Alternativen zum Frieren im Kalten Krieg 2.0

Gelb steht für Gas. Symbolbild: ID 5317367 auf Pixabay (Public Domain)

Angesichts des Krieges in der Ukraine kommt die Diskussion in Schwung, welche Alternativen zum Heizen mit Erdgas sich durchsetzen könnten

Deutschland ist auf Energielieferungen aus Russland angewiesen. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine wird der Ruf immer lauter, zumindest perspektivisch auf russische Energieimporte zu verzichten. Wie das gelingen könnte, ist aktuell Gegenstand der Diskussion.

Es dürfe "keine energiepolitischen Tabus" geben, mahnte die Bau- und Energieexpertin Lamia Messari-Becker gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) an. Sie ist Bauingenieurin und Teil des Expertengremiums Zukunft Bau der Bundesregierung. Und für sie ist die Wärmeversorgung das Gebiet, das viele Möglichkeiten bietet und auf dem noch viel getan werden muss.

"Anders als bei der Stromerzeugung hat die Politik die Energiewende im Wärmebereich jahrelang kläglich vernachlässigt", kritisierte sie. Der Anteil der erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung macht nur etwa 15 Prozent aus, geht aus den Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hervor. Bei der Stromerzeugung ist der Anteil mit fast 50 Prozent deutlich höher. Knapp die Hälfte der erzeugten Wärme stammt – Biogas eingerechnet – aus Gas, ein knappes Viertel aus Heizöl.

Die Umstellung des Wärmesektors auf erneuerbare Energien braucht Zeit. Doch Messari-Becker meint, es gebe eine ganze Reihe kurzfristig umsetzbarer Maßnahmen. Kommunen könnten Wärmepläne erstellen, um Abwärme aus Industrie und Gewerbe für das Heizen nutzbar zu machen. "So kann ein Rechenzentrum zum Beispiel helfen, eine Schule zu heizen", sagte sie.

Die Bundesregierung solle eine Offensive mit kleinen Maßnahmen starten, erklärte sie. Zum Beispiel dafür sorgen, dass Heizrohre im Keller gedämmt werden. Damit ließen sich pro laufendem Meter Rohr etwa zehn Liter Heizöl pro Heizperiode sparen. Ebenso könnten unbewohnte Dachböden gedämmt werden, was den Wärmeverlust durch die Gebäudehülle um bis zu 30 Prozent senken könnte.

Studie: Klimaneutralität im Wärmebereich bis 2035 möglich

Bereits in größeren Dimensionen denkt dagegen das Wuppertal Institut, das Anfang März eine im Auftrag von Greenpeace erstellte Studie vorstellte. Deren Kernaussage ist: Die Wärmeversorgung der Gebäude in Deutschland ließe sich bis 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umstellen.

Kurzfristig seien die Alternativen zu Erdgas zwar begrenzt, mittelfristig seien die Möglichkeiten zum Umsteuern aber groß, unterstrich Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts. "Mit einer klugen, auf Effizienzsteigerung und den Ausbau erneuerbarer Energien ausgerichteten Strategie reduzieren sich nicht nur die Versorgungsrisiken", sagte er. Die beschleunige Wärmewende sei auch für Haushalte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen wirtschaftlich attraktiv.

Dafür müsste allerdings viel Geld in die Hand genommen werden. Zunächst wären jährliche Investitionen von 50 Milliarden Euro notwendig sowie 22 Milliarden Euro staatliche Fördergelder. Ab dem Jahr 2035 würde das ein jährliches Ersparnis von netto 11,5 Milliarden Euro ergeben. Außerdem verspricht er sich davon eine halbe Million Arbeitsplätze, die vor allem in der Bauwirtschaft geschaffen oder gesichert werden. Darüber hinaus ließen sich 168 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen.

Die in der Studie formulierten Vorschläge sehen unter anderem vor, dass ab 2024 keine neuen Öl- und Gasheizungen eingebaut werden dürfen; bestehenden Anlagen soll der Betrieb ab 2035 verboten werden. Die Bundesregierung solle darüber hinaus ein Förderprogramm auflegen, mit dem zwölf Millionen Wärmepumpen und 70 Millionen Quadratmeter Solarthermie-Anlagen bezuschusst werden. Für bestehende Gebäude soll eine energetische Sanierung zur Pflicht werden, so dass bis 2040 alle Gebäude die Effizienzklasse B erreichen.

Unkonkret bleibt die Studie allerdings bei den sozialen Folgen der Vorschläge. Denn die energetische Sanierung verringert zwar die Heizkosten; aber ihre Kosten werden in der Regel auf die Kaltmiete anteilig aufgeschlagen. Besonders für Haushalte mit niedrigem Einkommen könnte Wohnen dadurch zum Luxus werden.

Mit noch einem anderen Vorschlag wartete jetzt Harmen Dekker auf. Die Vorsitzende des europäischen Biogasverbandes schlug am Montag vor, in ganz Europa schnell Biogas-Anlagen auszubauen. Bis 2030 könnten in Europa auf diese Weise rund 35 Milliarden Kubikmeter "grünes Gas" zusätzlich produziert werden. "Das sind bereits zwei Drittel (der Kapazität) der Nord Stream 2", sagte sie bei einer Online-Konferenz.

Bis 2050 könnte ihrer Meinung nach Biogas schon 30 bis 50 Prozent des Gasbedarfs in der EU decken, sagte sie. Allerdings zu dem Preis, dass auf wesentlich mehr landwirtschaftliche Flächen nicht Lebensmittel, sondern Energiepflanzen angebaut würden. Und dafür steht die Branche schon jetzt in der Kritik.