Alle Rätsel gelöst?
Ein weltweiter Mangel an soliden Finanzanlagen soll für die globalen Ungleichgewichte (und alle anderen Rätsel der aktuellen Weltwirtschaft) verantwortlich sein
Wieder macht eine neue Begründung Furore, warum das gewaltige, vom Ausland finanzierte Handelsdefizit der USA keine Bedrohung für die Weltwirtschaft darstellt. Der erste, der die neue Theorie als Notenbanker sozusagen "offiziell" diskutierte, war Krzysztof Rybinski, der 39-jährige Vizepräsident der Polnischen Nationalbank. Bei einem Referat zur Frage der möglichen Folgen der bekannten Ungleichgewichte für die Emerging Markets, besprach der Notenbanker nicht weniger als neun populäre ältere Erklärungsansätzen wie "Global Savings Glut", Bretton Woods II oder Dark Matter und kam dann auf die neueste Variante: Die "Global-Asset-Shortage"- Hypothese, die auf einem aktuellen Aufsatz des MIT-Ökonomen Ricardo J. Caballero beruht.
Nach Caballero erklärt die Hypothese alle aktuellen finanz-ökonomischen Rätsel:
The so-called "global imbalances", the recurrent emergence of speculative bubbles (which recently have transited from emerging markets, to the dot-coms, to real estate, to gold...), the historically low real interest rates and associated "interest-rate conundrum", and even the widespread low inflation environment and deflationary episodes in parts of the world, all fall into place once one adopts this asset shortage perspective.
Ricardo Caballero
Eine Woche vor Rybinski hatte übrigens Raghuram G. Rajan, der Chefökonom des IWF, das Thema des "global asset"-Mangels wörtlich zur Diskussion gestellt - erstaunlicherweise ohne dabei Caballero auch nur zu erwähnen.
Die Problemstellung ist bekannt: Wie kann die derzeit offensichtlich schlecht balancierte weltwirtschaftliche Situation ökonomisch schlüssig als "sustainable" ("tragfähig") bezeichnet werden? Die praktische Relevanz dieser Frage liegt am naturgemäß großen Interesse von Notenbanken und Finanzmärkten an stabilen Verhältnissen und den früher oder später unausweichlichen Störungen, die die Ökonomen für den Fall voraussagen, dass Verhältnisse herrschen, die als "unsustainable" bezeichnet werden müssen.
Für Caballero hat der Asset-Mangel Anfang der 90er Jahre mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte in Japan begonnen. Er sei durch die Stagnation in Europa und die Krise der späten 90er Jahre in den Emerging Markets verstärkt worden und werde auch von den neuen expansiven Entwicklungen an den Finanzmärkten (Hedge Fonds, Financial Engeneering etc.) nicht gemildert, da letztere insgesamt netto Assets konsumieren, wie Caballero vermutet.
Die "Caballero-Sicht", wie Rybinski sie nennt, besagt, dass im Herzen des globalen Ungleichgewichts-Problems ein Mangel an (finanziellen) "Assets" steht, die auch als "Sicherheiten" tauglich sind. Schuld daran wären die schlecht entwickelten Finanzmärkte der Emerging Markets, wo Rechtsunsicherheit und ähnliches dafür sorgten, dass die Nachfrage nach Finanzanlagen zu Sparzwecken das inländische Angebot weit übertreffen. Ausreichend sichere Anlagen finden die Anleger in Ländern mit hochentwickelten Finanzmärkten und somit natürlich vor allem in den USA, dem Land, das zudem die internationale Leitwährung stellt.
Die negative Sparquote in den USA wäre folglich kein Widerspruch, sondern eine Konsequenz dieses Mangels. Denn die fremdfinanzierten Immobilienkäufe und die "Home Equity Extraction" produzieren riesige Mengen an Hypotheken, die gebündelt als "Asset Backed Securities" an den Finanzmärkten zur Verfügung stehen, um bei Anlegern platziert zu werden. Dass die hohe Nachfrage die Finanzinstitute dazu verleitet hat, Hypotheken an höchst zweifelhafte Kunden auszureichen, muss dann auch nicht zu Bankenzusammenbrüchen führen. Denn die Risiken, dass schlechte Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten kommen, liegen nun nicht mehr bei den Banken, sondern bei internationalen Anlegern oder bei Hedge Fonds, die solche Risiken gegen geringe Prämien übernommen haben.
Die hohe internationale Nachfrage treibt die Preise der Anleihen nach oben, was die Zinsen niedrig hält. Die niedrigen Zinsen beleben wiederum die Nachfrage nach Hypothekarkrediten, was die USA nur immer mehr und mehr anscheinend sichere Anlagen produzieren lässt - wenigstens bis vor kurzem, denn die neuesten Daten zeigen einen sehr starken Rückgang der Hypothekenkredite im letzten halben Jahr.
Jedenfalls müssten "Bubbles", also starke Abweichungen vom eigentlichen Wert bei bestimmten Asset-Klassen, in einer solchen Situation laut Caballero zwangsläufig immer wieder auftauchen. Sie wären ein "notwendiges Übel" und "rational".
Die gefürchteten "irrationalen" spekulativen Blasen, die normalerweise in einem Crash enden, werden oft anhand des Kaufmotivs definiert - wenn nämlich das betroffene Asset von vielen einzig und allein deshalb gekauft wird, weil man glaubt, es bald teurer weiterverkaufen zu können. Wenn ein Bubble aber schlicht eine Folge von geringem Angebot bei hoher Nachfrage wäre, sei sie weniger Absturz gefährdet als die klassischen spekulativen Blasen, sagt Caballero. Daher sollten die Notenbanker auch nicht versuchen, sie einzudämmen oder platzen zu lassen. Denn solche Blasen würden ohnehin nur wegen "ungewöhnlicher Schocks" oder "fehlgeleiteter Intervention (von Notenbanken und Wirtschaftspolitikern)" zerplatzen, wie Caballero meint.
Während Rybinski bei der Kontrollbank in Wien sein Referat hält, gönnt sich Thailands Putsch-Regierung ein wahres Prachtexemplar an wirtschaftspolitischer Eskapade: Der thailändische Bath hatte in den vergangenen Monaten gegenüber dem Dollar stark zugelegt, wofür allgemein die hohen ausländischen Zuflüsse an die Börse verantwortlich gemacht werden, die sich zuletzt verdreifacht hatten. Aus Angst vor einer weiteren Aufwertung wurde von der Zentralbank überraschend die Regel eingeführt, dass Banken künftig 30 Prozent der hereinkommenden ausländischen Devisen für mindestens ein Jahr im Land festlegen müssen. Daraufhin wurde am 19. Dezember der Börsenhandel nach Panikverkäufen vorübergehend eingestellt, am Nachmittag schloss der Markt fast 15 Prozent im Minus. Das war der größte Einbruch seit der letzten Asienkrise, die im Juli 1997 mit dem Abzug ausländischen Kapitals aus Thailand begonnen hatte.
Nachdem die Regelung wenige Stunden später aber entschärft worden war, befinden sich die Finanzmärkte prompt wieder in der besten aller Welten und tun so, als ob nichts gewesen wäre' wie die FAZ kommentierte. Wenn man will, wurde damit Caballeros These indirekt bestätigt. Caballeros Empfehlung für Geld- und Wirtschaftspolitiker liegt schließlich auch darin zu versuchen, diese Blasen möglichst gleichmäßig über alle in Betracht kommenden Anlage-Klassen zu verteilen.
Folgt man Caballero, dann wäre die Welt auf einem guten Weg. Immerhin hat die größte Neuemission der globalen Börsengeschichte kürzlich in China stattgefunden, und die wichtigsten Notenbanken Asiens haben allesamt erklärt, künftig den Anteil asiatischer Währungen in ihren Reserven deutlich zu erhöhen, was die neu entstandenen und durchaus florierenden Handelsplätze für regionale Anleihen weiter beleben dürfte. Während die Asiaten - und am besten auch gleich noch die Öl-Exporteure - also immer mehr verlässliche Anlagemöglichkeiten produzieren, müssen sie immer weniger US-Anlagen kaufen. In diesem Prozess lösen sich die Ungleichgewichte langsam und gemächlich auf und die Weltwirtschaft käme ohne gröbere Krise wieder ins Lot - Heureka!
Offen bleibt freilich die Frage, ob Caballero hier nicht etwas zu vorschnell die volkswirtschaftliche Theorie an die derzeit durchaus ungewöhnlichen Fakten der Finanzmärkte angepasst hat. Womöglich hätte er besser gewartet, bis sich die Daten wieder an die Theorien zu halten beginnen und zu den "üblichen" Niveaus zurückkehren. Denn üblicherweise wird ein Schuldner, der über seine Verhältnisse lebt, irgendwann zur Rechenschaft gezogen.