Alle Macht den Reproduktionsmitteln

Die Popkomm versuchte dieses Jahr ihren Umgang mit der Digitalisierung.

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Es ist überstanden. Auch dieses Jahr war die POPKOMM. mal wieder der Belastungstest Nummer eins, den man als arbeitender Mensch im Bereich Musik mitzumachen gezwungen ist. Von Donnerstagabend 20 Uhr bis Sonntagmorgen 7.00 Uhr konnte man sich 83 Stunden Parties aussetzen, sich in den Kölner Messehallen von Soundsystemen beschallt anbrüllen, garantiert nur ungesundes Essen bekommen, bis zum Morgengrauen trinken und zu guter letzt auch noch nach Hause laufen, weil dem Taxifahrer wegen dem parallel stattfindenden Ringfest die Innenstadt von Köln versperrt blieb. Kein Wunder, dass zwischen all dem Lärm das eigentliche Thema der Popkomm unterging: "Die digitale Herausforderung - Musik und Neue Technologien".

Man muss gleich zu Beginn bemerken, dass das Musikbusiness vor der digitalen Revolution vor allem eins hat: Angst. Denn anders als bei dem stillschweigenden Format-Wechsel von Vinyl zu CD hat die Industrie diesen Übergang im Banne des lukrativen CD-Rauschs verschlafen. Es ist nicht nur das Kompimierungsverfahren MP3, dem zu spät Aufmerksamkeit gewidmet wurde, es sind die Folgen der Digitalisierung von Musik überhaupt. Denn die decken einiges auf, was man bisher sorgsam geheimhalten konnte.

Wie man Mehrwert versteckt

Spätestens seit sich Ottonormalverbraucher im einschlägigen Elektrosupermarkt CD-Rohlinge kaufen kann, hat die Musikindustrie ein Problem: Jeder fragt sich, warum man für etwas, das vom Materialwert 3 DM wert ist, mehr als das Zehnfache ausgeben muss, wenn es durch die Abteilungen der Plattenindustrie gegangen ist. Ebenso weithin bekannt ist, dass erst die Umstellung von Vinyl auf CD der Musikindustrie erlaubt hat, ihre Preise so drastisch anzuziehen: Ein neues Medium sowie bessere Tonqualität schienen höhere Preise zu rechtfertigen. Schlauerweise hatte die Musikmaschinerie den Käufern verheimlicht, dass die Produktionskosten einer CD deutlich billiger sind als die von Vinyl-Scheiben (durchschnittlich CD:2 DM / Vinyl: 4 DM). Tatsache ist also, dass sich die Musikindustrie in den letzten zehn Jahren fleissig den Bauch voll Geld geschaufelt hat - auf Kosten der Musikliebhaber und Käufer.

Musik im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit

MP3 und CD-Brenner haben hier einiges durcheinander gebracht. Es begann mit: Access for All. Zunächst hat das Komprimierungsverfahren MP3 die Musik beweglich und netzfähig gemacht. CD-Brenner und tragbare MP3-Player sorgten weiter dafür, dass Musik auch in rechnerfreien Räumen in der Luft liegt. Konnte man professionell bootlegging betreibende Asiaten oder Osteuropäer noch als profitsüchtige Kriminelle abstempeln, ist es jetzt der Käufer selbst, der aktiv wird: Nicht um Profit aus dem Brennen von CDs oder Runterziehen von Soundfiles zu schlagen, sondern um die sündhaft teuren Produkte der Musikindustrie zu umgehen. Die sucht jetzt - in Deutschland zusammen mit der Gema - händeringend nach moralischen Argumenten, ihr bisheriges Melken der Höhrer weiter betreiben zu können.

Im Namen der Künstler, natürlich. Denn nicht die Institutionen kämpfen hier für ihren Profit, nein, hätte ja auch keiner vermutet, grossherzig kämpfen sie für jene aufstrebenden Talente, die noch gar nicht zu Wort kommen können, weil es sie noch gar nicht gibt: "Zehntausend kopierte CDs vernichten eine Nachwuchsband." Unter diesem Schlachtruf, der einen sofort auf die Idee bringt anzumerken, dass jedes Jahr ein einziger A&R der Plattenindustrie garantiert zehntausend Nachwuchsbands vernichtet, stellte sich der Zusammenschluss von deutscher Musikindustrie und Gema "Copy Kills Music" mit Messestand, rollerbladenden Girls und Extraveranstaltung der Presse und dem Fachpublikum vor - mit Popstars natürlich: Smudo von den Fantastischen Vier, die gleichzeitig auch mit Four Music Labelbesitzer sind, Die Prinzen, Background-Business-Star Tim Renner (Ex-Motor, jetzt Universal), und natürlich Dr. Hans-Herwig Geyer von der Gema.

Money Kills Music?

Horrorszenarien sind es, die da ausgepackt werden: "Für das Jahr 2001 werden mit über 60 Mio. gebrannter CDs gerechnet. Damit entsteht den Musik-Machern ein Schaden von über DM 1,2 Mrd. pro Jahr. Das sind über 20% ihrer Einnahmen." Die Logik, mit der hier Geld, das man noch gar nicht besitzt, in Anspruch genommen wird, ist mehr als zweifelhaft. Es klingt als ob der Arbeitnehmer bei der Kündigung seinem Chef vorrechnet, dass ihm soeben mit dem Rauswurf ein Schaden von 200 000 DM entstanden ist. Viel schlimmer noch ist jedoch die Vereinnahmung der Künstler. Da wird im Pressetext mal eben das Wort "Musik-Macher" dazwischengeschoben, welches die unbedingte Einheit von Musiker und Industrie suggeriert. In der Tat sind es ausschliesslich die Vertriebe - d.h. die Musikindustrie - und nicht die Künstler, die von der digitalen Reproduzierbarkeit ihrer Werke bedroht sind. Anders als für Plattenindustrie, die die Musik ihrer Künstler vermarktet, vertreibt und verkauft und vom Verkaufserlös abhängig ist, lassen sich für Musiker alternative Möglichkeiten ins Auge fassen, wie sie etwa die deutsche Rockband "Sonic Jackson" versucht.

Alternative Modelle

Sonic Jackson plant, auf die Vermarktungsweise von Sportlern zurückzugreifen: Man will sich durch Sponsoring und Merchandising finanzieren, nicht durch den Verkauf ihrer Musik. Die gibt es zum Download umsonst im Netz. Soweit, so gut. Und dann stopp. Denn unter popmarkttechnischen Gesichtspunkten, bei denen das Aussehen der Stars eine immense Rolle spielt, ist die Website mehr als unattraktiv: Zwar nett gestaltet, entbehrt sie jeder eigenen, persönlichen Präsentation der Band. Intime Angaben, die den Star zum Liebling machen und das Merchandising ins Rollen bringen, fehlen völlig. Keine persönlichen Details zu Lieblingsessen, etc. der musizierenden Möchtegern-Stars, nicht einmal ein paar Fotos findet man.

Davon bauen sich umso mehr bei der ehrgeizigsten neuen Firma der Musikindustrie auf, die sich auf der Popkomm präsentiert hat: Moveabit. Hier weiss man schnell von jedem einzelnen Mitarbeiter, was er so macht, wenn Sylvester 99 der Y2k-Bug zuschlägt. Dabei ist Moveabit keine neue Houseband, sondern eine Firma, die um das Stichwort E-Commerce herum agiert. Und offensichtlich so ordentlich staatliche Förderungsgelder abgesahnt hat, dass sie sich einer grossen Firma gleichend auf der Popkomm präsentieren konnte. Auf ihrem ausladenden, zentral plazierten rot-schwarzen Stand - ganz auf Coporate Identity getrimmt - konnte man wichtig an der Bar sitzen und leckere, passendfarbige Cocktails schlürfen. Ein kurzer Blick auf die Website und die Benutzerführung verrät allerdings schon, dass es hier insgeheim weniger darum geht, E-Commerce zu machen, als vielmehr E-Commerce-Vertriebssysteme an andere zu verkaufen. Die Benutzerführung, die sich ja immernoch nach dem Lesemodus richtet und deshalb oben rechts beginnt, logiert einen zuerst auf den Button "company": Und voila: da sind sie, die Bilder und persönlichen Angaben, die Sonic Jackson noch fehlen.

Im Wirbel der Globalisierung

Alternative Modelle hin, Copy kills music her. Die Musikindustrie wird über kurz oder lang mit Hilfe des digitalen Wasserzeichens Secure Digital Music Initiative (SDMI) die Kontrolle über Musik und ihre digitale Reproduktion zurückerlangen, von der totalen Kontrolle ihrer Künstler und der lukrativen Gewinnspanne, an die sie sich in den letzten Jahren gewöhnt haben, müssen sie wohl dennoch bangen Herzens Abschied nehmen. Musikliebhaber und Käufer werden auf keinen Fall einsehen, sich Musik aus dem Netz zum gleichen Preis runter zu laden, den sie vorher für eine CD gezahlt haben - warum auch. Schliesslich spart die Industrie mit MP3 Vertriebs- und Produktionskosten.

Vor der grössten Veränderung, die der Professionalisierung der digitalen Reproduzierbarkeit auf dem Fusse folgen wird, machen die meisten Plattenfirmen bislang jedoch immernoch fest die Augen zu. Denn hat sich erst einmal das Runterladen vom Netz durchgesetzt, steht die Musikindustrie plötzlich vor einem globalen Markt und muss sich komplett umstrukturieren. Wandert unterstützt von SDMI der Verkauf der Musikindustrie wirklich von den national ausgerichteten Plattenveröffentlichungen ins grenzenlose und damit internationale Netz, dann wäre letzten Endes auch die Popkomm bedroht. Bislang haben die grossen Namen wie Virgin, Universal oder EastWest zusammen mit den sich auf der Popkomm präsentierenden Stars vielleicht darüber hinweggetäuscht, dass auf dieser Messe nicht auf internationalem Niveau gespielt wird, sondern nach nationalen Veröffentlichungsterminen. In diesem Jahr jedenfalls kündigte sich ein erster Rückzug von der national ausgerichteten Messe an: Virgin ist nicht mehr mit einem Stand vertreten - ebenso fehlten grosse Zeitungen wie NME oder ME-Sounds. Nachdem Freitag und Samstag im Vergleich zu den letzten Jahren mässig etwas los war, kamen die meisten am letzten offiziellen Messetag - Sonntag - sogar nur noch zum Abbauen. Ob die Popkomm die Globalisierung, die MP3 auf dem Fusse folgen wird, also auf die Dauer übersteht, bleibt ernsthaft abzuwarten. Diese "Folge der digitalen Herausforderung" ist jedoch natürlich nicht diskutiert worden.

Mercedes Bunz ist Mitherausgeberin und Redakteurin der Zeitschrift de:bug.