Alle Geheimdienste sind undemokratisch

Ein Gespräch mit der Ilka Schröder, die als Abgeordnete des Europäischen Parlaments Mitglied im Echelon-Ausschuss war und gegen den Abschlussbericht eine Minderheitenposition veröffentlicht hat

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Nicht alle Abgeordneten zeigten sich nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts des nichtständigen Ausschusses des Europäischen Parlamentes zum Spionagesystem Echelon zufrieden. Die Bündnisgrüne Ilka Schröder bemängelt vor allem eine Verharmlosung des Problems und stellte mit zwei Kolleginnen, Alima Boumediene-Thiery (Frankreich) und Patricia McKenna (Irland), eine Minderheitenposition vor. Die Abgeordneten wenden sich grundsätzlich gegen den Einsatz von Spionagemitteln, weil er ein Eingriff in die Privatsphäre bedeutet.

Gegen den nun endgültigen Bericht des Sonderausschusses im Europaparlament zum Echelon-Spionagesystems haben Sie eine Minderheitenposition eingebracht, um so gegen die Inhalte dieses Berichts zu protestieren. Worin liegt denn Ihres Erachtens nach das Manko des Berichts?

Ilka Schröder: Erstens äußert sich der Bericht hauptsächlich zur Industriespionage, die den Vereinigten Staaten unterstellt wird. Belege werden zwar nicht präsentiert, aber es wird vermutet, dass Echelon vor allem diesem Zweck dient. Der Bericht betont, dass dadurch ein Wettbewerbsnachteil für die EU entstehen könnte.

Ich meine, wenn das Echelon-System einer grundsätzlichen Kritik unterzogen wird, dann muss man auch die Geheimdienstpraktiken insgesamt auf die Tagesordnung setzen. Dazu gehören nicht nur die USA, sondern auch alle anderen Staaten, die sich des Systems bedienen. Zur Debatte müssen dann auch die Geheimdienste in der EU insgesamt gestellt werden. Das tut der Bericht nicht. Der Bericht kommt sogar zu der Schlussfolgerung, dass die Kooperationen zwischen EU-Geheimdiensten und auch ein EU-Geheimdienst an sich unterstützt werden sollte. Gerade in Anbetracht der technischen Möglichkeiten, die Echelon bietet, muss man sich dessen im Klaren sein, dass ein Geheimdienst immer mit Methoden von Unterdrückung arbeitet und deshalb nichts in einer demokratischen Gesellschaft zu suchen hat.

In der Gegenposition haben wir die Forderung vertreten, dass Geheimdienste abgeschafft werden sollten, eine Forderung, die dem Bericht natürlich diametral entgegengesetzt ist. Im Abschlussbericht wird nicht einmal gefordert, dass das Echelon-System an sich abgeschafft werden muss. Nach Ende der Lektüre ist nur eines klar: Erstens, dass Industriespionage noch immer als Problem betrachtet wird, und zweitens, dass man in den USA das Hauptbetreiberland dieser Spionage sieht und auch den anderen Echelonstaaten wie etwa Großbritannien oder Kanada vorgeworfen wird, dass sie im Grunde über ein "zu effektives" System verfügen.

Sie fordern also eine Positionierung des EU-Parlamentes gegen das System, weil es gegen geltendes Recht verstoße. Welche Gesetze sind das im Speziellen?

Ilka Schröder: Das Recht auf Privatsphäre und konkreter die Europäische Menschenrechtskonvention, die auch in dem Hauptbericht erwähnt ist, werden verletzt. Darüber hinaus verstößt der Einsatz von Echelon aber auch gegen die Datenschutz-Rahmenrichtlinie der Europäischen Union von 1995. Da steht zwar drin, dass Maßnahmen, die die nationale Sicherheit betreffen, vom Verbot ausgenommen sind, aber wir bestreiten schließlich auch politisch, dass nationale Sicherheit gegen die Privatsphäre von einzelnen aufgewogen werden kann. Wenn der deutsche Verfassungsschutz Kriegsgegner bespitzelt, die sich für das im Grundgesetz stehende Verbot von Angriffskriegen einsetzen, dann stellt sich die Frage, wer hier die Verfassung schützt.

Letztlich ist die Frage nach dem Verstoß gegen Grundrechte eines Geheimdienstes aber irrelevant, weil Geheimdienste immer gegen Gesetze verstoßen haben und dies auch weiterhin tun werden.

In einer ersten Reaktion hatten Sie Mitte der letzten Woche schon die Vermutung geäußert, dass sich hinter dem moderaten Ton in der Bewertung des Systems eine Taktik verbergen könnte, an deren Ende die Einrichtung eines Echelon-Systems auf europäischer Ebene stehen könnte. Welche Anzeichen gibt es denn dafür?

Ilka Schröder: Im Bericht wird die Forderung nach einem europäischen Geheimdienst explizit aufgestellt. Nach dessen Etablierung soll dann das Europäische Parlament als Kontrollgremium fungieren.

Aber "Geheimdienst" heißt ja zunächst nicht "Echelon"?

Ilka Schröder: Nein, aber dahinter steht, dass die EU die logische Konsequenz aus der Etablierung einer EU-Armee zieht. Nach der nämlich ist nun ein Geheimdienst vonnöten. Diese sicherheitspolitischen Strategien greife ich politisch an, weil ich denke, dass Geheimdienste undemokratisch sind und Armeen abgebaut werden müssen.

Zurück zu Echelon: Welche Mechanismen der Kontrolle gäbe es denn durch das EU-Parlament?

Ilka Schröder: Man fordert in dem Bericht, dass so etwas wie eine parlamentarische Kontrollkommission, wie es sie schon in verschiedenen Ländern gibt, aus dem Europäischen Parlament heraus gebildet wird, um den EU-Geheimdienst zu kontrollieren. Davon halte ich nichts, weil die bisherigen Anhörung, mit Vertretern verschiedener Länder, gezeigt haben, dass diese Kontrolle nicht möglich ist. Und deswegen finde ich es politisch sehr schwach, so zu tun, als könnte man diese Kontrolle ausüben und als könnte das Europaparlament einen "demokratischen Einsatz" gewährleisten.

Auf welche Erfahrungen stützen Sie diese Erkenntnis? Wie wird beispielsweise Europol durch das Europaparlament kontrolliert?

Ilka Schröder: Überhaupt nicht, und das ist ja eben das permanente Problem. Auch Europol ist jeglicher Kontrolle entzogen. Man muss bei Europol dazu sagen, dass darin ursprünglich eine Art europäische Polizeibehörde gesehen wurde. Inzwischen hat sie aber bereits Merkmale eines europäischen Geheimdienstes. Insofern besteht ohnehin die Frage, ob solche Strukturen erst neu geschaffen werden müssen oder ob man sich nicht auf Europol stützen wird.

Im Umkehrschluss hieße das, dass Europol von staatskritischen Kräften aufmerksamer beobachtet und bekämpft werden muss. Europol bekommt immer mehr Kompetenzen zugebilligt, obwohl es gerade erst einen Europol-Skandal gegeben hat, bei dem Geschäfte mit Geldwäsche offengelegt wurden und auch diverse andere Delikte ans Tageslicht kamen (Noch mehr Probleme für Europol. Die Kompetenz von Europol werden also erweitert und gleichzeitig steht diese Institution im kontrolleeren Raum.

Gibt es denn eine Gegenbewegung im Europaparlament oder von anderen europäischen Institutionen gegen diese Ausweitung der Befugnisse von Europol oder den Aufbau jedweder Geheimdienststrukturen?

Ilka Schröder: Der Europäische Rat und die Kommission vertreten offiziell die Meinung, dass sie im Moment keinen europäischen Geheimdienst brauchen. Zu dem Thema, und gerade im Zusammenhang mit dem Echelon-Ausschuss, hatten wir zahlreiche Diskussionen dazu im Europaparlament. Verschiedene Abgeordnete haben sich aber für einen solchen Geheimdienst ausgesprochen. Zu Europol konkret hat Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich erneut gefordert, dass ihr mehr Kompetenzen zugebilligt werden sollten. Auch der Rat stattet Europol mit immer weiteren Kompetenzen aus. Das hat eine lange Geschichte. Die Kommission unterstützt das und die Mehrheit des Parlaments unterstützt das auch. Also da sehe ich auch eher eine Minderheit von Parlamentariern, die dagegen ist.

Ende Mai wurde im Justiz- und Innenministerrat der Union ein Vorschlag der "Police Cooperation Working Group" vorgestellt, der eine weitreichendere Kontrolle von Kommunikationsverbindungen forderte (Enfopol gedeiht). Wie weit gingen denn diese Vorschläge darüber hinaus was bisher schon üblich ist?

Ilka Schröder: Sie gingen insofern über das Bestehende hinaus, als es im Moment, so wie das Überwachungssystem besteht, noch so ist, dass hauptsächlich gezielt Individuen überwacht werden. Den Vorschlägen nach soll mehr und mehr eine EU-Überwachungsstaat gefördert werden, in dem die Kommunikation aller Menschen überwacht wird und sich die staatlichen Stellen dann diejenigen herauspicken können, die ihnen suspekt erscheinen. Die dieser Praxis zugrunde liegende Vorstellung, dass zunächst jeder verdächtig ist, gibt durchaus Anlass zur Beunruhigung.

Nach geltendem Recht, zumindest in Deutschland, muss bei der Abhörung eines Telefons ein richterlicher Beschluss vorliegen, der auf eine Person oder einen Personenkreis bezogen ist. Wie würde das denn später bei einem Echelon-System auf europäischer Ebene aussehen?

Ilka Schröder: Das hängt weitgehend auch von Details ab, die bislang noch nicht ausgearbeitet sind. Aber das politische Projekt, das hinter diesen Plänen steckt, die von der Enfopol-Arbeitsgruppe ausgearbeitet werden, ist auf jeden Fall, dass die individuelle Strafverfolgung immer weiter in den Hintergrund tritt. Es wird eben nicht mehr darum gehen, dass eine Stelle, ob es jetzt ein Richter oder das Innenministerium ist, diese Entscheidung der Überwachung und der damit einhergehenden Verletzung von Grundrechten fällen muss, sondern dass einfach alle Personen und jegliche Kommunikation überwacht wird und im Grunde nur noch Filtermechanismen eingesetzt werden.

Ihrem Minderheitenpapier haben sich mit Ihnen drei Parlamentarierinnen angeschlossen. Sind das alle?

Ilka Schröder: Es gab eine zweite Minderheitenmeinung von drei oder vier Kolleginnen aus der linken Fraktion, aus der Fraktion der Vereinigten Linken, die sich in einigen Punkten von unserer unterscheidet. Es gibt schon ein paar Stimmen, die sich gegen diesen generellen Überwachungsstaat aussprechen, aber es ist eben nicht die Mehrheit. Es ist ein zähes Zusammenarbeiten in den wechselnden Koalitionen.

Wichtig erscheint mir daher der Druck von außen. In Großbritannien zum Beispiel gibt es eben viel mehr Organisationen, die sich in der Sache engagieren, etwa "Privacy International" oder "Statewatch", die auf eine lange Geschichte des Kampfes um Bürgerrechte zurückblicken können.

Gibt es denn einzelne Bereiche in dieser Entwicklung, die sich mit Mehrheiten im Europäischen Parlament verhindern lassen?

Ilka Schröder: Natürlich würden nicht alle in der Beschneidung der Privatsphäre so weit gehen wie etwa das britische Innenministerium, zum Beispiel bei der weitgehenden Überwachung des öffentlichen Raums. Wir arbeiten gerade an einem Bericht zum Datenschutz bei elektronischer Kommunikation und stehen in ständigem Kontakt mit der Europäischen Kommission und Teilen des Parlaments, um den Wünschen des Rates etwas entgegenzusetzen und diese generellen Überwachungspläne zurückzudrängen. Das Ziel des Europäischen Rates ist es, die Datenschutzbestimmungen - sowohl die Rahmenrichtlinie als auch die spezielle Richtlinie zu elektronischer Kommunikation - so weit wie möglich einzuschränken.