Als menschliches Schutzschild in Bagdad
Warum das Misstrauen der "human shields" gegenüber dem Regime so groß wurde, dass viele ihre Aktion abgebrochen haben
Eine Ölraffinerie also. Gewaltige Schornsteine recken ihre rauchenden Schlunde gen Himmel, während auf der Erde Schlangen von Rohren ein unübersichtliches Gewirr bilden, bei deren Anblick sich der gordische Knoten hochachtungsvoll von selbst auflösen würde. Um sich noch mehr Respekt zu verschaffen, lassen die Rohre aus ihren Ventilen immer wieder zischenden Fontäne eines stinkenden Dampfes entweichen. Die Palmen rund um das Gelände senken im Wind dann auch ehrfurchtsvoll ihre Häupter. Einen gewissen ästhetischen Reiz kann man der Durah-Ölraffinerie am Rande Bagdads nicht absprechen, dennoch ist es nicht das Ambiente, in dem man heimisch werden möchte.
Als ich zusammen mit zwölf anderen Friedensaktivisten aus dem Bus steige, um mich als menschlicher Schutzschild in diese Raffinerie einzuquartieren, ist deshalb mal wieder der Moment gekommen, um mich zu fragen, warum ich das hier eigentlich mache. Warum ich mir am Samstag ein Visum in der irakischen Botschaft in Damaskus geholt habe, mich am Sonntag in den Bus gesetzt habe, um in 13 Stunden die schätzungsweise tausend Kilometer bis Bagdad zurückzulegen und warum ich mich hier nun bereit erklärt habe, diese Öl-Raffinerie vor einem Bombenangriff zu schützen.
Das mit dem Nachdenken muss aber erst mal auf später verschoben werden, da ein Pulk hungriger Journalisten darauf wartet, mit Informationen gefüttert zu werden. Ein Reporter vom Bosten Globe will wissen, was ich von den Äußerungen des Pentagon halte, die amerikanischen Streitkräfte könnten bei einem Angriff für die Sicherheit der Human Shields nicht garantieren. Ein japanischer Fotograf will Fotos machen. Ein ARD-Team will filmen, wie wir in unsere Zimmer einziehen. Ein sudanesisches Fernsehteam hat spitz gekriegt, dass ich Arabisch studiere und lässt mich auf Arabisch ein paar Sätze in die Kamera stammeln.
Und so geht das immer weiter, bis nach einer Stunde oder später alle Fragen gestellt, alle Aufnahmen gemacht sind, die Journalisten zurück ins Pressezentrum nach Bagdad fahren und ich endlich dazu komme, die Frage von vorhin zu beantworten: Warum bin ich eigentlich hier? Glaube ich wirklich, dass wir hier allein durch unserer Präsenz einen Krieg verhindern können? Unweigerlich fällt mir bei dieser Frage ein Spruch von Gerhard Polt ein: "Diese Pazifisten, die haben doch noch nie einen Krieg verhindert? Oder können Sie mir irgendeinen Krieg nennen, den wo die verhindert hätten?"
Humor ist nötig, wenn ich in den Nachrichten wieder entnehme, dass die Bereitschaft der amerikanischen Regierung, diesen Krieg zu führen, ungebrochen ist. Aber weil ich bislang keinen überzeugenden Grund für die Notwendigkeit dieses Krieges gehört habe, deshalb bin ich hier, denn ich will sagen können, dass ich wenigstens alles versucht habe, diesen Krieg zu verhindern - einen Krieg, der im Irak nach Schätzung vieler Experten einen Bürgerkrieg auslösen und der den gesamten Nahen Osten noch tiefer ins Chaos stürzen könnte.
Die menschlichen Schutzschilde
Mehr als zweihundert andere Aktivisten aus aller Welt sind in Bagdad, die unterschiedlicher kaum sein könnten und die meist nur das eine gemeinsam haben: ihre Ablehnung gegen den Krieg. Da ist zum Beispiel Ken, ein Golfkriegsveteran, der erzählt, dass er 1991 indirekt an einem Massaker an 20.000 Irakern beteiligt war, seinen amerikanischen Pass verbrannt hat und einer der Köpfe von Human Shields ist.
Dann gibt es noch Adam, einen Briten, der vor einem Jahr zum Islam übergetreten ist und Kindern im Krankenhaus von Bagdad die Hände auflegt, weil er sich im Besitz heilender Kräfte glaubt. Und Waltraud, eine Rentnerin aus Österreich, auf die Aufmerksamkeit der Medien wie ein Jungbrunnen wirkt. John, der jahrelang mit den Zapatisten in Mexiko gelebt hat und mit seinem Pferdeschwanz und seiner Augenklappe aussieht wie ein Pirat. Oder Mario, der im Auftrag einer großen italienischen Zeitung mit einer Gruppe italienischer Human Shields nach Bagdad gekommen ist; die Gruppe ist längst wieder abgereist, aber er hat sich nun selbst den Human Shields angeschlossen, ohne dass sein Chefredakteur davon weiß. Schließlich Faith, eine 61jährige amerikanische Lehrerin, die schon in Alaska, mit Aboriginies in Australien und in Tibet gelebt hat und die sich aus Protest gegen die amerikanische Außenpolitik geweigert hat, weiter Steuern in ihrem Land zu zahlen, und bereit ist, in Bagdad ihr bewegtes Leben zu opfern. Ach ja, und es gibt noch Thierry aus Frankreich, der in Damaskus studiert und eigentlich gar nicht so richtig gegen den Krieg ist, aber einfach auch mal in den Irak wollte, um auf Kosten der Regierung zu leben.
Was sollen wir machen?
In Bagdad zeigen uns die Menschen auf der Straße immer wieder, dass sie sich über die Präsenz all dieser "Human Shields" freuen, allzu viel Mitgefühl scheinen sie aber nicht nötig zu haben. Die Bagdader sind erstaunlich entspannt und gelassen, niemand scheint Angst zu haben. Zwar ist es schwer, in diesem totalitären Staat mit den Einheimischen offen zu reden, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass man hier gegenüber dem Schrecken von Bombenangriffen einigermaßen abgestumpft ist, nachdem sich das Land doch seit über zwölf Jahren im Dauerkriegszustand befindet. Angriffe gab es ja nicht nur im Krieg 1991, sondern in regelmäßig wiederkehrender Form, besonders 1998. "Angst haben wir nur wegen den Kindern", sagt Bedri, ein Geldwechsler, der eine deutsche Mutter hat und in Weimar geboren wurde.
Dathar Al-Khashab, der Direktor "unserer" Öl-Raffinerie fragt: "Was sollen wir machen? Das tägliche Leben muss weitergehen." Und das tägliche Leben macht vielen schon genug zu schaffen, nicht zuletzt auch auf Grund des strikten Embargos, das 1991 verhängt wurde und vor allem die einfache Bevölkerung trifft. Viele Menschen gäben sich deshalb fatalistisch dem hin, was da kommen werde, erklärt der Direktor weiter. Das heißt aber nicht, dass sie dabei ihre gute Laune verlieren würden - vielmehr ist eine meiner überraschendsten Beobachtungen, dass die meisten Iraker sehr gerne lächeln und immer zu Späßen aufgelegt sind.
Gastfreundschaft oder Überwachung in der Raffinerie?
Unterdessen verlässt täglich eine Gruppe von Human Shields ihre Hotels und zieht in eine von fünf Einrichtungen. Zunächst in einen Getreidespeicher, der 1991 bombardiert worden ist, dann in die Öl-Raffinerie und in den folgenden Tagen in zwei Elektrizitätswerke und ein Wasserwerk - lauter Einrichtungen, die für die Aufrechterhaltung des zivilen Lebens wichtig sind. In der Öl-Raffinerie bin ich zusammen mit anderen Aktivisten aus Deutschland, Frankreich, der Türkei, Slowenien, Belgien, Südafrika und Italien. Einer davon ist Tolga, ein Türke, der eigentlich kein großes Interesse am Fortbestand dieser Kathedralen des fossilen Energieverbrauchs haben dürfte, denn er hat früher für Greenpeace gearbeitet. Doch Tolga betont: "Die Folgen für die Umwelt nach einem Angriff wären verheerend: Es ist abzusehen, dass der Tigris verseucht wird, wenn die Raffinerie beschädigt wird."
Wenn man erst mal den Gedanken verdrängt hat, dass hier in den kommenden Tagen bald Bomben fallen könnten, schläft es sich in der Raffinerie ganz gut, zumal es an nichts fehlt. Unsere Gastgeber haben uns ein eigenes Gästehaus zur Verfügung gestellt und auf jedem Bett liegen Handtücher, Einwegrasierer, Rasierpinsel und -creme, Seife sowie Zahnpasta und eine Zahnbürste bereit.
Die Fürsorge der Gastgeber ist sogar so intensiv, dass unklar ist, ob man noch von Gastfreundschaft sprechen kann, oder ob es sich schon um Überwachung handelt. Rund um die Uhr sind mehrere Iraker im Haus, angeblich um für unser Wohl zu sorgen, in Wahrheit aber wohl mehr noch, um uns zu kontrollieren. Dabei bereitet es mir und vielen anderen ohnehin schon Kopfschmerzen, dass wir gezwungen sind, mit einem Regime zusammenzuarbeiten, das sein eigenes Volk in stalinistischer Weise unterdrückt. Mich schaudert es, als wir die Grundschule bei der Raffinerie besuchen und die Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse für uns strammstehen und skandieren: "bir-ruh, bid-damm nafdika ja Saddam! - Mit der Seele und dem Blut opfern wir uns für dich, oh Saddam!"
In einem Land, in dem ein Witz über den Präsidenten schon das Leben kosten kann, stellt sich für uns die Frage, inwieweit wir dem Regime vertrauen können, was unsere eigene Sicherheit betrifft. Woher sollen wir wissen, dass wir nicht irgendwann gegen unseren Willen als Geiseln festgehalten werden? Warum erlaubt uns Dr. Hashimi vom staatlichen "Komitee für Freundschaft, Frieden und Solidarität" nicht, dass wir auch Krankenhäuser oder Schulen bewachen? Wieso will man uns in der Raffinerie und in den anderen Einrichtungen nicht mit einem Internetzugang ausstatten?
Das Misstrauen gegenüber den irakischen Behörden wächst von Tag zu Tag, so dass sich Ken gezwungen sieht, eine Erklärung zu verlesen, in der er betont, dass er keinem Aktivisten guten Gewissens raten könne, im Lande zu bleiben. Nach reiflicher Überlegung entschließe ich mich daher - wie auch einige andere Aktivisten - zur baldigen Abreise. Dutzende wollen jedoch bleiben, selbst wenn es zum Krieg kommen sollte. Ihre Entscheidung ist mutig, aber womöglich auch dumm. Doch wer weiß, vielleicht sind sie Pioniere einer neuen, historischen Bewegung, die weiter wachsen wird und die eines Tages - wenn auch wohl noch nicht dieses Mal - einen Krieg verhindern wird.
Der 24jährige Stephan Lanzinger studiert Islamwissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie an der FU Berlin und absolviert noch bis Ende Juni einen Arabisch-Kurs in Damaskus.