Altes System, neu gestartet
Sicherheitskonferenz in München: USA, EU und NATO versuchen, die Fehler der Bush-Regierung zu korrigieren
Es war der Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit", Josef Joffe, der das Schlagwort prägte. Als der damalige russische Präsident Wladimir Putin 2007 auf der so genannten Sicherheitskonferenz in München 2007 mit harschen Worten die aggressive Politik des Westens gegen Moskau kritisierte, herrschte zunächst betretenes Schweigen im Saal (Schlagaustausch zwischen Russland und USA). Es war Joffe, der das Schweigen mit seinem deutlich vernehmbaren Urteil brach: "Das ist der neue Kalte Krieg." Zwei Jahre später wurde eben dieser Konflikt zwischen der westlichen Staatenallianz und Russland beigelegt. In sichtlich entspannter Atmosphäre trafen sich Vertreter beider Seiten am Samstag erneut in München.
Der US-amerikanische Vizepräsident Joseph Biden reichte Russland wieder die Hand: Die Regierung von Barack Hussein Obama sei nicht nur entschlossen, einen neuen Ton anzuschlagen. Die Beziehungen mit der ganzen Welt würden neu geordnet - Moskau explizit eingeschlossen. "Es ist an der Zeit, den Neustart-Knopf zu drücken", sagte Biden: "Wir sollten mehrere Bereichen anschauen, in denen wir mit Russland zusammenarbeiten könnten und sollten."
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist das weltweit größte Treffen von hochrangigen Politikern des NATO-Raums, Militärs und Vertretern der Rüstungsindustrie. Sie findet seit den 60er Jahren statt, in diesem Jahr wurde das Treffen zum 45. Mal ausgerichtet. Die Veranstaltung ist nicht unumstritten: Nach Angaben von Nachrichtenagenturen nahmen in diesem Jahr über 3000 Menschen an den Protesten gegen sie teil.
Die neue Richtung der NATO-Politik, die dessen ungeachtet in München vereinbart wurde, lässt sich in einigen wenigen strategische Kernaussagen zusammenfassen: Ende der Frontstellung gegen Russland, engere Kooperation zwischen den USA und den (militärisch) führenden EU-Staaten, gemeinsames Vorgehen gegen Iran. Mehrere Teilnehmer plädierten zudem für ein Ende der reinen Kriegspolitik, wie sie - unilateral - von den USA unter Präsident George W. Bush durchgesetzt wurde.
Biden: USA werden von seinen Partnern mehr einfordern
Höhepunkt des diesjährigen Treffens war eine außen- und geopolitische Grundsatzrede des US-amerikanischen Vizepräsidenten Joseph Biden. Washington werde "einen neuen Ton anschlagen", sagte der Politiker der Demokratischen Partei:
Die gute Nachricht ist: Amerika wird mehr tun. Die schlechte Nachricht ist: Amerika wird auch von unseren Partnern mehr verlangen. Die Bedrohungen, vor denen wir stehen, nehmen keine Rücksicht auf Grenzen.
US-Vizepräsident Joseph Biden auf der 45. Sicherheitskonferenz
Die "physische Sicherheit" und die "wirtschaftliche Sicherheit" seien untrennbar, so Biden weiter. Diese Aussage steht im Einklang mit früheren sicherheitspolitischen Erklärungen (Die NATO im Kampf um die Welt, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27573/1.html) der NATO, nach denen etwa der Zugang des Bündnisses zu Energieressourcen als Sicherheitsfrage gesehen wird, die das transatlantische Bündnis bei seinen militärischen Überlegungen und Planungen berücksichtigen müsse.
Immer wieder wurde in München die Annäherung zwischen den USA und den kerneuropäischen Staaten der EU bekräftigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische konservative Staatspräsident Nicolas Sarkozy plädierten gemeinsam für eine "Neuausrichtung" des Transatlantikpakts. Dabei müssten Berlin und Paris eine entscheidende Rolle spielen, so Merkel und Sarkozy unisono. Europa, so sagten sie nach einem gemeinsamen Mittagessen, werde bei der Formulierung des neuen strategischen Konzeptes der NATO mitreden. Dies war aus regierungsnahen Institutionen in Berlin schon lange gefordert worden. In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik etwa hieß es unlängst:
Die dauerhafte Verbesserung der Beziehungen zwischen NATO und EU ist eine weitere große Herausforderung. Ansatzpunkte dafür bieten sich mit dem bevorstehenden Nato-Gipfel im April und mit dem Amtsantritt der neuen amerikanischen Regierung. Diese Möglichkeiten gilt es zu nutzen. Im Vordergrund sollte dabei stehen, vorhandene Strukturen ? etwa gemeinsame Sitzungen des Nordatlantikrats mit dem Rat der Europäischen Union ? von bloßen Konsultations- zu richtigen Entscheidungsgremien weiterzuentwickeln.
Einschätzung der SWP
Erstmals sind die USA bereit, diese Forderung nachhaltig in ihren NATO-Planungen zu berücksichtigen. Zu einem hohen Preis, wie Vizepräsident Biden deutlich machte.
Annäherung an Moskau, Frontstellung gegen Teheran
Die deutliche Zurückhaltung des Westens gegenüber Moskau wurde von der russischen Regierung aufmerksam wahrgenommen. Sein Land sei zu Gesprächen über ein Folgeabkommen zu dem Start-Abkommen zu Abrüstung bereit, das in diesem Jahr ausläuft, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Zuvor hatte Biden darauf hingewiesen, dass die USA und Russland "viele gemeinsame Interessen" verbinde.
Ähnliche Töne schlug die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel an: Sie plädierte für eine Wiederbelebung und Intensivierung des NATO-Russland-Rates als gemeinsames sicherheitspolitisches Gremium. Die bilaterale Versammlung war nach dem Georgien-Krieg im Spätsommer vergangenen Jahres eingestellt worden. Die Forderungen der antirussischen Vertreter aus Polen und Estland, die aggressive Haltung des Westens gegen Russland beizubehalten, fanden in München kein Gehör.
Deutlich angriffslustiger äußerten sich die Mitglieder der anwesenden NATO-Staaten hingegen in Bezug auf Teheran. Die Rollenteilung war dabei offensichtlich: Während der US-Vertreter Biden sich in rhetorischer Zurückhaltung übte, sprachen EU-Politiker Klartext. Biden hatte in seiner Rede den Willen der Obama-Regierung erklärt, mit Teheran in einen politischen Dialog zu treten. Die Bedingungen aber waren klar: "Wenn ihr den jetzigen Kurs fortsetzt", sagte er, "dann werden Druck und Isolierung weitergehen. Gebt das illegale Atomprogramm und die Unterstützung des Terrorismus auf und es wird bedeutende Anreize geben."
Es kam Frankreichs Präsidenten Sarkozy zu, die Frontalattacke gegen Iran zu fahren. Der Konservative bezeichnete den jüngsten Start eines Satelliten in Iran als "extrem schlechte Nachricht". Es gebe nur eine Lösung, so Sarkozy: "Wir müssen die Sanktionen verstärken,"
NATO-Politik nicht neu, sondern effektiver
Die Reden der Gäste auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz brachten einige interessante Zitate. Neue Erkenntnisse waren nicht dabei. Dass die US-Regierung unter Barack Hussein Obama sich an die EU annähern wird, um die europäischen NATO-Staaten - vor allem in Afghanistan - stärker militärisch einbinden zu können, war bekannt. Beachtlich war in diesem Zusammenhang allein Angela Merkels Plädoyer für ein Konzept der "vernetzten Sicherheit", bei dem die NATO-Staaten nicht mehr ausschließlich auf ihre militärischen Ressourcen setzen, sondern auch auf "polizeiliche und kulturpolitische Komponenten". Damit ist zu erwarten, dass auch die Arbeit ziviler Institutionen wie Parteistiftungen künftig stärker als bisher in die sicherheitspolitischen Strategien eingebunden wird.
Die vier großen Aufgaben hatte der Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, bereits Mitte Januar auf einer Veranstaltung in Berlin definiert. Es gehe in Anbetracht des Scheiterns der Geopolitik des Westens im Mittleren Osten und in Zentralasien - vor allem auf den heißen Kriegsschauplätzen in Irak und Afghanistan - nun um vier vorrangige Ziele:
- Entwicklung einer neuen sicherheitspolitischen Agenda im transatlantischen Raum
- Verbesserung des Verhältnisses zu Russland;
- Lösung des militärischen und politischen Dilemmas in Afghanistan;
- Abbau der nuklearen Lasten aus dem Kalten Krieg.
Der Konferenzchef und frühere Berliner Botschafter in London und New York berichtete bei der Veranstaltung in Berlin bereits von engen Absprachen mit dem Sicherheitsberater des US-amerikanischen Präsidenten, General James Jones. Ischinger erklärte damit implizit, dass die neue geopolitische Kooperation zwischen den USA und den Kernstaaten der EU längst begonnen hat.
Der Neustart, den US-Vize Biden in München forderte, unterscheidet sich demnach nicht von dem eines Users, dessen PC sich festgefahren hat. Wenn dieser den Reset-Knopf drückt, springt doch nur wieder der alte Computer an. Mit derselben Hardware und den denselben Programmen wie zuvor.