenland bei den spezifischen Umfragen seit 2021 kaum etwas geändert hat.